Ehrenamtliche Asyl-Helfer:"Ich zähle keine Stunden"

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Vor einigen Monaten halfen die Freiwilligen noch beim Aufstellen von Betten in Notunterkünften. Nun geht es um die Wohnungs- und Jobsuche. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Hunderte engagieren sich im Landkreis für Flüchtlinge. Vier von ihnen sprechen über die Auswirkungen auf ihr Leben, die Schwierigkeit, Distanz zu wahren - und bürokratische Fallstricke.

Interview von Sebastian Jannasch und Anna-Sophia Lang

Die Asylhelfer im Landkreis Dachau haben aufregende Monate hinter sich. Viele hundert Flüchtlinge haben in den Gemeinden Schutz gesucht. Die Freiwilligen haben Männer, Frauen und Kinder empfangen und sie bei den ersten Schritten begleitet. Die Helfer geben Unterricht, unterstützen bei der Wohnungssuche und machen Flüchtlinge mit dem Leben in Deutschland vertraut. Eine Aufgabe, die nicht immer leicht ist. Deshalb sprach die SZ mit vier der 1200 Ehrenamtlichen im Landkreis: Monika Sedlatschek, Waltraud Wolfsmüller, Detlef Wiese und Michael Stock. Manche engagieren sich schon seit Jahren, andere sind seit kurzem dabei. Alle sind berufstätig. Im Gespräch ziehen sie eine persönliche Bilanz. Sie erzählen, wie ihr Privatleben leidet, welche Konflikte sie mit dem Landratsamt austragen und davon, dass man sich manchmal von den Schicksalen distanzieren muss.

SZ: Im Sommer 2015 setzte eine große Welle der Hilfsbereitschaft in Deutschland ein. Wie viel ist davon übrig geblieben?

Waltraud Wolfsmüller: Wir sind noch voller Elan dabei. Der Dachauer Arbeitskreis Asyl ist mittlerweile von 40 auf 200 Helfer gewachsen. Nur wenige haben aufgehört. Die meisten Helfer sind im Spätsommer dazugekommen, als die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof um die Welt gingen. Allerdings dachten damals viele, sie könnten hier einfach Wasserflaschen und Spielzeug verteilen. Aber Dachau ist keine Durchgangsstation. Manche waren enttäuscht und haben es sich noch einmal überlegt. Helfer, die jetzt kommen, wissen genau, was sie auf sie zukommt. Auch der Blick ist realistischer geworden: In den Leuten, die zu uns kommen, sehen wir nicht mehr die armen Flüchtlinge, sondern Menschen mit Zielen und Plänen.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Detlef Wiese, 52, Unternehmer in der Medientechnik, Helferkreis Haimhausen, engagiert sich seit vier Monaten.

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Monika Sedlatschek, 56, Pflegekraft, Helferkreis in Erdweg, engagiert sich seit zweieinhalb Jahren.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Michael Stock, 43, Unternehmensberater, Helferkreis Karlsfeld, engagiert sich seit gut einem halben Jahr.

Waltraud Wolfsmüller, 53, Verwaltungswirtin, Arbeitskreis Asyl Dachau, engagiert sich seit sechs Jahren.

Monika Sedlatschek: Auch die Art unserer Hilfe hat sich verändert. Am Anfang ging es vor allem um Grundbedürfnisse: Kleidung, Fahrkarten, Arztbesuche, Deutsch lernen. Jetzt ist die Aufgabe eher, Jobs und Wohnungen zu finden. Das ist extrem aufwendig und Erfolgserlebnisse sind selten.

Inzwischen leben im Landkreis etwa 2000 Asylsuchende. Bis Jahresende könnten es 3200 sein. Was bedeutet das für die Helfer?

Wolfsmüller: Wir mussten uns besser organisieren. Bei einer kleinen Gruppe von Helfern kann man sich noch einfach absprechen. Aber bei diesen Dimensionen braucht man eine Arbeitsaufteilung. In Dachau haben wir zum Beispiel Arbeitsgruppen für Deutschkurse, Wohnungssuche, Jobberatung und Hausaufgabenhilfe. Das hat nicht jedem gefallen. Einige befürchteten, man hätte dann vor lauter Organisation keine Zeit mehr für die Menschen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Es bleibt mehr Raum, sich dem Helfen zu widmen. Es rufen dann zum Beispiel nicht zehn verschiedene Leute bei einer Firma an und fragen nach einem Praktikum.

