Erdweg:Vom Tanz zum Tumult

Poetischer Herbst

Wolfgang Möckl und Brigitte Fiedler von der Ludwig-Thoma-Gemeinde lesen im Wirtshaus am Erdweg Geschichten über das Tanzen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Eine literarische Zeitreise der Ludwig-Thoma-Gemeinde zum Poetischen Herbst und seinem Thema "Rundummadum". In Erdweg weiten Schauspieler und Musiker den Blick, bevor sie ihn heiter-sarkastisch auf die Dachauer Spezies hinführen

Von Tamara Wenger, Erdweg

Tanzen, das bedeutet leichtfüßig über den Boden zu schweben, sich dem Rhythmus der Musik hinzugeben. Beim Tanz scheint die Gefühlswelt Kopf zu stehen. Einen ganz neuen Einblick in die Welt des Tanzes bekamen die Besucher des Poetischen Herbst im Wirtshaus am Erdweg. Nein, niemand schwang an diesem Abend selbst das Tanzbein - so manchem männlichen Besucher war die Erleichterung darüber geradezu ins Gesicht geschrieben. Vielmehr erwartete die zahlreich erschienenen Gäste unter dem historischen Gebälk des restaurierten Tafernsaals eine literarische Zeitreise rund um das Thema Tanz - vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Textpassagen aus bekannten und unbekannten Werken wurden von der Ludwig-Thoma-Gemeinde im Rahmen der Veranstaltungsreihe, die vom Landkreis Dachau in Kooperation mit dem Dachauer Forum organisiert wird, vorgetragen. Für die musikalische Untermalung sorgte die Scheebrunna Danzlmusi.

Der Tanz wurde in der Literatur nicht immer als Ausdruck größter Lebensfreude oder als Chance einer romantischen Anbahnung beschrieben. Ganz im Gegenteil. Brigitte Fiedler, Bianca Mössinger, Wolfgang Möckl und Edi Hörl, entführten ihre Zuhörer zunächst in die Welt des Simplicissimus Teutsch. Im letzten Kapitel mit dem Titel "Wie Simplicius den Tanz verdorben" beschreibt Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen anschaulich die Szenerie einer Hochzeitsfeier. Überall wird getanzt. Überall "Getrippel und Gejohle". Sind denn alle ihrer Vernunft beraubt, die einem Affen gleich über die Tanzfläche huschen? Gleicht Tanz etwa gar einer Raserei? Diese Frage stellt Simplicius sich in einer Textpassage.

Auf die Spuren des Tango begab sich die Ludwig-Thoma-Gemeinde mit Wolfram Fleischhauers Roman "Drei Minuten mit der Wirklichkeit". Tango, eine Explosion der Emotionen; derartige Assoziationen mögen wohl die meisten mit dem argentinischen Paartanz verbinden. Glaubt man den Theorien dieses Romans, ist diese Vorstellung allerdings längst überholt. Ursprünglich sei der Tanz sogar ein reiner Männertanz gewesen.

Es folgte ein Zeitsprung in die Jetztzeit. Eine Zeit, in der Türsteher Clubs bewachen und den Tanzfreudigen quasi als letzte Instanz Einlass gewähren, oder eben nicht. Ein solches "Schreckensszenario im Kopf" tritt in den niedergeschriebenen Erinnerungen eines 16-Jährigen zutage. Nachdem er die "Zuchtbullen" am Eingang hinter sich gelassen hatte, fand sich der Protagonist unter einer "Horde Tanzzombies" wieder. Als er jedoch bemerkte, dass niemand sich für seine verrückten Muskelzuckungen interessierte, begann er, sich wohlzufühlen.

Ganz und gar nicht wohlgefühlt dürfte sich der elegante Graf Collalto im Roman "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo Perutz haben. Die Handlung spielt Mitte des 16. Jahrhunderts in Prag. Als besagter Collalto dem ungelenken Baron Juranic beim Tanz mit einer hübschen Dame ein Bein stellt, fordert dieser ihn zum Duell heraus. Beim Kampf mit dem Degen hat Collalto keine Chance. Er unterliegt. Sein Gegner schenkt ihm das Leben, jedoch nur unter einer Bedingung: Die ganze Nacht hindurch soll er durch die Gassen tanzen. Eine Sarabande, einen Todestanz soll er aufführen. Ein Wunder erlöst den Adeligen schlussendlich von seinen Tanzqualen.

Dass Tanz immer auch ein gesellschaftliches Ereignis ist, stellt Ludwig Thoma in seiner Kurzgeschichte "Kirta" unter Beweis. Der Autor karikiert dabei ein Kirchweihfest in Dachau, das er selbst miterlebt hat. "Beim Unterbräu geht es am lustigsten zu; da wird getanzt. Der Baß brummt und die Klankenetten pfeift. Aus dem Dunst tauchen die rotglühenden Gesichter auf und verschwinden wieder; gesprochen wird nichts, man hört bloß Keuchen und Schnaufen, und ab und zu im Übermaß des Entzückens ein gellendes Schreien und Pfeifen." Am Ende des munteren Treibens auf der Tanzfläche steht in Thomas Erzählung ein tumultartiges Handgemenge. Ein Stück Dachauer Identität wurde hier am Ende der Lesung vermittelt - ein Ziel der Veranstaltungsreihe, wie Annerose Stanglmayr, Geschäftsführerin des Dachauer Forum, verdeutlicht. Einheimische und Neubürger sollten sich hier gleichermaßen wohlfühlen.

Zum siebten Mal findet der Poetische Herbst des Landkreises 2015 unter dem Titel "Rundummadum" statt. Die nächste Veranstaltung am Sonntag, 11. Oktober, bringt allen Interessierten ein kirchenhistorisches Phänomen im Dachauer Land nahe. In der Kirche St. Stephan in Altomünster-Hohenzell (Pfarrer-Marz-Weg 5) befindet sich eine unbekannte Rarität: ein Gemälde aus der Zeit des Rokoko, das zur Gattung "Totentanz" gezählt wird. Auf seine Einzelheiten wird Mischa von Perger von 17 Uhr an eingehen. Für diese Veranstaltung können noch Karten im Vorverkauf beim Dachauer Forum unter der Telefonnummer 08131/9 96 88-0 oder per E-Mail unter info@dachauer-forum erworben werden.

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