Eine Dachauerin in Togo:Miss Dixie

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Waschbecken ohne Wasser und fast nirgendwo ein WC. Die Dachauerin Barbara Zinstag hilft, die hygienischen Verhältnisse in Togo zu verbessern.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Barbara Zinstag baut in Togo Toiletten. Nicht persönlich. Sie sammelt Geld dafür, auch mit ihrem Büchlein, das den sinnigen Titel "Nie wieder hinterm Busch" trägt. Andere sammeln Geld für Schulen, organisieren Brillenspenden oder unterstützen ein Patenkind in dem kleinen Land in Westafrika. Die Dachauerin Zinstag, die selbst zwei Kinder hat, unterstützt auch ein Patenkind in Togo. Über Aktion Pit, einen Verein aus Maisach, der seit 1980 Menschen in Togo hilft, kam sie zu ihrem Ehrenamt und wurde - eher zufällig - Toilettenbeauftragte, wie sie das selbst nennt.

In Togo mangelt es an sehr vielem, und Barbara Zinstag mangelt es an wenig. "Ich kann etwas abgeben", sagt sie. Damit ist für die 50-Jährige ihr Antrieb zu helfen ausreichend beschrieben. Abenteuerlust ist wohl auch dabei. Zinstag ist viel unterwegs, in Togo war sie 2012 das erste Mal, es folgte eine längere Reise im vergangenen November. Strom, Internet gar, sind selten. Trotzdem schafft es Zinstag, ein Facebook-Tagebuch zu führen. Hotelzimmer ohne Fenster, Waschbecken ohne Wasser, Straßen grundsätzlich ohne Beleuchtung. Hitze. Staub. Ständige Warterei und zum Essen immer derselbe Brei. Zinstag spricht noch etwas an, das fehlt: Toiletten. "Die Männer gehen ja einfach überall hin", erzählt sie. "Die stellen sich an jeden Straßenrand." Und die Frauen? Schulterzucken. Zinstag ist entsetzt, dass selbst in Schulen die Toiletten fehlen. In Dörfern gibt es, wenn überhaupt, eine für alle. Auch in Krankenhäusern sind sie nicht Standard.

In Togo breitet sich Typhus auch unter Kindern aus. Die Dachauerin Barbara Zinstag will deshalb die Hygiene verbessern. (Foto: Barbara Zinstag / privat / oh)

"Hier sitzen Sie richtig."

In manchen Gegenden der Welt werden Toiletten auch deshalb gebaut, damit Mädchen und Frauen sich nicht zu weit von der Siedlung entfernen müssen und womöglich überfallen werden. Das sei in Togo nicht das Problem, sagt Zinstag. Es gehe eher um die Hygiene. Typhus sei häufig und breite sich unter Kindern auch deshalb aus, weil diese im Dreck spielten. In einem von Aktion Pit unterstützten Schulbau für 800 Kinder in Nadoba wurden auch acht Toiletten eingebaut. Anderswo gibt es das nicht. Dann wird der Hof ringsherum zur Kloake.

Zinstag ist nicht der Typ für ernsthafte Reden über den politischen Zustand und die gesellschaftlichen Herausforderungen in Togo. Sie packt lieber an. Mit den Toiletten hat sie ihre Aufgabe gefunden. Die nimmt sie ernst, das Scherzen darüber lässt sie darum nicht sein. "Miss Dixie" nennt sie sich. Ihr Motto: "Hier sitzen Sie richtig." Unverdrossen wirbt Zinstag zu Hause in Dachau für ihr Projekt. Hält Vorträge in Schulen, zeigt kleine Filme, fordert auch schon mal Freunde auf, an ihren runden Geburtstagen Geld für eine Latrine zu sammeln. Ihre Söhne unterstützen sie. Beide hat sie mitgenommen auf ihre erste Reise nach Togo vor vier Jahren. "Sie sind auch mit dem Togo-Virus infiziert", scherzt Zinstag. Der ältere Sohn plant gerade im Studium ein Projekt für Togo, der Jüngere organisiert am Ignaz-Taschner-Gymnasium Spendenaktionen.

Toiletten in den Dörfern sind eine Seltenheit, und wenn es eine gibt, ist sie für alle da. (Foto: Barbara Zinstag / privat / oh)