Sedlatschek: Ich bin an die Arbeit im Helferkreis ziemlich unbedarft rangegangen. Als die ersten zwölf Menschen in Erdweg vor der Tür standen, haben wir zum Beispiel gar nicht daran gedacht, dass man manche nicht im selben Zimmer unterbringen sollte, weil sie aus unterschiedlichen Kulturen kommen und sich nicht verstehen. Heute achten wir auf kulturelle Unterschiede. Wir haben dazu gelernt, aber stehen auch vor neuen Problemen, vor allem, was die Wohnungssuche angeht. Erst vor ein paar Tagen ist die Frau eines Syrers nachgekommen, der bereits anerkannt ist. Er lebt noch in der Unterkunft, aber sie durfte dort nicht einziehen. Das hat das Landratsamt abgelehnt. So schnell war keine Wohnung zu finden, deshalb wäre die Frau obdachlos geworden. Am Ende mussten wir sie privat unterbringen.

Das verlangt Ihnen einen hohen persönlichen Einsatz ab. Wie sehr beeinträchtigt die ehrenamtliche Arbeit Ihr Privatleben?

Detlef Wiese: Meine Kinder sind 21 und 19 Jahre alt und aus dem Haus, ich habe also Luft. Ich zähle keine Stunden, aber es ist schon eine Art Halbtagsjob, vornehmlich abends, nachts und am Wochenende.

Michael Stock: Man muss ehrlich sagen, die engagiertesten Helfer haben keine Hobbys mehr. Nach der Arbeit gehe ich meist direkt in die Traglufthalle und verbringe jede freie Minute dort. Teile des Wochenendes versuche ich mir für meine Kinder frei zu halten. Ich muss noch eine bessere Balance finden.

Wolfsmüller: Das Privatleben leidet sehr. Mails beantworte ich nachts. Das geht erst um 22 Uhr los. Nebenbei bin ich noch für neue Helfer da und betreue eine Flüchtlingsfamilie. Da stehe ich schon mal am Wochenende am Fußballfeld und feuere deren Sohn an. Manchmal nehme ich auch meine Tochter mit. Helfer können aber auch nur ein oder zweimal in der Woche eine Aufgabe übernehmen, zum Beispiel Deutschunterricht geben. Es ist trotzdem wichtig, dass man regelmäßig dabei ist.

Das klingt anstrengend. Wird einem das nicht alles irgendwann zu viel?

Wolfsmüller: Frust gibt es schon, aber ich schmeiße deshalb nicht hin. Man muss eben nachsteuern, improvisieren, einen neuen Weg finden.

Wiese: Ich kenne keinen Frust. Ich gehe die Dinge unternehmerisch an. Einen Helferkreis aufzubauen ist für mich wie ein Start-up. Man muss neue Arbeitsläufe integrieren und optimieren. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Ehrenamtlichen zu verschiedenen Zeiten verfügbar sind und unterschiedliche Kompetenzen haben. Wir profitieren von der Erfahrung anderer Helferkreise. Wir haben uns angeschaut, was sie gemacht haben und versucht, aus ihren Stärken und Fehlern zu lernen.

Stock: Wir müssen mit Problemen klarkommen und dürfen uns nicht darin verbeißen. Wer nicht genug Motivation hat, gibt schnell auf. Frust ist für mich kein Thema. Schockiert hat mich allerdings ein Erlebnis, das ich ganz am Anfang meines Engagements hatte. Damals war ich noch in Dachau aktiv. Als ich bei Bekannten um Kleiderspenden bat, bekam ich E-Mails mit der Aufforderung, ich solle aufhören, Terroristen zu unterstützen.

Sedlatschek: Offen angefeindet wurde ich noch nicht, aber was an Stammtischen teilweise gesprochen wird, ist schon gruselig. Auch in Erdweg gibt es Gerüchte über kriminelle Flüchtlinge. Dagegen hilft bloß Aufklärung. Deshalb habe ich auch bei der letzten Bürgerversammlung gesagt, dass man sich mit Fragen immer an mich wenden kann. Im Alltag macht mir aber eher die Zusammenarbeit mit den Behörden zu schaffen. Wenn es nicht um Menschen gehen würde, hätten wir als Helferkreis schon längst gesagt: Bitte schön, Landratsamt, macht es alleine.

