Dachau:Zeuge verlässt Gericht in Handschellen

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25-jähriger Karlsfelder, der es mit der Wahrheitspflicht offenbar nicht so genau nimmt, wird festgenommen.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Turbulente Szenen haben sich am Mittwoch am Amtsgericht Dachau abgespielt: Zwei Polizisten nahmen einen 25-jährigen Karlsfelder vorläufig fest und brachten ihn auf Anweisung der Staatsanwältin in Handschellen auf die Dachauer Wache. Der Mann war als Zeuge geladen und hatte nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft zuvor in einer Verhandlung wissentlich die Unwahrheit gesagt, um den Angeklagten zu schützen, mit dem er befreundet ist. Es bestand der Verdacht auf uneidliche Falschaussage. Stefan Lorenz, der Pressesprecher des Amtsgerichts, erklärte zu der Festnahme: "Das ist eine ganz große Seltenheit, eine absolute Rarität." Lorenz arbeitet bereits seit elf Jahren am Dachauer Amtsgericht. Ein Fall wie dieser aber sei ihm bislang noch nicht untergekommen.

Der 25-Jährige Karlsfelder war in einem Prozess wegen räuberischer Erpressung als einer von zwei Hauptzeugen geladen. Gegen den Angeklagten, einen 27-jährigen Dachauer, hatte er im August 2015 Anzeige erstattet. Bei der Polizei sagte der Karlsfelder damals aus, der Angeklagte habe ihn erpresst, auf offene Schulden zu verzichten und eine entsprechende Erklärung zu unterzeichnen. Am Telefon soll der Dachauer ihm gedroht haben: "Wenn du nicht unterschreibst, dann hast du keinen einzigen Knochen mehr im Körper." Vor einem Karlsfelder Lokal sei er vom Angeklagten und sieben weiteren Männern umzingelt und mit mehreren Messern bedroht worden. Nach dem Vorfall hatte der Mann die Polizei alarmiert, sie kam mit drei Streifenwagen zu dem Karlsfelder Lokal. Die mutmaßlichen Erpresser waren da bereits verschwunden. Die Staatsanwaltschaft München II erhob Anklage wegen räuberischer Erpressung gegen den Dachauer. Dass der Karlsfelder in der Zwischenzeit die Anzeige zurückgezogen hatte, änderte daran auch nichts mehr.

Selbst den Polizisten, bei dem er Anzeige erstattet hat, will er nicht kennen

Am Mittwoch sollte der Karlsfelder dem Dachauer Schöffengericht den Vorfall erneut schildern. Beim Betreten des Gerichtssaals reichte er dem Angeklagten und dessen Anwalt freundschaftlich die Hand - was Amtsrichter Lukas Neubeck bereits mit einigem Befremden aufnahm. Eindringlicher als üblich warnte er den Zeugen, die Wahrheit zu sagen. Erst im Mai dieses Jahres war der 25-Jährige wegen Diebstahls zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden. "Sie wissen, was für Sie auf dem Spiel steht", warnte der Vorsitzende, bereits ahnend, dass der Zeuge seinen Freund zu schützen versuchen würde.

Und so kam es dann auch. Der 25-Jährige wollte von seinen bei der Polizei erhobenen Vorwürfen gegen den Angeklagten auf einmal partout nichts mehr wissen. Sie hätten sich längst wieder vertragen, ließ er wissen. Überhaupt sei das Ganze nur ein großes Missverständnis gewesen, er sei weder erpresst noch bedroht worden. Als der Karlsfelder dann auch noch angab, den Polizisten, bei dem er die Anzeige erstattet hatte, noch nie gesehen zu haben, rief Amtsrichter Neubeck in Absprache mit der Staatsanwaltschaft die Polizei und ließ den Mann vorläufig festnehmen. Die Wachtmeister am Amtsgericht passten bis zum Eintreffen der Polizeibeamten auf, dass der 25-Jährige nicht mit wartenden Zeugen in Kontakt trat.

"Sie können mich auch zehn Jahre in den Knast stecken"

Seine Festnahme nahm der 25-Jährige äußerlich gelassen hin. "Sie können mich auch zehn Jahre in den Knast stecken. Ich bleibe bei der Wahrheit", sagte er, während der Angeklagte immer wieder selbstgefällig lächelte und sich offenbar in Sicherheit wähnte. Inzwischen ist der 25-Jährige wieder auf freiem Fuß, wie der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft München II, Ken Heidenreich, am Donnerstag mitteilte. Auf dem Dachauer Polizeirevier sei der 25-Jährige von der zuständigen Staatsanwältin erneut verhört worden. Eine hinreichende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr, sprich ausreichende Haftgründe, seien dabei nicht festgestellt worden. Ein Haftantrag wurde nicht gestellt.

Trotzdem werden nun Ermittlungen wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage gegen den Karlsfelder aufgenommen. Auf uneidliche Falschaussage stehen Freiheitsstrafen von drei Monaten bis hin zu fünf Jahren. Wenn die Verhandlung am 12. September fortgesetzt wird, muss der Familienvater wieder aussagen. Das gilt auch für einen 20-jährigen Dachauer, den zweiten Hauptzeugen im Prozess. Er hatte nach eigener Auskunft angeboten, dem Angeklagten 500 Euro zu leihen. Als er dem Versprechen nicht nachkommen konnte, soll der Angeklagte ihm am Telefon gedroht haben, seine Eltern zu töten. Die Mutter des 20-Jährigen erstattete Anzeige. Auch ihr Sohn wollte sich vor Gericht allerdings nicht mehr an die Morddrohung erinnern können. Der Angeklagte sei sein Freund, sagte er.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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