Dachau:Wohnungen nur für Reiche

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Dachau und der Landkreis bieten Jobs und eine gute Infrastruktur. Doch Menschen mit Ausbildung, Arbeit und normalem Gehalt können sich oft keine Wohnung mehr leisten. Manche ziehen radikale Konsequenzen und kehren der Metropolregion den Rücken

Von Viktoria Großmann, Dachau

Daniel Tetzel ist in Dachau geboren und aufgewachsen. Nun muss der 33-Jährige die Stadt, wahrscheinlich auch den Landkreis, verlassen. Zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern findet er in Dachau keine bezahlbare Wohnung mehr. Aus ihrer jetzigen müssen sie ausziehen, der Vermieter hat Eigenbedarf angemeldet. Corinna Pechler hat noch Hoffnung. Die 23-Jährige hat ihren ersten richtigen Job, noch wohnt sie bei ihrer Mutter, möchte aber gern in eine eigene Wohnung ziehen. In Röhrmoos haben die Mitglieder der Spielvereinigung einen herben Verlust hinnehmen müssen: Marion Golling, eine langjährige Helferin in der Buchhaltung ist mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern in ihre Heimat in der Oberpfalz zurück gekehrt. Die Familie wollte auf dem eigenen Grund im eigenen Haus wohnen - im Landkreis konnten sie sich das nicht leisten.

Alle diese Menschen sind Normalverdiener. Sie sind ausgebildet, haben Berufe, arbeiten in Vollzeit. Trotzdem können sie sich die Mieten in Stadt und Landkreis nur knapp oder gar nicht mehr leisten. Dabei wird überall im Landkreis gebaut: In Haimhausen entsteht ein neues Wohngebiet, Weichs rechnet mit 200 Neubürgern im Aufhausener Feld, Markt Indersdorf hat allein in der ersten Jahreshälfte 74 Wohnbauten genehmigt, in Dachau bauen Privatunternehmer in der Altstadt. Doch wer wird sich die Wohnungen leisten können? Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) wird nicht müde zu betonen, dass die Mietpreise nicht sinken, nur weil die Kommunen mehr Baurecht vergeben. Bezahlbares Wohnen fördert die Stadt Dachau mit ihrer Stadtbau GmbH. Familie Tetzel und die junge Büroangestellte Pechler könnten sich um eine solche Wohnung bemühen. Doch für deren Kriterien geht es ihnen noch zu gut: Ihre Dringlichkeit würde nicht hoch genug eingestuft, Wartezeit: zwei bis drei Jahre.

Drei Kinder und nur ein Gehalt sind noch kein Grund für eine Sozialwohnung

Daniel Tetzel befürchtet, mit seinen Kindern Milan, Leonie und Emily aus Dachau wegziehen zu müssen: die Mieten sind zu hoch. (Foto: Toni Heigl)

Daniel Tetzel versteht das nicht. Er ist Alleinverdiener, sein Sohn ist erst vier Monate alt, die Töchter drei und sechs Jahre. Um eine Sozialwohnung zu bekommen, so habe man ihm gesagt, müsste er ein viertes Kind haben oder arbeitslos sein. Vermietern auf dem freien Markt, so sagt er, wäre es hingegen oft lieber, er hätte drei Hunde als drei Kinder. Derzeit liegen 423 Anträge auf Sozialwohnungen bei der Stadt - und das sind nur diejenigen, die sich auf die Warteliste setzen lassen. Andere wie Tetzel lassen es lieber bleiben und suchen weiter auf eigene Faust. Die Bestimmungen für die Zuweisung einer Sozialwohnung sind kompliziert, einfache Regeln oder Faustformeln gibt es nicht. Jeder Fall muss im Amt für Wohnungswesen der Stadt Dachau einzeln geprüft und bearbeitet werden. So ist es auch im Landratsamt, das Wohnberechtigungsscheine für alle, die nicht in Dachau leben, ausstellt. Auch hier gibt es eine Warteliste. Doch es ist nicht so, dass nur die Bedürftigsten dran kommen. Es werden verschiedene Listen geführt, in den Wohnhäusern soll eine gemischte Gesellschaft leben: Menschen ohne Job, Angestellte in weniger gut bezahlten Berufen - ob Kindergärtner, Pfleger, Gabelstaplerfahrer - und Flüchtlinge, die noch keine Arbeit gefunden haben.

Vielleicht auch Lehrlinge oder Berufsanfänger. Doch Corinna Pechler hat sich als Auszubildende entschieden, keinen Antrag zu stellen. Nach ihrer ersten abgeschlossenen Lehre beschloss sie, eine weitere Ausbildung anzuschließen. Eine eigene Wohnung konnte sie sich dann nicht mehr leisten. "Ich hatte das Glück, dass ich wieder daheim wohnen konnte." Ohne die Unterstützung ihrer Familie, sagt die junge Frau, hätte das alles nicht funktioniert. "Wer diese Möglichkeit nicht hat, hat einfach weniger Chancen", sagt die Bürokauffrau. Wenn Corinna Pechler nun bald eine eigene Wohnung findet, weiß sie: "Ich muss meinen Lebensstandard runter schrauben." 700 Euro sind absolute Schmerzgrenze, sagt sie, höher darf die Miete nicht sein. Ein bisschen mehr, findet Pechler, könne sich die Politik schon um junge Leute in der Ausbildung und am Berufsanfang kümmern. Man komme einfach kaum über die Runden. Daniel Tetzel befürchtet sogar, dass für Zugezogene und anerkannte Flüchtlinge mehr getan wird, als für Leute wie ihn.

