Die Heldin von Chesterfield:"Isi, wir sind stolz auf dich"

Freunde, Familie und Mitschüler des Gymnasiums Markt Indersdorf feiern ihre Heldin Isabella Hartig: Mit zwei Toren im Finale sichert die 16-jährige Vierkirchnerin den deutschen Fußball-Juniorinnen den Europameistertitel.

Von Benjamin Emonts

Dienstagvormittag, 11 Uhr: Es ist ausnahmsweise nicht die Stimme von Schulleiter Thomas Höhenleitner, die über die Lautsprecher des Gymnasiums Markt Indersdorf (GMI) ertönt - sondern der Mitschnitt des Live-Kommentars vom EM-Finale der U17-Frauen zwischen Deutschland und Spanien: "Und da ist er drin. Deutschland schafft den Ausgleich durch die Frau mit der Glücksnummer 13. Da ist das Tor durch Isabella Hartig!"

UEFA European Women's Under - 17 Championship Final - Germany v Spain

So sehen Sieger aus: Isabella Hartig aus Vierkirchen freut sich über den EM-Titel ihrer Mannschaft.

(Foto: Getty Images)

Es ist der späte 1:1-Ausgleich, und mit ihm beginnt die märchenhafte Geschichte von Isabella Hartig. Erst eine Woche vor dem Start der EM hatte die Vierkirchnerin erfahren, dass sie bei dem Turnier in Birmingham überhaupt mit dabei sein würde. Dann, in den vier Partien vor dem Finale, wurde sie gerade mal zehn Minuten eingesetzt. "Es ist ein cooles Gefühl, überhaupt dazuzugehören", versicherte sie der SZ noch vor dem Halbfinale gegen Italien. Am Sonntagabend im Stadion von Chesterfield kam es dann zu der unglaublichen Wendung: Isabella Hartig , das Mädchen, das immer auf der Ersatzbank gesessen hatte, wurde eingewechselt, erzielte erst den rettenden Ausgleich und wenig später auch noch den entscheidenden Treffer im Elfmeterschießen (3:1). Dank Isabella Hartig sind die deutschen U17-Juniorinnen nun Fußball-Europameister.

Freunde, Familie, Schule: Alle sind unglaublich stolz. Mitschülerin und Freundin Sabrina Thoma hat den Mitschnitt des Kommentars aufgenommen und ihn - mit Erlaubnis des Schulleiters - der gesamten Schule vorgespielt. Danach richtet die Elfklässlerin im Namen aller GMI-Schüler selbst das Wort an Hartig: "Isi, wir sind stolz auf dich und wünschen dir weiterhin so viel Erfolg." Die ganze Schule klatscht.

Elfi Hartig, Isabellas Mutter, sieht das Spiel am Sonntagabend gemeinsam mit Ehemann Michael und Sohn Thomas per Live-Stream im Internet, die ganze Verwandtschaft sitzt vor dem Fernseher. Die Aufregung ist groß, obwohl Isabella die gesamte erste Spielhälfte auf der Ersatzbank sitzt und zuschauen muss. Zu Beginn der zweiten Halbzeit sieht Elfi Hartig, dass ihre Tochter sich warmläuft. "Ich erkenne sie ja sofort am Laufen." In der 55. Spielminute wird Isabella eingewechselt. Der Kommentator auf Eurosport sagt: "Vielleicht bringt die Nummer 13 dem Team ja noch Glück." Elfi Hartig schreit durchs ganze Haus. Ihr Puls wird sich lange nicht beruhigen. In der 76. Spielminute, vier Minuten vor dem Ende, greifen die deutschen Mädchen über die rechte Seite an - die Szene ist inzwischen auch im Internet zu sehen. Die Außenspielerin Nina Ehegötz erläuft einen Steilpass, kurz vor der Grundlinie flankt sie nach innen. Der Pass ist nicht sonderlich gut gespielt. Doch wie von Zauberhand gelenkt, hoppelt der Ball an Freund und Feind vorbei und landet vor den Füßen von: Isabella Hartig. Die nutzt die Chance eiskalt und schießt den Ball aus kurzer Distanz mit dem Innenrist ins kurze Eck. Der rettende Ausgleich. Im Wohnhaus der Hartigs bricht Jubel aus. "Ich war noch nie so stolz in meinem Leben", sagt Mutter Elfi am Montag. "Sie hat ja so wenig gespielt und ich habe sie immer angerufen, um ihr Mut zuzusprechen. Ich habe immer gesagt: Deine Zeit kommt noch."

