Dachau:"Wir leben in einem gefährdeten Land"

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Andrea Röpke erforscht den Rechtsradikalismus. Die alltägliche Gewalt kommt ihrer Ansicht nach aus der "Mitte unserer Gesellschaft".

Interview von Gregor Schiegl

In ihren Reportagen beleuchtet die mehrfach preisgekrönte Journalistin Andrea Röpke schon seit vielen Jahren Hintergründe, Tätergruppen und Vorgehensweisen rechts motivierter Hassverbrechen. Zuletzt erschienen ist von ihr das "Jahrbuch rechte Gewalt. Chronik des Hasses", das sie auch am Donnerstag bei einer Veranstaltung des Runden Tischs gegen Rassismus in Dachau vorgestellt hat.

SZ: Frau Röpke, wozu ein Jahrbuch über rechte Gewalt? Was war Ihre Intention?

Andrea Röpke: Uns geht es darum, aufzuzeigen, dass rechte Gewalt inzwischen ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und sich nicht mehr nur auf Neonazi-Täter beschränkt. Auch der wutentbrannte Bürger von nebenan kann zur Straftat schreiten.

Ist das die neue, besorgniserregende Dimension der rechten Gewalt?

Das ist nur eine der Entwicklungen, die wir seit mindestens 2013 in Deutschland beobachten. Der ganze Bereich der rechtsmotivierten Gewalt breitet sich aus. Oftmals beginnt es mit Initiativen gegen Flüchtlinge im Internet, da schaukelt sich der Hass hoch. Zum Teil endet der soziale Unfriede dann auf der Straße. Häufig werden Menschen zu Gewalttätern, die vorher gar nicht in diesem politischen Kontext aufgefallen sind. Sie meinen das Recht in die Hände nehmen zu müssen nach dem Motto: Deutsche zuerst. Aber meistens haben routinierte rechtsextreme Kreise unauffällig Vorarbeit geleistet. Im Schatten des islamistischen Terrors nehmen viele nicht wahr, dass wir in einem Land leben, in dem die alltägliche Gewalt nicht von außen kommt, sondern vor allem aus der Mitte unserer Gesellschaft.

Ist Hass das treibende Motiv, wie der Untertitel Ihres Buches suggeriert?

Naja, der Hass ist zumindest eine Motivation. Was zum Beispiel das Land Bayern betrifft, haben Wissenschaftler von der Universität Leipzig gewarnt, dass die Fremdenfeindlichkeit neben der in Sachsen statistisch gesehen am höchsten ist. Das heißt, wir haben eine immer gefestigtere Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung, und wenn das kombiniert wird mit ungefiltertem Hass, vielleicht auch mit gezielten Strukturen angeheizt wird, sei es in sozialen Medien oder auf der Straße, dann kann sich das auch in Straftaten niederschlagen. Die Gewalttaten haben sich jedenfalls massiv verschärft - erschreckend verschärft.

Können Sie das mit Zahlen belegen?

Offizielle Zahlen sagen, dass sich die rechten Straftaten in Sachsen um 90 Prozent erhöht haben. In Bayern, so war es bis Oktober 2016, wurden nach Angaben des Innenministeriums 340 Flüchtlinge attackiert und 75 Asyleinrichtungen angegriffen, aber auch 14 Helfer und Hilfseinrichtungen. Es geraten immer mehr diejenigen ins Visier, die sich für Schwächere einsetzen und eben nicht mehr nur Politiker, Polizisten, Journalisten, linke Jugendliche oder Flüchtlinge. Das ist eine neue Qualität.

Die vielen ehrenamtlichen Helfer, die sich für Flüchtlinge engagieren, senden aber doch auch ein wichtiges Signal aus - gegen Rassismus, gegen Gewalt?

Natürlich spielt zivilgesellschaftliches Engagement eine wichtige Rolle: Ein gutes soziales Klima, ein gutes Miteinander sind immer die besten Mittel, rechte Gewalt zu verhindern, das ist ganz klar so.

Welche regionalen Unterschiede gibt es bei rechter Gewalt in Deutschland?

Das ist ein schwieriges Thema. Was rassistische Gewalt angeht, gibt es immer noch keine ausreichende Sensibilisierung bei den Sicherheitskräften. Häufig wird den Angaben der Täter geglaubt, dass es keinen politischen Hintergrund gäbe. Der wahre Charakter dieser Straftaten wird oft gar nicht offenbart. Wir haben auch noch kein ausreichendes zivilgesellschaftliches Monitoring. In einigen westdeutschen Bundesländern gibt es keine flächendeckenden Opferberatungsstellen. Das heißt, wir haben sehr viele weiße Flecken, was die Wahrnehmung rechter Gewalt angeht und können daher keine vollwertige Statistik aufstellen. Aber man kann natürlich erkennen, dass es bestimmte Schwerpunktregionen gibt. Wir hatten die explodierende Gewalt in den neuen Bundesländern. Auch Bayern hat sich immer wieder negativ hervorgetan bei kriminellen und terroristischen Vereinigungen, die mit extremen Gewalttaten aufgefallen sind. Nicht zufällig wurde der zweitgrößte Anschlag in der deutschen Geschichte, das Oktoberfestattentat 1980 in München, von einem Neonazi begangen.

Was können Vereinigungen wie der Runde Tisch gegen Rassismus in Dachau lokal gegen rechte Gewalt leisten?

Das sind diejenigen, die die Gesellschaft repräsentieren, die sich ganz klar gegen rechte Gewalt positionieren und das weltoffene Deutschland repräsentieren, die ein soziales Wohlfühlklima in ihrer Region schaffen. Das ist absolut wichtig, und darauf sollten wir auch unseren Fokus setzen.

Sollte man mit Rechtsextremen diskutieren oder halten Sie das für sinnlos?

Toleranz und Weltoffenheit sind die wichtigsten Aushängeschilder unserer Gesellschaft, aber wenn Leute mit rassistischen Einstellungen uns den Kampf erklären, wenn sie offen Gewalt propagieren, dann gibt es nichts mehr zu diskutieren, dann muss auch Toleranz ein Ende haben.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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