Dachau/München:Gewissensfragen

Gloria Brass

Das Eröffnungskonzert zum Evangelischen Kirchentag München Nord mit dem Posaunenchor "Gloria Brass" in der Dachauer Friedenskirche.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

14 evangelische Gemeinden stellen ihren ersten regionalen Kirchentag im Münchner Norden unter das Motto "Mir wird nichts mangeln". Sie interpretieren das Thema hochaktuell und sehr politisch

Von Johannes Korsche, Dachau/München

Als "bunter Strauß an Veranstaltungen" sei der Kirchentag des Münchner Nordens gedacht, sagt Uli Seegenschmiedt, Dekan des Prodekanatsbezirks München-Nord, beim Eröffnungsgottesdienst in Unterschleißheim. Vorträge, Diskussionen, Kinderprogramm - allein am Samstag gab es um und auf dem Milbertshofener Curt-Mezger-Platz mehr als 30 Programmpunkte. Unter dem Motto "Mir wird nichts mangeln" zeigten sich 14 evangelische Gemeinden beim ersten regionalen Kirchentag im Münchner Norden hochaktuell und sehr politisch: Wie lässt sich auf das Leid der in Deutschland angekommenen Geflüchteten reagieren? Wie gelingt Integration? Was bedeutet Sterbehilfe? Und was haben die Kirche und Gott mit all dem zu tun?

Zumindest Harald Lesch, bekannt von seinen Auftritten im Fernsehen, aber auch als Professor für Astronomie und Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität, findet auf die Fragen nach der Rolle von Religion und Kirche eine deutliche Antwort: "Wir sind wissenschaftlich viel weiter als ethisch." Den technischen Möglichkeiten fehle die Rückbindung an Werte. "Wir haben uns zu einem Lebewesen entwickelt, das seine eigene Lebensgrundlage gefährdet", sagt Lesch in seinem Vortrag "Schöpfung und Evolution" in der Unterschleißheimer Kirche Sankt Ulrich am Freitagabend. Gerade als Naturwissenschaftler dürfe man Gott daher nicht auf die Rolle des Lückenbüßers reduzieren, der die Stellen ausfüllt, die die Wissenschaft nicht erklären kann. Der evangelische Kirchentag wurde zeitgleich auch in der Dachauer Friedenskirche und in der Evangeliumskirche im Hasenbergl eröffnet.

"Locker über 1000 Leute", erwartete Seegenschmiedt am Samstag vor der Open-Air-Bühne auf dem Curt-Mezger-Platz und in den umliegenden Veranstaltungssälen. Dass es letztlich tagsüber im Schnitt um die 400 Besucher waren, lag wohl vor allem am wechselhaften Wetter. So regnete es auch am Morgen, als Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche Deutschland, zum Reformationsjubiläum 2017 über den Psalm 23 sprach, dem das Motto des Kirchentags entnommen ist. Käßmann sorgte mit ihrem sehr persönlichen und politischen Blick auf den biblischen Text und die heutige Gesellschaft immer wieder für begeisterten Zwischenapplaus. Dabei waren ihre Aussagen unbequem und konsumkritisch. Man könne nicht beim Discounter ein T-Shirt für zwei Euro kaufen und sich dann über eingekrachte Fabrikhallen in den Herstellerländern wundern. "Niemand sagt: ,Ich liebe dich, weil du so geizig bist.'" Was für das individuelle Verhalten gilt, prangert Käßmann auch in der Gesellschaft an. Warum informierten die Nachrichten täglich über den Stand des DAX, fragte sie. "Wir wären ein anderes Land, wenn wir stattdessen jeden Tag erfahren würden, wie viele Kinder geboren wurden." Oder wie viele Geflüchtete in Deutschland an diesem Tag sicher untergekommen sind. Denn Flüchtlinge aufzunehmen, ist "Christenpflicht" - die Münchner applaudierten.

Anschließend treibt es viele Besucher zu den umliegenden Veranstaltungen. Die Auswahl ist groß, die Entscheidung schwer. Bis zu fünf Themen werden zeitgleich angeboten. Während der Theologe und Bestsellerautor ("Simplify your Life") Werner Tiki Küstenmacher die Besucher mit seinem Vortrag "Simplify für Christenmenschen" unterhält, bringt die Podiumsdiskussion "In Würde leben bis zuletzt" die Zuhörer zum Nachdenken. Besonders Susanne Rollers Worte - sie arbeitet auf der Palliativstation des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder - bleiben im Gedächtnis. Roller berichtet aus ihrem Arbeitsalltag und fordert vor allem eines: mehr Zeit für den Einzelnen. "Das Sprechen mit den Patienten wird nicht wertgeschätzt", klagt sie. Ein Patientengespräch könne ein Hausarzt zum Beispiel gar nicht abrechnen. Dabei sei der Austausch, gerade bei Themen wie Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, "das A und O".

Den Besuchern hat das facettenreiche Programm des Kirchentags im Münchner Norden jedenfalls gefallen. Für Werner Winklmaiers Geschmack "hätten ruhig mehr Leute kommen sollen". Und Annette Lottermoser findet, man "weiß gar nicht, wo man hingehen soll". So viele Angebote gebe es. Vielleicht haben die evangelischen Gemeinden in fünf Jahren dann mehr Glück mit dem Wetter.

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