Die Leidenschaft eines Pensionärs:Verliebt in Gotteshäuser

Lesezeit: 4 min

Hans Schertl aus Oberndorf hat eine Website geschaffen, die auf großes Interesse stößt und als Standardwerk über die Kirchen und Kapellen im Landkreis gelten kann. Sakralbauten, die in der Regel verschlossen sind, werden so virtuell begehbar

Von Benjamin Emonts, Haimhausen

Im Landkreis Dachau gibt es kaum ein sakrales Gebäude, das nicht auf der Website von Hans Schertl zu finden ist. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Oberndorfer Hans Schertl hat zwei große Leidenschaften. Die erste, das ist in seinem Wintergarten unschwer zu erkennen, gilt Pflanzen, genauer gesagt fast 80 Kakteen, die er bei sich zu Hause züchtet. Für seine zweite Leidenschaft sitzt der 72-jährige Pensionär oft am Computer oder reist über die Dörfer. Sie gilt den Heiligen Stätten im Landkreis Dachau, in dem es so viele Kirchen und Kapellen wie nirgendwo sonst in Südbayern gibt. Der Hobby-Historiker macht sie auf seiner eigenen Internetseite seit nun fast 17 Jahren virtuell begehbar. Oder wie Schertl es sagt: "Ich habe ein virtuelles Guckloch durch die verschlossene Kirchentür geschaffen."

"Die Seite ist mein Hauptberuf geworden"

Um Schertls Leistung zu begreifen, muss man sich zunächst einige Zahlen vergegenwärtigen. Seit der Eröffnung seiner Internet-Seite "kirchenundkapellen.de" haben 3,2 Millionen Menschen die Webseite besucht. Auf rund 600 einzelnen Textseiten beschreibt Schertl 267 Kirchen und Kapellen, fast alle davon im Landkreis Dachau. Hinzu kommen 1100 Seiten, auf denen religiöse Flurdenkmäler, sprich Wegkreuze, Marterl und Bildstöcke beschrieben werden. Außerdem liefert die Seite Informationen zu 300 Künstlern, die in den Kirchen des Landkreises tätig waren. Grün unterlegte Fachwörter lassen sich anklicken und werden definiert. Einzelne Gegenstände aus den Kirchen, beispielsweise Glocken oder Heiligenfiguren, werden miteinander verglichen, um den Blick für das Detail zu schärfen. Vereinzelt sind die Geschichten von Wegkreuzen und Marterln dokumentiert. Außerdem beinhaltet die Seite Zusammenstellungen aller Glocken, Kirchtürme und Turmzwiebeln. Ausgedruckt hätte die Webseite 3500 Seiten Text und mehr als 9500 große Bilder. "Die Seite ist mein Hauptberuf geworden, seit ich 2006 in Pension gegangen bin", sagt der ehemalige Mitarbeiter im Finanzministerium. "Ich beschäftige mich mit der Seite mindestens 1200 Stunden im Jahr."

Die Kirche als Kunstwerk

Was treibt einen Mann zu so einer Leidenschaft? Vordergründig ist es die Liebe zur Kunst, denn nichts anderes sind Kirchen und Kapellen in seinen Augen. "Eine Kirche ist ein Kunstwerk", sagt Hans Schertl. Diese Begeisterung für sakrale Bauten hatte er schon von klein auf. In einem kleinen Dorf in der Oberpfalz wuchs Schertl direkt neben der Kirche auf. Sie war der Ortsmittelpunkt und der einzige Platz, an dem sich etwas regte. Wenn der Mesner die Glocken läutete, stieg der Bub mit auf den Kirchturm hinauf. Mit nur fünf Jahren wurde Schertl dann Ministrant. Und seine Leidenschaft für Gotteshäuser ließ ihn nie wieder los.

Auch die Kirche von Westerndorf mit ihrem schiefen Turm ist auf der Internetseite von Hans Schertl beschrieben. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Als er wegen der Liebe in den Landkreis Dachau zog, war Schertl fasziniert von der Schönheit und Vielfältigkeit der zahlreichen Kirchen. Ihm fiel allerdings auf, dass fast alle Bauten im Landkreis die meiste Zeit geschlossen waren, wenn nicht gerade Messen dort stattfanden. In den Siebzigerjahren hatte es eine regelrechte Diebstahlserie in den hiesigen Kirchen gegeben und man sperrte die Gotteshäuser fortan sicherheitshalber zu. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Schertl bedauerte, dass all die Kunstschätze die meiste Zeit im Verborgenen blieben und beschloss, sie auf einer Internetseite begehbar zu machen. Als Vater zweier Söhne verfolgte er dabei auch den Hintergedanken, möglichst viele Jugendliche zu erreichen. Sie, so ist sich Schertl sicher, sind für das Thema am leichtesten über das Medium Internet zu begeistern anstatt durch Bücher oder Bildbände.

