Eine Übung am Eisolzrieder See:Die Eisretter

Für die Einsatzkräfte der Kreiswasserwacht ist es extrem anstrengend, eingebrochene Personen aus Gewässern zu bergen.

Von Petra Neumaier, Dachau/Bergkirchen

Das Außenthermometer zeigt gnädige vier Grad plus. Das Wasser dürfte kälter sein. Denn eine stumpfe Eisschicht überzieht die dunkle Oberfläche des Eisolzrieder Sees, gaukelt trügerische Sicherheit vor, wo keine ist: Hier und da spiegelt sich bereits der graue Himmel in flachen Pfützen. Die Männer, die an diesem Sonntagnachmittag gemütlich ihre Stöcke über das Eis schieben, interessiert das nicht - no risk, no fun. Außerdem: Was sollte so nah am Ufer schon passieren? Zumal die Kreiswasserwacht Dachau gleich nebenan ihre Tauch- und Eisrettungsübung absolviert.

Um 13 Uhr waren die Männer und Frauen der Wasserwacht schon da. Mit beheizbarem Zelt, aufblasbaren Rettungsschlitten, leuchtenden Rettungswesten, jeder Menge Sicherheitsseilen und was man sonst noch alles braucht, um eingebrochene Menschen aus dem eisigen Wasser zu retten - oder selbst auf Tauchgang zu gehen. Tobias Fritsch kniet bereits seit einer Weile auf der Eisfläche, ganz in der Nähe des blauen Kunststoffsteges. Kräftig schlägt er mit dem Vorschlaghammer auf das Eis, das mit Peitschenschnalzen antwortet. Vier, fünf, sechs Schläge lang, bevor es endlich nachgibt. Eiskristalle fliehen wie Funken in die Luft, dunkel gurgelt das grünlich-trübe Wasser durch das Loch. Der Widerstand ist gebrochen, trotzdem muss der Wasserwachtler noch einige Schläge nachsetzen, bis die Öffnung groß genug ist, um ein "Opfer" zu verschlingen. Ein weiteres Loch schlägt er auf der anderen Seite des Stegs, wo später die Taucher einsteigen werden.

7,5 Zentimenter ist die Eisschicht dick: zu wenig

Für die Dachauer Wasserwacht ist eine echte Eisrettungsübung eine Rarität. Selten waren in den vergangenen Jahren die Seen des Landkreises zugefroren - der Karlsfelder See schafft das Kunststück meist gar nicht. Zu viele Strömungen durch das sieben bis zehn Grad warme Grundwasser lassen es nicht komplett gefrieren. "Extrem tückisch", nennt Oliver Welter deshalb das Gewässer. Dass just zum angesetzten Termin der Eisolzrieder See eine dicke Eisschicht trägt - auch das ein Glücksfall. Etwa 7,5 Zentimeter ist sie dick. Nicht schlecht, und trotzdem zu wenig. "Damit Eis eine Person mit 75 Kilo Körpergewicht tragen kann, muss es mindestens zehn Zentimeter dick sein", erklärt der Vorsitzende der Kreiswasserwacht mit einem Seitenblick auf die Stockschützen. Dass die Badeinsel noch im See steckt, ist Oliver Welter auch ein Dorn im Auge. "Sehr verführerisch", sagt er, weil er weiß, dass manche Leute nicht widerstehen können, rüber zu laufen. Dabei sei das Eis gerade um die Installation herum zuweilen sehr dünn. Auch deshalb wird die Badeinsel in Karlsfeld im Herbst an Land gezogen.

Die Überlebenschance im kalten Wasser ist besser

Prävention hat bei der Wasserwacht oberste Priorität. Vielleicht sind auch darum die letzten ernsten Einsätze lange her - Oliver Welter kann sich in den vergangenen 20 Jahren sogar an keinen einzigen und nur an zwei oder drei Fehlalarme erinnern. Trotzdem oder gerade deshalb sei es wichtig, zu üben. Zwar sei die Überlebenschance in kaltem Wasser besser, als im warmen, weil die Körperfunktionen auf Sparflamme gehen und sogar noch nach 20 bis 30 Minuten die Chance groß ist, dass der Verunglückte ohne bleibende Schäden wiederbelebt werden kann. "Garantiert ist das natürlich nicht", schränkt Welter ein. Die Wasserwacht ist daher so schnell wie möglich am Einsatzort. Noch auf der Fahrt dorthin ziehen sich die Taucher im Fahrzeug um. Auch das wird geübt. Einer von ihnen ist gerade im Trockenanzug als Opfer ins Loch gesprungen. Sogleich hechtet eine Retterin bäuchlings auf den angeleinten Schlitten und robbt sich an ihn heran. Kräftig schlägt sie die beiden handlichen Pickel ins Eis, um sich fortzubewegen. Die Anstrengung ist ihr schon nach wenigen Metern deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber sie schafft es, den Verunglückten zu erreichen und auf den Schlitten zu ziehen. Manch anderem Kollegen geht schon auf dem Weg die Puste aus. Kraft und Technik müssen eben trainiert werden.

"Eistauchen ohne Leine ist ein Todesurteil

Und auch das Tauchen. Extrem gefährlich ist es unter dem Eis, schnell ist die Orientierung verloren, das rettende Ausstiegsloch verschwunden. Darum gilt: "Eistauchen ohne Leine ist ein Todesurteil", sagt Oliver Welter. Zwei Männer stehen deshalb auf dem Steg und führen die Seile der Taucher, die sich ihren Weg durch den See bahnen. Und von denen man nur anhand der gelben Leinen und der Luftblasen, die sich unter dem Eis zu großen Placken sammeln, erahnen kann, wo sie entlang geschwommen sind. Aus dem Lautsprecher des Sprechfunkgerätes klingen Laute, die an das Keuchen von Darth Vader erinnern. Ab und zu kommen auch Kommentare: "Schlechte Sicht" oder "Hier geht es auf vier bis fünf Meter runter." Dann und wann kommt auch ein Taucher zum Steg zurück, um seine Beute abzuladen: meist Flaschen. Einmal aber auch ein alter Feuerwehrhelm, fast ganz und gar von Algen und Schlamm bedeckt. "Ich glaub, der ist sogar von uns", meint ein Wasserwachtmitglied und grinst.

Die Luft des Tauchers ist rasch aufgebraucht

50 bis 60 Minuten lang können die Taucher im Trockenanzug unter Wasser bleiben - wenn sie sich nicht anstrengen müssen. So wie Markus, der die Aufgabe bekommt, das Eis mit dem Hammer von unten aufzustoßen. Dumpf klingen die Schläge, lange dauert es, bis das Eis bricht und der Hammerkopf wie ein Periskop aus der Fläche auftaucht. Die Luft des Tauchers ist durch die Anstrengung rasch aufgebraucht, erschöpft entledigt sich Markus noch im Wasser seiner Sauerstoffflasche und der Gewichte, die er braucht, um dem Auftrieb des Trockenanzuges Widerstand zu geben. Dann zieht er auch seine Vollmaske ab: Heiß dampfen Gesicht und Atem. "Gar nicht so eisig, wie es aussieht", sagt er zu Philipp Kasbauer, der mit seiner Kamera ins Wasser steigt - "damit wir uns später noch was anschauen können."

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