Erdweg:Wenn Kinder Diabetes haben

In der Selbsthilfegruppe "Sweet Life" lernen verunsicherte und besorgte Eltern, mit der Krankheit ihrer Kinder umzugehen.

Von Leonie Sanke, Erdweg

Selbsthilfegruppe, das klingt nach deprimierenden Stuhlkreisen, nach "Ich heiße Peter und ich habe ein Problem". Die Selbsthilfegruppe "Sweet Life" für Eltern von an Diabetes erkrankten Kindern hat damit herzlich wenig zu tun. Wenn sich die zwölf festen Mitglieder in einer Pizzeria treffen, erinnert das eher an einen ausgelassenen Mädchenabend - dem ernsten Anlass zum Trotz.

"Unsere Treffen haben einen positiven Touch. Den wollen wir auch unseren Kindern vermitteln", sagt Michaela Micheli, Gründerin und Leiterin der Gruppe. Seit September vergangenen Jahres versammelt sie alle zwei Monate immer mehr Mütter an einem Tisch. Seit drei Jahren ist ihr Leben von der Diagnose ihres Sohnes bestimmt: Typ 1 Diabetes.

"Wir waren völlig unvorbereitet, die Krankheit hat in unserer Familie richtig eingeschlagen", erzählt Micheli. 15 Jahre alt war ihr Sohn Adrian damals. Seine Mutter konnte sich nicht erklären, warum er so stark abnahm, warum er ständig müde und schlapp war - bis sie mit ihm zum Arzt ging. Von da an musste Adrian sich fünfmal täglich Insulin spritzen, seine Ernährung und seinen Alltag umkrempeln. "Eine schwierige Zeit", sagt Micheli heute. Die Krankheit sei ein riesiger Rucksack - nicht nur für die betroffenen Kinder. "Sie müssen unheimlich diszipliniert sein und brauchen ein Umfeld, das auf sie aufpasst." Nach einer Weile habe sie gelernt, dass man mit der Krankheit hervorragend leben könne. Es kommt eben ganz darauf an, wie man damit umgeht.

Ärzte kennen nur die Theorie

Mit "Sweet Life" hat Michaela Micheli ihren ganz persönlichen Weg gefunden, der Krankheit ihres Sohnes die Stirn zu bieten - indem sie anderen Müttern hilft, die ähnliche Sorgen haben. So wie Irena Walz, deren Tochter Ann-Fabienne mit sieben Jahren an Diabetes erkrankte: "Es gibt zwar viele Unterstützungsangebote, aber die meisten Betreuer und Ärzte haben die Krankheit selbst nicht. Sie kennen sie nur in der Theorie."

Erdweg: Geteiltes Leid ist halbes Leid: In der Selbsthilfegruppe tauschen sich Mütter über ihre Sorgen und Nöte aus.

Geteiltes Leid ist halbes Leid: In der Selbsthilfegruppe tauschen sich Mütter über ihre Sorgen und Nöte aus.

(Foto: Toni Heigl)

Walz war schon beim ersten Treffen der Selbsthilfegruppe dabei. Es fand in Michelis Gute-Laune-Laden in Erdweg statt, einem kleinen Geschäft voller Dinge, die das Leben genussvoller machen. In diesem Laden steckt viel von Michelis Persönlichkeit und positiver Energie. "Ich habe mich im Vorfeld mit Frau Köstlmeier vom Diabetikerbund Bayern ausgetauscht. Sie meinte, ich solle nicht enttäuscht sein, wenn kaum jemand kommt", erzählt Micheli. Am Ende haben die Stühle nicht gereicht. Aus dem ganzen Landkreis kamen Mütter, um sich über ihre Nöte auszutauschen.