Hohe Klickzahlen

Die Klickzahlen - allein im Jahr 2016 wurde die Webseite 362 000 Mal aufgerufen - beweisen, dass Schertl damit wohl nicht falsch liegt. Im Landkreis Dachau wird seine Seite inzwischen an allen Gymnasien im Religionsunterricht eingesetzt. Jahrelang gehörte die Seite zur empfohlenen Literatur für Theologiestudenten in München. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Relevanz hat die Bayerische Staatsbibliothek die Seite vor drei Jahren in ihr elektronisches Langzeitarchiv aufgenommen. Über einen Link steht die Seite den Forschern dort zur Verfügung. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Schertls Seite eine Art Standardwerk für die Kirchen und Kapellen im Landkreis und in der Region geworden ist, das es so umfangreich vermutlich für keinen zweiten Landkreis in Deutschland gibt.

Die Klosterkirche Markt Indersdorf (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Texte auf den Seiten entstammen Zeitungsausschnitten, Ortschroniken, Festschriften und Bildbänden, die Schertl seit 1977 sammelt. Viele Informationen bekommt der 72-Jährige außerdem aus historischen Büchern, die im Internet eingescannt sind, oder durch Dokumente und Auflistungen, die das Stadtarchiv Dachau oder die Erzdiözese München bereitstellen. Abgesehen von seiner Pfarrei, über die er eigene Recherchen angestellt hat, übernimmt Schertl die Ergebnisse der Heimatforscher und lässt sie auf seiner Seite einfließen. Seinen Urlaub hat Schertl jahrelang fast komplett im Landkreis verbracht, um die Heiligen Stätten oft mit dem Fahrrad zu besuchen. So ist über die Jahre eine Fotosammlung mit 40 000 Bildern von Kirchen, Kapellen und Flurdenkmälern entstanden.

Er bekommt Anfragen, welche Kirche sich denn gut zum Heiraten eignen würde

Man könnte nun denken, Schertl sei so etwas wie ein Nerd, wie man neudeutsch so schön sagt. Aber das ist er beileibe nicht. Er ist ein offener, humorvoller Mann, der sich für sehr vieles interessiert, beispielsweise auch für Fußball. Er leitet seit mittlerweile 33 Jahren die Schönbrunner Sänger, die traditionell in Dachauer Tracht auftreten, und ist ein passionierter Gärtner, der voller Freude auf seinen reich bestückten Zitronenbaum zeigt. Grinsend erzählt er, wie er bei seinen Reisen zu den Kirchen mehrmals in Schwierigkeiten mit erbosten Hofhunden geraten ist, die den benachbarten Pfarrhof als ihr Revier betrachten. Von Bürgern, die bald heiraten wollen, bekomme er immer wieder Anfragen, welche Kirche sich denn gut zum Heiraten eignen würde und wo eine gute Gaststätte für die Feier in der Nachbarschaft liegt. Im Landkreis gilt Schertl nun mal aus ausgewiesener Experte für Kirchen und Kapellen. Die Leute wollen von seinem riesigen Wissensschatz profitieren.

Zu den schönsten Gotteshäusern im Landkreis gehört auch die Klosterkirche in Altomünster. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Frage, ob er nicht stolz auf sein digitales Nachschlagewerk sei, beantwortet der bescheidene Mann mit einem klaren Nein. Er sagt lieber, dass er es schön findet, dass so viele Menschen seine Seite besuchen. Kardinal Reinhard Marx verlieh ihm 2014 im Freisinger Dom die Korbiniansmedaille für außergewöhnliches ehrenamtliches Engagement im kirchlichen Bereich. "Das hat mich schon schwer beeindruckt", sagt Schertl, als wäre er bloß ein Zuschauer gewesen. Er wird auch künftig nach jedem Detail und jedem Schatz für seine Webseite suchen. Denn die Schönheit unserer Kirchen soll schließlich nicht im Verborgenen bleiben.

© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: