Die große Sorge:Gegen die "braune Renaissance"

Auf der Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte Dachau beklagen Redner einen erstarkenden Rassismus und ermahnen die Politik, rechtsextreme Entwicklungen nicht auf die leichte Schuler zu nehmen

Von Walter Gierlich

Mehrere Hundert Teilnehmer sind am Sonntag in die KZ-Gedenkstätte Dachau gekommen, um den 72. Jahrestag der Befreiung des Lagers zu begehen. Von 1933 bis 1945 erlitten in Dachau mehr als 200 000 Menschen aus ganz Europa den Terror der SS, 41 500 überlebten die Qualen nicht oder wurden ermordet. Ganz besonders erinnerten in diesem Jahr alle Redner an den im vergangenen Herbst verstorbenen Max Mannheimer, den Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann in seiner kurzen Ansprache am Krematorium als "einen der wichtigsten Mahner und Versöhner" bezeichnete, der den Lernort geprägt habe wie kaum ein anderer. "Sein Motto war, wie es das Motto für uns alle sein muss: Wir dürfen nie vergessen", sagte der OB.

In seiner Rede am Krematorium erinnerte auch der kommissarische Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau, Ernst Grube, an den verstorbenen Max Mannheimer. Dieser habe einmal gesagt, dass die Überlebenden im Jahr 1945 nach all den Verbrechen gedacht hätten, "dass nun endgültig dieses verbrecherische Gedankengut der Nazis ein für alle Mal verstummt sein würde". Schrittweise durch rassistische Stimmungsmache, Entrechtung, Ausgrenzung und durch Militarisierung sei es dazu gekommen, dass damals Millionen Deutsche "betäubt und betrunken vom Gift des Antisemitismus, des Rassismus und der Volksgemeinschaftsideologie bereit waren, diese Schritte ins Verbrechen auszuführen oder zu dulden. Derzeit sei zu erleben, dass diese Anschauungen wieder Konjunktur hätten, sagte der 84-jährige Holocaust-Überlebende.

Er kritisierte, dass der durch unsere Verfassung garantierte Schutz für Flüchtlinge zunehmend aufgekündigt werde, sowie dass "Schutz und Asyl nach politischen Vorgaben und Kalkül gehandhabt" würden. Besonders mit der momentanen Abschiebepraxis des Bundes nach Afghanistan ging Ernst Grube hart ins Gericht. "Ich protestiere an diesem Ort gegen diese menschenunwürdige Politik, gegen Abschiebungen in Elend, erneute Verfolgung in Terror und Krieg", sagte er unter großem Beifall der Anwesenden.

Selten in den vergangenen Jahren hatte die aktuelle Politik eine so große Rolle in den Reden bei den Befreiungsfeiern gespielt wie dieses Mal: Verantwortlich dafür ist "die braune Renaissance", wie Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, das Wiederaufflammen "von radikalem, aggressivem Nationalismus" nannte. Sie prangerte die Halbherzigkeit an, mit der diese "offenkundigen Fehlentwicklungen und Rückschritte" bekämpft würden. So werde mit dem Begriff Populismus verharmlost und beruhigt. Seit zwei Jahren zeige sich das rechtsextreme Wesen der AfD: "Nationalismus bleibt Nationalismus, Antisemitismus bleibt Antisemitismus, Rassismus bleibt Rassismus - das blaue Deckmäntelchen kann den braunen Kern der AfD nicht verdecken", betonte Knobloch.

Auch Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, mahnte eindringlich, "die Entwicklungen am rechten Rand nicht auf die leichte Schulter zu nehmen". Auch ihm bereitet die steigende Zahl von rechtsextremistischen und antisemitischen Übergriffen Sorge. Er unterstützte daher die Forderung nach einem Antisemitismusbeauftragten bei der Bundesregierung.

In ihrer Begrüßung auf dem Appellplatz gedachte auch Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann Max Mannheimers und beklagte die zunehmende Radikalisierung in Deutschland und im übrigen Europa. Und Bernd Siebler, Staatssekretär im bayerischen Kultusministerium, betonte, dass es keinen Platz für Fremdenhass und Extremismus geben dürfe. Jean-Michel Thomas, der Präsident des Comité International de Dachau, bezeichnete es als schändlich, dass der türkische Präsident ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel Nazimethoden vorgeworfen habe, die schon zweimal die KZ-Gedenkstätte Dachau besucht habe. Er empörte sich zudem über den AfD-Politiker Björn Höcke, der bei einer Rede das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "Denkmal der Schande" bezeichnet hatte.

Nachdem knapp hundert Delegationen am internationalen Mahnmal Kränze niedergelegt hatte, fand zum Abschluss wie stets seit gut drei Jahrzehnten eine Veranstaltung am Schießplatz Hebertshausen statt, wo mehr als 4000 sowjetische Soldaten ermordet wurden. Von denen sind bisher nur 816 namentlich bekannt. Der Historiker Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte, der über den in Deutschland immer noch weithin kaum bekannten Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion sprach, mahnte in seiner Rede mehr finanzielle Mittel an, um "ein ordentliches Forschungsprojekt zur Ermittlung der Namen der unbekannten Opfer dieser Mordstätte auf den Weg zu bringen". Mit nur fünf bis zehn Prozent der vier Millionen Euro, die für das Herrichten des Parkplatzes der KZ-Gedenkstätte vorgesehen sind, sei das seiner Ansicht nach zu machen.

Zaruskys Meinung, dass eine lebendige Erinnerungskultur "eine friedenstiftende Funktion" habe, ergänzte die junge Ukrainerin Valeriia Plotnyk, Freiwillige der Aktion Sühnezeichen an der Versöhnungskirche, als sie sagte: "Jugendbegegnung ist eine Brücke, um Länder- und Sprachgrenzen zu überwinden."

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