Dachau:Zwei Stunden für die Forschung

Dachau: Durchlässig? Studienärztin Dagmar Michalik untersucht mit einem Ultraschallgerät Lisa Bialetzkis Blutgefäße im Halsbereich.

Durchlässig? Studienärztin Dagmar Michalik untersucht mit einem Ultraschallgerät Lisa Bialetzkis Blutgefäße im Halsbereich.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Robert-Koch-Institut macht Halt in Dachau, um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu bewerten. Ein Vormittag im Untersuchungszentrum

Von Johannes Korsche, Dachau

Lisa Bialetzki wurde zufällig ausgewählt, das war vor elf Jahren als die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (Kiggs) das erste Mal vorgenommen wurde. Als 20-Jährige ist sie nun wieder im Gesundheitsamt Dachau. Hier hat das Team vom Robert- Koch-Institut für zehn Tage seine Geräte aufgebaut. Bundesweit nehmen rund 20 000 zufällig ausgewählte Kinder und Jugendliche an der Studie teil, sie beantworten Fragen und geben Selbsteinschätzungen ab. Lisa gehört zu den 10 000, die außerdem zum persönlichen Termin in den improvisierten Untersuchungszentren eingeladen werden.

Zwei Stunden muss sie sich dafür Zeit nehmen. Aber "schaden tut es ja sicher nicht", sagt sie. Nach dem Ankommen betritt sie ein kleines Büro, in dem Eva Koch bereits wartet. Koch erklärt, was die Probanden erwartet: medizinische Untersuchungen und Tests, ein ärztliches Interview, außerdem werden Urin- und Blutproben genommen. Zu Hause hat die Jugendliche bereits Fragebögen zu ihrem Essverhalten und ihrer Gesundheit ausgefüllt. Die Fragen reichen von der Menge und Häufigkeit des persönlichen Kräutertee- oder Pizzakonsums bis hin zu Fragen zur psychischen Verfassung und ihrem sozio-demografischen Hintergrund. Der Gesundheitsfragebogen für Erwachsene umfasst auf 64 Seiten stolze 186 Fragen. Das Robert-Koch-Institut will auf diese Weise unter anderem den Einfluss sozialer Faktoren auf die Gesundheit bestimmen. Auch zur Weiterentwicklung und Bewertung von Gesundheitszielen und Gesundheitspolitik soll die Studie dienen. Besonders interessiert die Ärzte die gesundheitliche Entwicklung während der Übergangsphasen zwischen Kindheit und Jugend sowie später zum Erwachsenenalter. Deswegen ist Lisa bereits zum zweiten Mal dabei. Sie ist eine "Kohorten-Teilnehmerin", so nennt Koch Probanden, die Kiggs über die Jahre hinweg begleitet hat.

Nach der Erklärung zu Beginn geht es eine Treppe hinauf in das erste Stockwerk. Von diesem Zeitpunkt an ist Lisas Mappe immer dabei. Teil der Mappe sind vor allem zwei USB-Sticks, auf denen die Ergebnisse der Untersuchungen gespeichert werden. Lisa ist von jetzt an nicht mehr Lisa, sondern erhält eine Probandennummer, um ihre Daten vor Missbrauch zu schützen. Nur ihr Geschlecht und ihr Geburtsdatum stellen sicher, dass es zu keinen Verwechslungen kommt.

Im Wartebereich für die Kleinen - der jüngste Teilnehmer ist drei Jahre alt - liegt ein Spielteppich mit eingewebten Straßen und Häusern aus, darauf ein Playmobil-Hubschrauber, Plastikautos und Spielfiguren. Die Älteren können sich mit den ausliegenden Magazinen beschäftigen. Auf einem Tisch stehen Getränke und eine Obstschale. Doch ein Zettel weist daraufhin: "Bitte erst nach dem Wiegen und der Blutabnahme zugreifen". Das kommt erst zum Schluss. Zunächst geht Lisa ins Ärztezimmer.

Bevor ihr Hals mit einem Ultraschall untersucht wird, will Dagmar Michalik von der 20-Jährigen wissen, welche Impfungen sie hat und welche Medikamente sie nimmt. Danach wird das Ultraschallgerät angemacht. Ein sonores Summen liegt in der Luft. "Das liegt an dem alten Gerät. Es müssen ja die gleichen sein wie bei den früheren Erhebungen, damit die Ergebnisse nicht durch das Gerät unvergleichbar werden", erklärt Michalik. Sie suche bei dem Ultraschall nach Plaque-Ablagerungen in der Halsschlagader. Solche Ablagerungen könnten in der Folge zu einem Schlaganfall führen. Umso erstaunlicher, dass es bisher keine Daten gebe, was für Jugendliche ein normaler und was ein besorgniserregender Wert sei. "Vielleicht kann man in Zukunft dank der Ergebnisse Schlaganfälle früher entdecken und besser vorbeugen." Bei Lisa sind zum Glück keine Ablagerungen zu sehen, trotzdem wird das Bild abgespeichert, damit es mit dem anderer Probanden verglichen werden kann.

Lisas letzte Station ist das Untersuchungszimmer von Sarah Landsberg. Hier wird sie gewogen und gemessen; es wird ihr Blut entnommen sowie ihr Körperfettanteil gemessen. Zum Abschluss absolviert Lisa einen Ausdauertest auf einem Ergometer: Radeln bis ihr die Puste ausgeht. Sind Teilnehmer über 18 Jahre alt, wird ihnen am Ohrläppchen Blut entnommen, um den Laktatwert zu ermitteln. Danach hat Lisa es geschafft. Ihre Mappe landet am Ende wieder bei Eva Koch. Lisa bekommt ihre persönlichen Testergebnisse nach der Auswertung zugeschickt: "Es ist schon interessant, seinen Zustand zu kennen, wenn man gesund ist", meint Lisa.

Inzwischen ist es ein wenig voller geworden im Wartebereich. Ein 17-jähriger Schüler aus Dachau, der ebenfalls bei den vorhergegangenen Erhebungen teilgenommen hat, hofft auf gute Ergebnisse. Die Zeit nimmt er sich gern, denn schließlich "bekommt man eine kostenlose ärztliche Untersuchung."

Wie viel Aufwand hinter Kiggs steckt wird deutlich, wenn das Ärzteteam von der Logistik hinter dem Projekt erzählt. Vor zwei Jahren begannen die Vorbereitungen: Die Fragebögen wurden erstellt und im Anschluss von einer Ethikkommission geprüft und freigegeben. Insgesamt bereisen seit vergangenem August drei Ärzte-Teams ganz Deutschland, um für knapp eineinhalb Wochen in den jeweiligen Gemeinden und Städten die Untersuchungen vorzunehmen. Das Equipment wird von einer Spedition von Stadt zu Stadt gebracht. Die Blutproben werden nach der Entnahme bei Minus 40 Grad gekühlt und nach Berlin zur Auswertung gefahren. Für Koch, Michalik und Landsberg ist Dachau die 16. Station. "Mit unserem Tourbus fahren wir durch ganz Deutschland - wie eine Gruppe Rocker."

Die Tour des Robert-Koch-Institut geht noch bis Ende 2016 weiter. Bis dahin werden die Ärzte-Teams 167 Gemeinden und Städte besucht haben. Die repräsentativen Ergebnisse der Kiggs sollen Ende 2017 veröffentlicht werden - nicht nur Mediziner, vermutlich die gesamte Gesundheitsindustrie, Politiker und Lehrer werden darüber diskutieren. Lisa ist ein Teil davon.

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