Kunstausstellung in Dachau-Ost:Wir Zugezogenen

Viele halten Dachau-Ost für trostlos und öde. Der Künstler Dieter Navratil tut das nicht. Er eröffnet am Samstag eine von ihm kuratierte Ausstellung über den meist unterschätzten Stadtteil und seine Menschen.

Wolfgang Eitler

Vor fast 30 Jahren organisierten die Mitzwanziger Dieter Navratil und Heiko Klohn gemeinsam mit Freunden ihre erste Kunstausstellung mit dem Titel "87 Quadratmeter". Damals wurde ihnen sogar von namhafter kommunalpolitischer Seite deutlich zu verstehen gegeben, dass solche Veranstaltungen in diesem Stadtteil Dachau-Ost mit seinem neuen Bürgerzentrum nichts zu suchen hätten.

Kunstausstellung in Dachau-Ost: Solche Straßennamen wie in Salzgitter gibt es auch in Dachau-Ost. Gabriele Knoll-Policha problematisiert die Erinnerung der Vertriebenen. Sie trifft direkt das Thema der Ausstellung "Alle mal zugezogen" von Kurator Dieter Navratil.

Solche Straßennamen wie in Salzgitter gibt es auch in Dachau-Ost. Gabriele Knoll-Policha problematisiert die Erinnerung der Vertriebenen. Sie trifft direkt das Thema der Ausstellung "Alle mal zugezogen" von Kurator Dieter Navratil.

(Foto: Toni Heigl)

Schon gar nicht Bilder, welche die Menschen als gebrochene Existenzen orientierungslos in leeren Räumen vorführten. "Brauch' mer net", hieß es. Dachau-Ost, das war der Stadtteil der ehemals Vertriebenen, für welche Zeitgeschichte ausschließlich aus ihren persönlichen Erinnerungen an das von ihnen erlittene Unrecht bestand. Dachau-Ost war eine Bastion.

Dieter Navratil legt jetzt eine kleine, vierteilige Ausstellungsserie im neu geschaffenen Stadtteilzentrum von Dachau-Ost auf, die sich eben dieser Geschichte unter dem Blickwinkel des Generationenwechsels widmet. "Alle mal zugezogen" lautet der Titel, der so lapidar daherkommt, wie er gemeint ist. Navratil sucht den entspannten Blick, weil schließlich kein Menschen von sich behaupten kann, nicht aus einer Familie zu stammen, die umgezogen ist, schon gar nicht in einem Stadtteil mit vergleichbar hohem Ausländeranteil.

Außerdem erweiterte er den Kreis der Künstler, indem er seine Ausstellung auf der Internetplattform "Crossart" ausschrieb. Er erhielt 48 Einsendungen in einem posttauglichen Standardformat samt Rückporto, wie es für dieses deutschlandweite Forum mit Stammsitz in Köln üblich ist. Eine Jury wählte elf aus.

Die Erinnerung ist süßlich, aber unbestimmt.

Aber Navratil staunt, dass sich bis auf Klaus Gasteiger von der neuen Galerie Mooshäusl kein Dachauer daran beteiligt: "Früher hätte ich mich vor Beiträgen nicht retten können." Allerdings suchen Fotografen wie Manfred Krebs oder Michael Volkmann einen historischen Zugang für die nächste Ausstellung. Sie wollen in Bildern die Geschichte des Dachauer Stadtteils erzählen und werden vermutlich auch das Spannungsfeld der persönlichen Erinnerungen und der als Befreiung vom Nationalsozialismus bewerteten Geschichte darlegen.

In einer aktuellen umfassenden Studie analysiert der in den USA lebenden irische Historiker R. M. Douglas, wie die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus erst die Denkkategorien möglich machten, die Zwangsaussiedlung von Millionen Deutschen zu planen und auch umzusetzen.

Ein lakonisches Bild der Künstlerin Gabriele Knoll-Policha aus Salzgitter in Niedersachsen führt in diese Richtung. Vor einem jugendstiligen Hintergrund setzt sie lapidar ein Straßenschild "Königsberger Straße" und das verblichene Foto einer nicht näher bezeichneten Frau. Die Erinnerung ist süßlich, aber unbestimmt und wird als unangemessen erfahren. Martina Redkina thematisiert wie in ihren Ausstellungen über jüdische Gesichter in Berlin direkt die Geschichte der unfreiwillig zugezogenen KZ-Häftlinge.

In die gleiche Richtung denkt Petra Engelhardt aus Bremen, die einen Besuch als junges Mädchen in Dachau symbolisch in Feuerblumen darstellt. Ähnlich expressiv sind die abstrakten Arbeiten von Monika Krautscheid-Bosse aus Neustadt-Wied in Hessen. Die Brücke zur Gegenwart und darüber hinaus baut Klaus Gasteiger. Er hat auf mehreren Blättern eines Zukunftsromans das Wort "Integration" aufgesprüht. Das Gegenbild eines niederbayerischen Grantlers hat Christian Schafflhuber aus Tittling gezeichnet. Er lässt ihn vor einer Landschaft stehen, die sich zusehends modernisiert. Thommy Ha aus Mainz stellte ein einsames Haus vor Hochhauskulisse.

Spannung zwischen Nähe und Ferne

Ob man ein Reisender sein will, wie ihn Monika Rackl-Schreiner aus Gstadt am Chiemsee darstellt, gebeugt und unstetig, mag dahin gestellt sein. Heiterer geht es in den Reisebildern von Anja-Alexandra Kaufhold aus Dresden zu, in denen Landschaften und Menschen sich zu einem unauflösbaren Gesamtbild vereinen.

Karin Seitz schließlich aus dem schwäbischen Hüfingen deutet Navratils Leitthema als Spannung zwischen Nähe und Ferne, zwischen Reisen und Daheimbleiben: In eine Gitterstruktur, die dem Grundriss eines minimalistischen Hauses entsprechen könnte, setzt sie einen Freiraum, der ins Unbestimmte führt. Das Gitter könnte äußeren Halt, aber auch inneres Gefängnis bedeuten.

Vernissage "Alle mal zugezogen", Samstag, 21. April, 18 Uhr in der Stadtteilbücherei-Ost, Ernst-Reuter-Platz. Öffnungszeiten: Montag, Mittwoch und Freitag neun bis elf Uhr; freitags auch 15 bis 19 Uhr. Dienstag und Donnerstag 15 bis 18 Uhr und Sonntag zehn bis zwölf Uhr.

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