Kinder kommen besser klar als die Eltern

"Die Kinder kommen erstaunlich gut mit der Krankheit zurecht, für sie ist das Normalität. Wir Eltern machen uns viel mehr Stress", sagt Barbara Heinz. Bei ihrer inzwischen elfjährigen Tochter Nathalie wurde vor etwa vier Jahren Diabetes festgestellt. Vor allem am Anfang sei die Diagnose für viele Eltern psychisch belastend, sagt Heinz aus Erfahrung. Neben der ständigen Sorge um das eigene Kind und schlaflosen Nächten durch das regelmäßig erforderliche Blutzuckermessen macht noch etwas vielen Betroffenen das Leben schwer: die Unwissenheit der anderen.

Erdweg: Wir waren völlig unvorbereitet", sagt Michaela Micheli über die Diagnose Diabetes bei ihrem Sohn. Die Krankheit sei ein riesiger Rucksack.

Wir waren völlig unvorbereitet", sagt Michaela Micheli über die Diagnose Diabetes bei ihrem Sohn. Die Krankheit sei ein riesiger Rucksack.

(Foto: Toni Heigl)

Die Geschichten, die sich die "Sweet Life"-Mütter zwischen Pizza und Antipasti erzählen, sind teils erschreckend. Sie handeln von Schulausflügen, bei denen das Kind fast zusammengebrochen wäre, weil der Lehrer nicht nach ihm sah, von Eltern, die diabeteskranke Kinder aus Angst und Verunsicherung nicht zu sich nach Hause einladen und von mobbenden Mitschülern. Einige Mütter erzählen, dass ihr Kind in der Schule ein Referat über die eigene Krankheit gehalten hat. Das habe sehr geholfen.

Auch über ihre Erfahrungen mit Ärzten, Insulinpumpen und die ideale Tupperbox für die Traubenzucker-Notration tauschen sich die Mütter angeregt aus. Und wenn es außerhalb der Treffen einmal dringende Fragen gibt, beantworten sie sich diese gegenseitig in der Whatsapp-Gruppe "Sweet Life". Eine besondere Hilfe sei, sagt Barbara Heinz, dass auch eine Mutter an den Treffen teilnimmt, die selbst an Diabetes erkrankt ist. "Sie geht super damit um. Das nimmt einem die Angst vor der Zukunft." Ihr Beispiel zeige ihr, dass ihre Tochter das ganz normale Leben einer heranwachsenden Frau führen und auch selbst einmal Mutter werden kann.

Von der Politik zu wenig wahrgenommen

Auch für Leiterin Micheli selbst ist die Gruppe eine Bereicherung: "Ich gehe jedes Mal gestärkt aus den Treffen heraus." Anfangs hat Micheli alle Kosten für ihre Selbsthilfegruppe noch allein getragen, zum Beispiel für die farbenfrohe Info-Broschüre, die überall im Landkreis ausliegt. Leistungssportler und Olympiasieger Matthias Steiner, selbst Diabetiker, hat dafür ein Geleitwort geschrieben. Darauf ist Micheli besonders stolz. Inzwischen arbeitet sie verstärkt mit dem Diabetikerbund zusammen, bei den regelmäßigen "Sweet-Life"-Treffen soll es nicht bleiben. Micheli hat bereits eine gemeinsame Fahrt zum Diabetestag und eine Weihnachtsfeier für alle beteiligten Familien geplant. "Unsere Kinder sollen ja mal sehen, mit wem ihre Mütter sich da immer treffen."

Ihr Ziel sei es, erklärt Michaela Micheli, so viele Menschen wie möglich auf das Leiden Diabetes aufmerksam zu machen. "Besonders in der Politik wird diese Krankheit viel zu wenig wahrgenommen." Außerdem wünsche sie sich, dass die Menschen insgesamt mehr aufeinender Acht geben. "Sweet Life" ist dafür ein Paradebeispiel.

Die Selbsthilfegruppe Sweet Life trifft sich jeden zweiten Mittwoch in den ungeraden Monaten von 19.30 Uhr an in Erdweg. Weitere Informationen bei Michaela Micheli unter 08138/66 57 38.

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