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Die Stadt plant 200 neue Wohnungen, der Landkreis mehr als 300

Dabei wird in Dachau gebaut. Bei weitem nicht nur für Flüchtlinge. Die Stadt will in den kommenden Jahren 200 neue Wohnungen errichten. Etwa 4000 Dachauer leben laut Auskunft der Stadtbau in den bereits bestehenden rund 1200 Sozialwohnungen. In der Planung sind weitere Wohnhäuser in Dachau Ost, Dachau Süd, am Amperweg, in Mitterndorf, am Udldinger Hang. Damit liegt Dachau im Landkreis weit vorn. Nur knapp 300 Sozialwohnungen unterhält die Wohnungsbaugesellschaft des Landkreises Dachau WLD in den anderen Kommunen. Nachdem Jahre lang gar keine neuen Wohnungen gebaut wurden, plant die WLD zur Zeit vier Projekte in Karlsfeld, Indersdorf, Röhrmoos und Vierkirchen konkret. Bis 2018 sollen etwa 120 neue Wohnungen stehen. In den nächsten 15 Jahren will die WLD ihr Angebot von derzeit knapp 300 Wohnungen auf 650 oder gar 700 Wohnungen mehr als verdoppeln. Eine gute Basis dafür ist, dass mittlerweile alle Landkreisgemeinden der WLD beigetreten sind. Viele Gemeinden hätten in dem Glauben gelebt, es gebe keinen Bedarf nach sozialem Wohnungsbau, sagt der kaufmännische Geschäftsführer Stefan Reith. Mittlerweile haben die Bürgermeister erkannt, dass sie bezahlbaren Wohnraum brauchen. "Es tut sich etwas auf politischer Ebene", sagt Reith. "Die Gemeinden sind bereit, Geld in die Hand zu nehmen."

Für Familie Tetzel kommen diese Maßnahmen zu spät. Sie haben sich zuletzt ein Haus bei Freising angeschaut: kein S-Bahn-Anschluss, nach Freising fährt ein Bus, wenigstens zur A9 ist es nicht weit. Die sechs Zimmer sollen 1300 Euro kosten. In Dachau ist das nicht drin, da kosten vier Zimmer mindestens 1500 Euro. "Das ist die absolute Obergrenze", sagt Tetzel. "Mehr können wir auf keinen Fall ausgeben." Doch von Dachau aus kann Tetzel mit seinem 50-kmh-Roller nach Karlsfeld in die Arbeit fahren. Er hat noch einen zweiten Job: Abends, oft bis spät in die Nacht, arbeitet er als Security-Mitarbeiter auf Großveranstaltungen, bei Fußballspielen oder Konzerten in München. Wenn die Familie aufs Land zieht, braucht sie ein zweites Auto, die Tochter muss die Schule wechseln, die andere den Kindergarten.

Den Traum vom Haus hat sich die vierköpfige Familie in der Oberpfalz erfüllt

Familie Golling hat den Sprung gewagt. Nicht nur ins Umland, sondern in einen anderen Bezirk. Manuel und Marion Golling sind mit ihren zwei Kindern von Großinzemoos nach Parsberg in der Oberpfalz gezogen. Sie wollten bauen, doch im Landkreis erschien das unmöglich. Obwohl Marion Golling Finanzbeamtin ist, hätte das Ehepaar nicht einmal einen Kredit bekommen. Mit Grundstückspreisen von 330 Euro pro Quadratmeter sahen sich Gollings selbst im dörflichsten Raum konfrontiert. "Mehr als 200 oder 300 Quadratmeter Grund hätten wir uns nicht leisten können und dann kann man allenfalls eine Doppelhaushälfte bauen", sagt Manuel Golling. In der Oberpfalz haben sie ein Einfamilienhaus auf 600 Quadratmeter Grundstück. Die 98 Euro für den Quadratmeter seien in der Oberpfalz noch vergleichsweise teuer gewesen.

Dem 36 Jahre alten Maurer fiel die Entscheidung dennoch nicht leicht. Er ist in Dachau geboren und aufgewachsen, die Familie lebt seit Generationen hier. "Wir hatten einen enorm großen Bekanntenkreis." Leichter ging es mit den Jobs: Marion Golling hat sich einfach versetzen lassen, für ihren Mann gibt es als Handwerker mehr als genug Arbeit. "Qualifizierte Fachkräfte werden hier gesucht." Golling ist zufrieden mit der neuen Heimat: Für die Kinder gibt es alle Schulen im Ort, es gibt Einkaufsmöglichkeiten, die Bahn braucht eine halbe Stunde nach Regensburg, die Autobahn ist nicht weit.

Der Metropolregion den Rücken zu kehren, scheint eine gute Lösung zu sein. Aber sie eignet sich nicht für jeden, der auf Wohnungssuche ist. Nicht jeder kann einfach seinen Job mit umziehen, auf Eltern oder Großeltern und Freunde im Ort verzichten. Stadt und Landkreis tragen zu einer Verbesserung bei. Doch WLD-Geschäftsführer Reith sagt deutlich: "Lösen können wir das Problem nicht."

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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