Wo hakt es bei der Zusammenarbeit mit dem Landratsamt?

Stock: Ich glaube, da machen die Helferkreise unterschiedliche Erfahrungen. Bei uns funktioniert die Zusammenarbeit ganz gut. Aber alles läuft auch nicht rund. Zum Beispiel kamen schon einmal Leute mit der S-Bahn an und hatten eine Wegbeschreibung zu einer Straße, die nicht mal bei Google Maps existiert. Wenn wir rechtzeitig wüssten, wann sie kommen, könnten wir sie abholen. Insgesamt versuchen wir, so viel wie möglich ohne das Landratsamt zu planen.

Wiese: Mein Vorteil war, dass ich Unternehmer bin und vorher nichts mit Kommunalpolitik zu tun hatte. So bin ich ganz unvoreingenommen an die Aufgabe rangegangen. Ich hatte erwartet, dass Helfer und Behörden auf Augenhöhe und mit Respekt miteinander umgehen. Jetzt erlebe ich aber immer wieder ein tagelanges Hin und Her, wenn neue Flüchtlinge zu uns kommen. Plötzlich stehen dann vier Leute im Ort, ohne dass wir rechtzeitig informiert wurden. Da frage ich mich: Muss das so laufen?

Sedlatschek: Das kennen wir auch. Es ist momentan frustrierend mit dem Landratsamt. Wenn Flüchtlinge kurzfristig untergebracht werden müssen, sollen wir das regeln, notfalls auch am Wochenende. Sonst haben wir aber nichts zu sagen. Es entsteht der Eindruck, dass das Landratsamt gern alles, was unangenehm ist, auf die Helferkreise abwälzt. Auch bei der Kommunikation hapert es: Mir kommt es manchmal vor, als wären dort die Telefone abgestellt. Wir werden nicht über Vorgänge informiert, die für uns wichtig sind, sollen dann aber springen.

Ist das Kalkül oder Unvermögen?

Sedlatschek: Nein, das ist kein Kalkül. Dafür ist es viel zu chaotisch. Ein anderes Beispiel: Ich bettele schon seit Anfang 2015 um einen Kümmerer vom Landratsamt. Im September stand plötzlich einer vor der Unterkunft, im Dezember war er wieder weg und vor ein paar Tagen war jemand Neues da. Alles ohne Ankündigung und Absprache. Das geht so nicht. Ich engagiere mich jetzt seit zweieinhalb Jahren. Ich lasse mich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, aber so habe ich keine Lust mehr. Wir sind mit Pflichtaufgaben überfrachtet. Unsere eigentlichen Aufgaben, wie gemeinsam kochen oder den Menschen das Leben in Deutschland näher bringen, bleiben immer mehr auf der Strecke.

Stock: Vielleicht hat das Landratsamt einfach zu wenig Personal. Mir kommt es vor, als würde ich immer mit den selben fünf Leuten reden. Man kann von den Mitarbeitern nicht erwarten, dass sie zwölf Stunden am Tag arbeiten.

Wiese: Das sehe ich nicht so. Der Landrat sagt ja öffentlich immer wieder, dass viele zusätzliche Mitarbeiter eingestellt wurden. Obwohl ich erst seit vier Monaten dabei bin, bin ich schon äußerst enttäuscht. Prozesse müssen standardisiert werden, damit wir uns nicht in der Kommunikation zu den immer gleichen Themen aufreiben.

Sie fühlen sich vom Landratsamt zu sehr in die Pflicht genommen.

Wolfsmüller: Wir mussten uns schon einige Male dagegen wehren, dass uns ungefragt Aufgaben zugeschoben werden, die gar nicht in unserer Verantwortung liegen. Zum Beispiel wurde uns schon öfter gesagt, wir seien zuständig bei Krankheiten. Das ist aber Aufgabe des Gesundheitsamtes. Grundsätzlich sind die Helferkreise für gar nichts zuständig, wir sind keine Behörde. Alles, was wir tun, ist freiwillig. Wir übernehmen gerne Aufgaben, aber dann muss man mit uns sprechen.

