Dachauer Tafel:Aussage gegen Aussage

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Kreisvorsitzender Bernhard Seidenath will das Rote Kreuz umfassend und rechtzeitig über die Entscheidung informiert haben, keine Asylbewerber bei der Tafel zuzulassen. Mitglieder des Vorstands wissen davon nichts

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Bernhard Seidenath will den BRK-Vorstand informiert haben. (Foto: Niels P. Joergensen)

Der Kreisvorsitzende des Bayerischen Roten Kreuzes, Bernhard Seidenath, weist die alleinige Verantwortung für die Entscheidung zurück, keine Asylbewerber bei der Dachauer Tafel zuzulassen. In einer schriftlichen Stellungnahme an die SZ Dachau erklärte er erstmals, dass sowohl die Mitgliederversammlung als auch maßgebliche Gremien über die Entscheidung vom Frühjahr 2014 informiert worden seien. Kritik habe es von keiner Seite gegeben. Wegen der bundesweit heftigen Reaktionen findet Anfang nächster Woche eine Krisensitzung des Kreisvorstands des Bayerischen Roten Kreuzes statt.

Die SZ hatte Bernhard Seidenath, der auch CSU-Landtagsabgeordneter und CSU-Kreisvorsitzender ist und in Haimhausen wohnt, mehrere Fragen zukommen lassen, um definitiv zu klären, wann die Entscheidung für eine Zugangsbeschränkung zur Tafel gefallen ist, in welchem Zusammenhang sie getroffen wurde und wer davon wusste. Seidenath antwortete: "Beispielsweise hat nach der Veröffentlichung der Entscheidung um den 15. April 2014 herum am 28. April 2014 eine BRK-Mitgliederversammlung mit Aussprache zu aktuellen Themen stattgefunden." Er fährt fort: "Auch hier kann ich mich diesbezüglich an keinerlei kritische Äußerung erinnern." Weiterhin betonte er, das BRK umfassend eingebunden zu haben: "Ich bin sicher, dass ich im Nachgang der Entscheidung hierüber im monatlichen Jour fixe des BRK Dachau informiert habe." Beim Jour fixe handelt es sich um das monatliche Treffen des engen Führungszirkels. Er wird inzwischen als "beschließender Ausschuss" bezeichnet und muss den gesamten Kreisvorstand in der jeweils nächsten Sitzung über seine Tätigkeit informieren.

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Josef Mederer aus Altomünster, Bezirkstagspräsident von Oberbayern, Mitglied der CSU und dem Roten Kreuz eng verbunden, hatte der SZ Anfang der Woche gesagt, er erinnere sich nicht an einen Beschluss gegen einen Zugang von Asylbewerbern zur Tafel. Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Martin Güll, der wie Mederer zum erweiterten Vorstand gehört, hatte nach seinen Angaben keine Diskussion darüber miterlebt. Florian Hartmann (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Dachau, sagte der SZ, dass er von der Entscheidung ebenfalls "nichts gewusst" habe.

Genau so äußerten sich etliche BRK-Mitglieder in Schreiben an die SZ und in Telefonaten. In den vergangenen Tagen erreichten die Redaktion mehrere Briefe mit Dokumenten, in denen Bürger die BRK-Fördermitgliedschaft kündigen. "Die von Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Kreisverbandsvorsitzender getroffene Entscheidung, Flüchtlingen die Lebensmittelausgabe bei der Dachauer Tafel zu verweigern, halte ich für im höchsten Maße menschenverachtend", schrieb einer direkt an Seidenath.

Als SZ-Leser die Redaktion über die Existenz des Asyl-Beschlusses der Tafel informierten, verteidigte der BRK-Kreisvorsitzende Seidenath die Entscheidung vor ungefähr eineinhalb Wochen mit den Worten: "Sie ( die Asylbewerber Anm. d. Re d.) sollen lernen, mit ihrem Geld umzugehen." Dieser Effekt werde konterkariert, wenn sie für einen Euro bei der Tafel so viele Lebensmittel kaufen könnten, wie sie wollen. Seit der Umstellung von Sachleistungen auf Geldleistungen im Frühjahr 2014 bekommen Asylbewerber in einer dezentralen Unterkunft 326 Euro monatlich. Davon müssen sie auch Lebensmittel bezahlen. Ein Hartz-IV-Empfänger erhält 399 Euro. "Wer hier in Deutschland aufgewachsen ist, weiß, wie er sich sein Geld einteilen muss", sagte Seidenath damals. Und weiter: "Menschen, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen und sich in unserem Land nicht auskennen, wissen das nicht." Unterstützung bekam Seidenath vom BRK-Landesgeschäftsführer in Bayern, Leonhard Stärk. Der Bundesverband Deutsche Tafel dagegen kritisierte die Praxis in Dachau scharf.

Daraufhin äußerte sich Seidenath Mitte dieser Woche erneut öffentlich und führte als bedeutenden Grund für den Ausschluss von Asylbewerbern von der Tafel die Angst der Mitarbeiter an, sie könnten durch die Menge der dann zu versorgenden Personen überfordert werden. "Das schaffen wir nicht mehr", sagte er. In seiner Stellungnahme an die SZ erläuterte er die Entscheidung, Asylbewerbern keine Zugang zur Tafel zu gewähren, nochmals: "Dabei haben sowohl die Gründe eine Rolle gespielt, die zur Umstellung von Sachleistungen auf Geldleistungen geführt haben, (. . . .) als auch die befürchtete Überlastung des Tafel-Teams." Er ging auch auf die Historie des Beschlusses ein. Demnach sei er getroffen worden, nachdem sich der Leiter der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Dachau, die es seit den Neunzigerjahren gibt, an das BRK gewandt hatte. Er habe wissen wollen, ob die Tafel wieder Berechtigungsscheine für Asylbewerber ausstellen werde, nachdem Sachleistungen durch Geldleistungen ersetzt wurden.

Schließlich legte Seidenath dar, wer für die Entscheidung seiner Ansicht nach verantwortlich ist: "Beteiligt waren die BRK-Kreisgeschäftsführung, insbesondere der damalige Leiter Soziale Dienste, Herr Köker, Mitglieder des Tafel-Teams, insbesondere die Leiterin der Tafel, Edda Drittenpreis, und ich. Gemeinsam haben wir uns auf das bisher in der Dachauer Tafel praktizierte Vorgehen geeinigt."

Seidenath zeigte sich über die mittlerweile bundesweiten Reaktionen verwundert. "Wegen der Welle der Reaktionen und Emotionen, die es in der letzten Woche gab", so Seidenath, habe er für "Anfang nächster Woche" eine außerordentliche Sitzung des gesamten BRK-Kreisvorstands anberaumt.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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