Laut Auswärtigem Amt leben etwa 70 Prozent der Menschen in Togo von weniger als zwei US-Dollar pro Tag, drei Viertel leben von der Landwirtschaft, die im Norden des Landes noch schwieriger ist als im Süden. Im Norden gibt es nur eine Regenzeit pro Jahr. Zinstag sagt: "Es gibt nur Fufu." Das ist ein Brei aus Mais oder Ignamewurzel. Dazu Soßen unterschiedlichster Art. Seit dem Tod von Autokrat Gnassingbé Eyadema gilt die Diktatur in Togo als beendet. Seit 2005 ist sein Sohn Faure Präsident und macht sich gar nicht so schlecht, findet Margret Kopp. Die Gründerin von Aktion Pit fährt seit den Achtzigerjahren regelmäßig nach Togo. So ungeheuer groß die Probleme auch sind: Es geht voran mit dem Land, so ihr Eindruck. Es ist ein Wirtschaftswachstum eingetreten, die vergangenen Wahlen galten den internationalen Beobachtern als in Ordnung, sagt Kopp. Laut der Hilfsorganisation Terre des Hommes werden 44 Prozent der Kinder zur Arbeit gezwungen, ein Viertel der Mädchen wird minderjährig verheiratet. Die Hauptstadt Lomé gilt als Ort des Menschenhandels. Die Lebenserwartung der sieben Millionen Togoer liegt bei 54 Jahren. Aktion Pit engagiert sich daher besonders im Gesundheitswesen und für Bildung und Ausbildung.

Auch in den Schulen lässt die Hygiene zu wünschen übrig. Darunter leiden besonders die Kinder. (Foto: privat)

Eine Amtssprache in Togo ist Französisch. Zinstag lebte und arbeitete nach dem Abitur mehrere Jahre in Paris. Mit ihren Sprachkenntnissen konnte sie sich von Anfang an bei Aktion Pit nützlich machen. In Togo springt die gelernte Physiotherapeutin auch als OP-Schwester ein. Aktion Pit arbeitet mit dem medizinischen Hilfsverein Aimes Afrique zusammen. "Die togoischen Ärzte können, was deutsche auch können", sagt Zinstag. "Ihnen fehlt nur die Ausstattung." Zinstag berichtet von Operationen, die zum Teil mit nur lokaler Betäubung durchgeführt werden. "Die stehen nach der OP auf und gehen nach Hause." Auf ihrem iPad zeigt sie Fotos von Leistenbrüchen bei Kindern, übergroße Kröpfe, Tumorbehandlungen. Viele Erkrankungen bleiben über Jahre unbehandelt. Manchmal, sagt sie, nehmen die Operierten diese Geschwulste mit nach Hause, um den Dorfbewohnern zu zeigen, dass sie nicht vom Teufel besessen sind. Manche sehen zum ersten Mal einen Arzt. Immer, wenn das Ärzteteam weiterzieht, bleiben Menschen zurück, die auch noch Hilfe gebraucht hätten. Man könnte verzweifeln.

Doch Zinstag ist keine Grüblerin. Gerade um große Aufgaben bewältigen zu können, ist es manchmal besser, nicht zu viel nachzudenken, sondern einfach anzufangen. Dabei befolgt sie die Devise von Vereinsgründerin Margret Kopp, die sagt: "Ich tue nichts, wenn nicht die Initiative von den Togoern ausgeht." Das ist der Grundsatz des Vereins: Hilfe zur Selbsthilfe. Die ersten Näherinnen, die mit Hilfe des Vereins eine Ausbildung gemacht haben, geben ihr Wissen bereits weiter.

Sie schreibt so spontan, wie sie hilft

Während Zinstag in einem Dachauer Café von Togo und ihrer Mission erzählt, geht hinter ihr ein junger Mann in eine schmale Altstadtgasse, stellt sich an einen Busch. Kurz darauf folgen zwei weitere. Aha. Das ist das Dachauer Altstadt-Urinal. Dabei gibt es, wenn man Zinstag so zuhört, allein in Dachau wahrscheinlich mehr Toiletten als in ganz Togo. Ob die drei wohl die richtigen Ansprechpartner für die Latrinen-Mission wären? Zinstag lacht. Sie kennt viele Leute in Dachau, die sie um Spenden und Unterstützung bitten kann. Sie ist hier aufgewachsen, zur Schule gegangen, und viele Leute kennen sie. Immer wieder muss sie ihren Redefluss unterbrechen für einen Gruß hier, ein kurzes Gespräch da. Zuhause fühlt sich Zinstag trotzdem am ehesten unterwegs. Drang zum Reisen, Drang zur Veränderung treiben Zinstag an. Gerade hat sie ihr Geschäft "Cotton Club" in der Dachauer Altstadt einer neuen Besitzerin übergeben: "Alle sieben Jahre soll man sich doch erneuern."

Ein gebrechlicher, alter Mann kommt vorbei, der sich beim Gehen vorsichtig an einer Hauswand entlangtastet. Zögerlich bleibt er an einer Hausecke stehen. Zinstag springt auf, hilft dem Mann über die Straße zur nächsten Hauswand. Dann kommt sie zurück, zeigt weiter Fotos aus togoischen Dörfern. Aus ihren Facebook-Einträgen hat sie ihr Buch gemacht. Gut geeignet für Weltenbummler und Hilfsbereite, nichts für Menschen, die Wert auf Kommasetzung und Orthografie legen. Zinstag beschreibt subjektiv, emotional, selbstironisch, mit großer Sympathie und echter Anteilnahme. Sie schreibt so spontan, wie sie hilft, so spontan, wie sie offensichtlich gerne lebt. Vielleicht schafft sie es, anderen damit auf die Sprünge zu helfen.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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