Dachau:"Wir sind vor der Unterkunft Streife gefahren"

Dachau: Im Einsatz für Geflüchtete: Verena Hollis.

Im Einsatz für Geflüchtete: Verena Hollis.

(Foto: Toni Heigl)

Verena Hollis arbeitet seit den Neunzigerjahren im Dachauer Arbeitskreis Asyl. Damals hatte sie Angst um die Bewohner an der Kufsteiner Straße

Von Anna-Sophia Lang

Der Arbeitskreis Asyl Dachau ist untrennbar mit der Geschichte der Gemeinschaftsunterkunft an der Kufsteiner Straße verbunden. Rose Kraus, unermüdliche Kämpferin für Menschen und Toleranz, hatte ihn bereits 1983 gegründet. Als Anfang der Neunzigerjahre die ersten Geflüchteten in der Kufsteiner Straße ankamen, kümmerte sie sich mit einer kleinen Gruppe von Helfern um die Menschen, die ansonsten kaum jemanden interessierten. Eine der Ehrenamtlichen war Verena Hollis. Im Interview blickt sie 20 Jahre später zurück auf die Anfänge der Unterkunft und der Helferbewegung in Dachau. Sie erzählt vom Engagement der Helfer für eine menschliche Asylpolitik, von der Fähigkeit des Einzelnen, trotz aller abschreckenden Gesetze Gutes zu tun und von der erschreckenden Feststellung, dass sich heute vieles wiederholt, was sie in den Neunzigerjahren schon einmal erlebt hat.

SZ: Wie hat sich das Helfen verändert, seit Sie angefangen haben?

Verena Hollis: An den Aufgaben der Helfer hat sich nichts geändert, nur an der Struktur. Das geht auch gar nicht anders, denn heute sind es 200 und mehr. Bei uns gab es damals über Jahre hinweg einen festen Kern von drei bis vier Leuten, die den Arbeitskreis Asyl Dachau organisierten und vielleicht 20 sehr engagierte Leute, mal mehr mal weniger, die sich mit uns die anfallenden Aufgaben teilten.

200 Helfer können natürlich deutlich mehr stemmen, Deutschkurse zum Beispiel.

Die machte damals das Dachauer Forum. Vergleichbar mit heute war das aber nicht, denn heute gibt es sehr viele Kurse, die von Ehrenamtlichen gehalten werden. Was in diesen Tagen auch anders ist: Kommunalpolitiker werben um Akzeptanz für Geflüchtete. Wir haben das selbst gemacht, haben Demonstrationen und Infoveranstaltungen organisiert. Damals wie heute sind Ängste da, bei Leuten, die nicht verstehen, dass plötzlich Flüchtlinge in der Nähe wohnen.

Das Engagement ging also über das Helfen hinaus.

Der Kern des AK Asyl hatte immer auch eine politische Seite. Wir wollten aufklären, gegen Falschinformationen vorgehen und gegen Vorurteile. Gegen Dinge wie, dass alle Flüchtlinge faul sind und nur Geld vom Staat kassieren wollen. Wir haben erklärt, dass es Arbeitsverbote gibt und die Leute gar kein Geld verdienen dürfen, obwohl sie es wollen. Wir wollten zeigen, dass wir gegen die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes sind und gegen die Einschränkung des individuellen Rechts auf Asyl. Dass Flüchtlinge gar keine Chance zur Integration haben. Ein Wort übrigens, das damals kaum verwendet wurde.

Arbeitsverbote werden auch heute wieder erlassen, Gesetze verschärft. Wiederholt sich die Geschichte?

Ich habe laufend Déjà-vu-Erlebnisse. Zum Beispiel haben wir uns damals für dezentrale Unterkünfte eingesetzt, damit die Menschen nicht in Massenlagern leben müssen. Heute werden Traglufthallen aufgebaut, die nicht akzeptabel sind. Eigentlich sind sie noch schlimmer als die Baracken in der Kufsteiner Straße. Gottseidank werden die jetzt wieder abgebaut.

Wie haben Sie die Unterkunft erlebt?

Das gedrängte Zusammenleben war schlimm. John Mitterbacher, der als Verwalter von der Regierung von Oberbayern kam, war ein Geschenk des Himmels. Es kommt so sehr auf einzelne Menschen an, sie können alles verändern. Das gilt auch für Kommunalpolitiker. Der Ton, der gesetzt wird, macht einen großen Unterschied. Ob man miteinander spricht, gemeinsam eine Lösung findet. Gesetze hin oder her, es gibt immer Spielräume.

Wie empfinden Sie die Stimmung heute im Vergleich zu den Neunzigerjahren?

Manche Politiker laufen wieder einer rechtsgerichteten Stimmung in Teilen der Bevölkerung nach. Dadurch verschlechtert sich die allgemeine Stimmung. Sie sollten anders mit den Ängsten umgehen. Die mag es ja geben, aber wenn man den Geflüchteten begegnet, werden sie kleiner. Dafür werben jetzt vor allem Kommunalpolitiker. Ihre Einstellung ist heute im Unterschied zu damals teils sehr positiv. Und es gibt heute so viele Helfer. Das ist toll.

Wie ist die Bevölkerung in Dachau Ihnen damals begegnet?

Wir haben viel Zuspruch aus Parteien und Organisationen bekommen, und Spenden, ohne die es ja nicht ging. Andererseits haben wir manchmal auch das Gegenteil zu hören bekommen, von Leuten, die nicht verstanden haben, warum wir uns für Flüchtlinge einsetzen. Aber wenn man diese Arbeit macht, muss man damit rechnen, dass man Gegenwind bekommt.

Haben sich die rassistischen Ausschreitungen der Neunzigerjahre in Dachau ausgewirkt?

Wir haben die natürlich über die Medien mitbekommen. Wir hatten Angst, dass so etwas auch an der Kufsteiner Straße passieren könnte. Wir sind dann ein paar Wochen lang nachts in Absprache mit der Polizei Streife gefahren. Etwa 25 Menschen haben mitgemacht, wir haben eine Telefonkette gebildet. Immer zwei Leute sind gemeinsam die Straßen abgefahren und eine Weile im Auto an der Unterkunft sitzen geblieben, um die Lage zu beobachten. Wäre ihnen etwas Verdächtiges aufgefallen, hätten sie sofort die Polizei informiert.

Jetzt wird die Unterkunft geschlossen. Was kann man aus ihrer Geschichte lernen?

Die Menschen dort waren immer ein Spiegel der politischen Weltlage. Bereicherung ist ein abgedroschenes Wort, aber man lernt so viel bei der Begegnung mit anderen. Angst haben oft Leute, die keinen Kontakt zu Geflüchteten haben. Wir haben nie unterschieden zwischen politisch Verfolgten und Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen gekommen sind. Die haben ihr Land aus Armut und Perspektivlosigkeit verlassen. Als Helfer lernt man: Man kann nicht von den Geflüchteten erwarten, dass sie immer so reagieren, wie man es sich wünscht. Man kann ihnen vorleben, wie das Leben in Deutschland ist, man muss Geduld haben und motivieren. Aber bitte keine Leitkultur, schon gar keine bayerische. Das Grundgesetz ist Richtlinie genug.

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