Isabella, die im Finale erst ihr zweites Länderspiel absolvierte, kann sich einen Tag später an den spielentscheidenden Moment schon gar nicht mehr richtig erinnern. "Ich weiß nicht mehr, ob ich ihn flach oder hoch reingeschossen habe. Ich hatte so etwas wie einen Blackout." So oder so: Die deutschen Mädchen retten in den letzten Minuten das Remis über die Zeit und kommen ins Elfmeterschießen. "Auch mit etwas Glück", wie Hartig sagt. Die favorisierten Spanierinnen waren lange Zeit überlegen, mehrmals hätten sie die Chance gehabt, den Titel klarzumachen.

Doch so kam es zum alles entscheidenden Elfmeterschießen. Der psychische Druck, der dabei auf den Spielern lastet, ist enorm: Bastian Schweinsteiger, der wie Hartig für den FC Bayern spielt, hatte im Champions-League Finale 2012 den entscheidenden Elfmeter gegen Chelsea verschossen. Die 16-jährige Hartig aber blieb selbst vor den 1200 Zuschauern in Chesterfield cool: Sie verwandelte sicher, halbhoch ins linke Eck. Es war die Entscheidung. Ihre Co-Trainerin, Friederike Kromp, sagt: "Als Neuling versteckt sie sich nicht, ist unaufgeregt und selbstbewusst. Das spricht für ihren Charakter."

Was nach dem Elfmeter folgte, war Freude pur. Hartigs Mitspielerinnen stürmten auf die Vierkirchnerin zu und warfen sich auf sie. "Ich bekam kaum noch Luft." Dann kam der Moment, von dem die meisten Fußballer ihr ganzes Leben lang nur träumen dürfen: Im Konfettiregen und vom Jubel der Zuschauer begleitet, nahmen die Spielerinnen den silbernen EM-Pokal entgegen: Auch Isabella Hartig streckte ihn stolz in die Höhe. Mit einem Tag Abstand sagt sie: "Das war so ein krasser Moment: voll schön und aufregend. Ich kann das echt noch nicht richtig fassen, weil ich mir das nie erträumt hätte."

Seit jenem Sonntagabend hat sich die Welt der 16-Jährigen verändert. "Kurzzeitig", wie sie bescheiden anfügt. Sie ist klug genug, um zu wissen, dass sich der Trubel um ihre Person schnell wieder legen wird. Auch kann sie einschätzen, dass die vielen Glückwünsche von Bekannten, Weggefährten, Medien oder der euphorische Empfang in der Schule etwas ganz Besonderes bleiben wird. Mit einem so stürmischen Empfang der Mitschüler aber hatte Isabella Hartig nicht gerechnet - am Montagabend nach ihrer Ankunft sagte sie am Telefon: "Ich freue mich auf meine Freunde, auf die Schule aber nicht."

Der Alltag beginnt wieder: Seit Dienstag muss Isabella wieder ganz normal in die Schule gehen - die dreiwöchige Freistellung durch das GMI ist beendet. Wie die Karriere der 16-Jährigen weitergeht, wird sich zeigen: Es ist nicht leicht, als Frau, vom Fußball zu leben. Hartigs Geschichte aber zeigt: Geduld und Beharrlichkeit zahlen sich aus. Mit dem EM-Sieg gegen Spanien haben sich die deutschen Mädchen für die WM in Costa Rica im März qualifiziert: "Dann will ich Stammspielerin sein."

Das Märchen, es geht vielleicht weiter.

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