Sedlatschek: Und wenn wir dann einmal die Initiative ergreifen, passt es auch wieder nicht. Vor kurzem haben wir in einer Unterkunft leere Batterien in einem Rauchmelder ausgetauscht. Prompt kam der Anruf vom Landratsamt: Dafür seid ihr nicht zuständig. Was für ein Irrsinn.

Was muss sich ändern?

Wiese: Die Kommunikation muss besser werden. Wir brauchen Verbindlichkeit. Es muss auch allen klar sein, dass nicht nur die Helferkreise für die Integration verantwortlich sind. Da sind alle gefragt: Gemeinden, Kultur- und Sportvereine, Arbeitsagentur, die Caritas die Schulen, die Unternehmen, letztlich alle Bürger.

Stock: Dazu gehört auch, dass wir die Flüchtlinge ins alltägliche Stadtbild integrieren und sie nicht fernab im Gewerbegebiet sitzen lassen.

Welche Rolle spielen die Helfer? Kann zu viel Hilfe Integration behindern?

Wiese: In den ersten zwei, drei Wochen nach der Ankunft findet das klassische Kümmern statt. Da wollen wir einfach sicherstellen, dass es den Menschen gut geht. Das ändert sich dann. Wir wollen den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Die Leute haben Ziele und Pläne. Manche wollen arbeiten, andere eine Ausbildung machen oder zur Schule gehen. Wir unterstützen sie dabei und erklären ihnen auch, wenn etwas nicht geht.

Wolfsmüller: Das handhaben wir genauso. Wir sehen uns nicht als Entscheider, sondern als Berater. Von oben herab mit dem erhobenen Zeigefinger, das wollen wir nicht. Wir gehen möglichst wenige Wege mit, wer allein zum Arzt oder zum Amt gehen kann, soll das machen. Niemand soll sich abhängig von uns fühlen.

Stock: Da gibt es innerhalb des Karlsfelder Helferkreises unterschiedliche Herangehensweisen. Es gibt einige, die die Leute an die Hand nehmen, alles für sie übernehmen und sie wie Kinder erziehen wollen. Aber das hilft weder den Flüchtlingen noch uns. Denn wenn sie hier bleiben, müssen sie in der Lage sein, alles selbst zu machen.

Haben Sie trotzdem einen persönlichen Bezug zu den Menschen?

Stock: Natürlich. Wenn ich mal nicht so oft da bin, werde ich von einigen Flüchtlingen gleich gefragt, ob ich sie nicht mehr mag.

Sedlatschek: Man muss sich aber schon auch Grenzen setzen. Man kann nicht auf Dauer ständig präsent sein. Denn die Flüchtlinge werden uns in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch brauchen. Da muss man schauen, dass man sich seine Ressourcen einteilt.

Die Helfer müssen also auch auf sich selbst aufpassen.

Sedlatschek: Wir machen etwa alle sechs Wochen eine Supervision, bei der sich die Leute aussprechen können. Das ist sehr wertvoll. Als die ersten Flüchtlinge zu uns kamen, war ich etwas blauäugig. Da sind sie bei mir daheim ein und aus gegangen.

Stock: Die Grenze habe ich schon von Anfang an gezogen. Ich habe nicht sofort meine Handynummer herausgegeben, die Leute nicht sofort zu mir nach Hause eingeladen. Man muss erst mal rausfinden, wie gut man selbst mit den Menschen umgehen kann, damit ihre Geschichten einem nicht den Schlaf rauben. Das Problem ist, dass sie das doch irgendwann tun.

Kann man das überhaupt verhindern?

Sedlatschek: Manche Menschen wachsen einem schon ans Herz. Es ist schlimm, wenn bei Nacht und Nebel die Polizei kommt und jemanden abholt. Oder wenn einer unserer Senegalesen gehen muss, bloß weil er aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland kommt - obwohl er seit zwei Jahren hier lebt, gut Deutsch spricht und eine feste Arbeitsstelle in Aussicht hat. Das ist so unmenschlich, das tut mir in der Seele weh. Die Menschen leben hier wie auf einem Schleudersitz, der jederzeit losgehen kann. Man muss emotionsloser werden. Die Schicksale hält man sonst manchmal nicht aus.

© SZ vom 31.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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