Dachauer Künstlervereinigung:Zurück in die Zukunft

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Vom Renaissance-Saal in die ehemalige Papierfabrik: Mit den Räumen für die Schlossausstellung "1984" schlägt die Dachauer Künstlervereinigung ein neues Kapitel auf. Die Besucher sind begeistert

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Mit der Bohrmaschine eine Blindenschrift in die Wand zu stanzen, wäre im Dachauer Schlosssaal unmöglich. Von den Konservatoren ebenso untersagt wären ein echter Rasen auf dem Parkett, lärmende Ventilatoren und eine Nebelmaschine mit raumzerschneidenden Laserstrahlen. In den Verwaltungsräumen der ehemaligen MD-Papierfabrik sind diese Äußerungsformen zeitgenössischer Kunst möglich. Schon allein deshalb ist die "Schlossausstellung der KVD in der Papierfabrik" eine Novität und echte Bereicherung für die Dachauer Kunst. Unter den zahlreichen Besuchern herrschte einhellige Begeisterung über die Entscheidung der KVD, den pompösen Saal heuer zu meiden und den Arbeiten in der neuen Umgebung eine andere Wirkung zu geben.

Gesichtslose Frauenkörper: Die Skulpturen von Veronika Veit tragen den Titel "Is this a test?" (Foto: Niels P. Jørgensen)

Seit Ende November hat das Organisationsteam aus Johannes Karl, Margot Krottenthaler, Heiko Klohn, Florian Marschall und Agnes Jänsch am Konzept der Präsentation gefeilt und "es am Laufen gehalten", wie der KVD-Vorsitzende Johannes Karl in seiner Begrüßungsrede sagte. Die vielen Besucher wurden stilecht von Sirenengeheul begrüßt und drängten sich in der Empfangshalle des Verwaltungsgebäudes, die mit ihren Rotmarmorpfeilern, der kassettierten Decke und dem eingelegten Fußboden die Noblesse einer vergangenen wirtschaftlichen Blüte ausstrahlt. Unter den vielen Kunst- und Kulturschaffenden und ihren Fans befanden sich Stadträte und Politiker wie Alt-Landrat Hansjörg Christmann und der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath sowie viele Personen des öffentlichen Lebens - alle neugierig auf die ungewöhnliche Ausstellung. Man habe um die Gestaltung gekämpft und mit der neuen Örtlichkeit auch neue Probleme bewältigen müssen wie etwa den Brandschutz, sagte Johannes Karl.

Für ihre Installation "Die Bienen sind fort" hat Jette Hampe in einem Ausstellungsraum einen echten Rasen verlegt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Mühe hat sich gelohnt. Rund 30 Künstlerinnen und Künstler, zur Hälfte Mitglieder der KVD und zur Hälfte Gastkünstler, haben sich Gedanken gemacht zum Titel "1984", der George Orwells Zukunftsroman zitiert. Vielfältig und lebendig können sich die Arbeiten in den verlassenen Büroräumen entfalten. Mit jedem Raum betritt der Besucher einen eigenen künstlerischen Kosmos. In einem einzigen großen Saal wäre das unmöglich. Herbert R. Ullman, als Geschäftsführer der DEG-Entwicklungsgesellschaft auch Hausherr des zu entwickelnden Industriegeländes, betonte, dass er kulturelle Veranstaltungen - ob Lesung, Bühnenaufführung oder Kunstausstellung - immer gerne unterstütze und offen sei für kreative Ideen. Auch Oberbürgermeister Florian Hartmann war begeistert über die neue Örtlichkeit. Er bezeichnete die Eroberung neuer Räume als einen gewagten, aber richtigen Schritt der KVD und einen wichtigen Beitrag zu neuen Sichtweisen. Die Gemeinschaftsausstellung sei eine "Zukunftsvision der Vergangenheit", die auch eine neue Dimension für die Zukunft der KVD bedeute. Dazu gehört auch die Öffnung für Urban Art mit Graffiti und Stipendien, die nach der letztjährigen KVD-Schlossausstellung für zwei ausländische Künstler in der Ruckteschell-Villa ausgelobt wurden. Nur so könne die Kunst in Dachau ihre Relevanz behalten. Dann sprach Hartmann die politische Dimension an: "Mit dem Beginn der Industrialisierung wurden hier viele Arbeitsplätze geschaffen. Heute steht die Entwicklung der Industriebrache in der öffentlichen Diskussion." Mit dem Bezug auf den Titel des Zukunftsromans 1984, der seit 30 Jahren überholt ist, schloss er seine Rede philosophisch: "Jede Zukunftsvision wird zwangsläufig zur Vergangenheit."

Die erläuternden Texte zu den einzelnen Arbeiten stammen von Jutta Mannes. Die Kuratorin des Zweckverbandes Dachauer Galerien und Museen für zeitgenössische Kunst bezeichnete die Schlossausstellung in der Papierfabrik als sichtbaren Generationswechsel. Nach der Eröffnung eroberten die Besucher die schillernde Ausstellung und streiften durch die langen Gänge und Räume, um sich gefangen nehmen zu lassen von ganz persönlichen Zugängen wie beispielsweise Gabriele Middelmanns Beitrag. Die Malerin fotografiert verlassene Industrieruinen und zoomt die Details in ihren Materialbildern aus Papier heran. Oder der Beitrag von Andreas Kreutzkam, der die turbulente Geschichte der KVD widerspiegelt, indem er einen Raum mit vergrößerten Zeitungsartikeln tapezierte. Das Jahr 1984 war für die KVD ein Aufbruch: Sie wählte einen neuen Vorstand und stellte die Weichen für eine Öffnung auf breiterer Ebene. Angesichts der Arbeiten zur Überwachung und Datenerfassung stellt sich die Frage, ob der gläserne Mensch nicht längst schon von dieser Technik gesteuert wird.

© SZ vom 03.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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