Dachau:"Wir geben jungen Menschen eine Perspektive"

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Kreisrätin Sylvia Neumeier (SPD). (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sylvia Neumeier leitet seit 24 Jahren die Drobs-Beratungsstelle. Zum "Anti-Drogen-Tag" skizziert sie die Arbeit ihrer Organisation und erklärt, warum die Loslösung gerade junger Menschen von der Sucht mehr bedeutet, als nur den Entzug zu gewährleisten

Interview von Christiane Bracht, Dachau

Anlässlich des Anti-Drogen-Tags am vergangenen Montag hat das Landeskriminalamt neue Zahlen veröffentlicht: 144 Menschen sind seit Jahresbeginn in Bayern an einer Überdosis oder gefährlichen Kombination mehrerer Rauschgifte gestorben. Eine deutliche Steigerung zum Vorjahr. Doch besondere Veranstaltungen, die auf den Tag aufmerksam machen, gibt es in Dachau und Umgebung nicht. Für die SZ ist das Grund genug, sich mit der Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins Drobs in Dachau, Sylvia Neumeier, zu unterhalten. Stadtrat und der Kreistag beraten diese Woche über die kommunalen Zuschüsse für Drobs.

SZ: Was bedeutet der Anti-Drogen-Tag für Ihre Arbeit?

Sylvia Neumeier: Im Prinzip ist der Tag so benannt, damit man an Drogenabhängige denkt. Davon merken wir aber wenig. Es ist eigentlich kein Unterschied zum Rest des Jahres zu spüren. Abhängige kommen aber auch nie wegen des Tags der Drogen. Sie kommen, wenn sie ein Problem haben.

Sollte die Aufmerksamkeit an diesem Montag nicht auf sie gelenkt sein?

In dieser Woche haben wir keine Veranstaltungen geplant, aber wir machen im Laufe des Jahres viele Präventionsveranstaltungen in der 5., 6. und 7. Klasse an allen Dachauer Schulen. Kein Kind geht ohne Prävention von der Schule. Und das zahlt sich aus. Wir haben das jüngste Klientel in Oberbayern.

Ist das nicht eher erschreckend?

Nein. Die Jugendlichen lernen uns mit 13 oder 14 Jahren in der Schule kennen. Und wenn sie merken, dass sie ein Problem haben, sei es dass sie nicht mehr aufhören können mit ihrem Cannabis- beziehungsweise Amphetaminkonsum oder weil sie Ärger mit den Eltern haben oder fürchten die Schule nicht zu schaffen, kommen sie zu uns. Viel schneller, als wenn sie uns nicht kennen würden. So können wir oft schon helfen, bevor eine chronische Suchterkrankung vorliegt. Immerhin 40 Prozent kommen aus eigener Motivation.

Und die anderen 60 Prozent?

Oft sind es die Eltern, denen eine Veränderung an ihrem Kind aufgefallen ist. Aber das muss auch nicht immer der Grund sein, denn in der Pubertät sind Veränderungen normal. Wir versuchen dann beiden zu helfen. Wir beraten nämlich nicht nur Betroffene, sondern auch Angehörige und machen Gesprächsrunden, wenn es nötig ist mit mehreren Mitarbeitern. Gespräche sind in dem Fall besonders wichtig. Klar, im Jugendalter probieren viele verbotene Substanzen aus, sehr viele hören von allein wieder auf, aber auffallend ist, dass die Konsumenten immer jünger werden.

Mit wie viel Jahren geht es denn los?

Bei Cannabisprodukten ist das Einstiegsalter inzwischen bei 13 bis 15 Jahren. Dann kommt oft Spice hinzu. Wer Amphetamine ausprobiert, ist meist älter, so 16 oder 17 Jahre alt. Das Komasaufen, das eine Zeitlang sehr in war, flaut dagegen langsam ab. Alkohol ist bei uns aber eher ein sekundäres Thema. Wir haben uns auf illegale Drogen spezialisiert. Die Caritas kümmert sich um Alkoholabhängige.

Sie sind seit 24 Jahren in der Suchtberatung tätig. Was hat sich noch alles geändert?

Die Substanzen haben sich seit Mitte der 1990er Jahre extrem verändert. Jeden Tag kommen 50 bis 200 neue Rauschmittel auf den Markt. Es ist ein Bestandteil der Wirtschaft, wenn auch ein illegaler. Seit November fallen nicht mehr nur Amphetamine unter das Betäubungsmittelgesetz, sondern auch die Derivate. Das weckt die leise Hoffnung, dass es vielleicht nicht mehr so interessant ist, neue Stoffe herzustellen. Aber ich merke noch nicht allzu viel davon.

Anders ist auch, dass inzwischen 20 Prozent unserer Klienten eine Doppeldiagnose haben. Meist ist die Drogenabhängigkeit mit einer psychischen Erkrankung verknüpft, wie etwa dem Borderline Syndrom oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Deshalb habe ich mich und meine Mitarbeiter auch medizinisch weiterqualifizieren müssen, um helfen zu können. Auffällig ist zum Beispiel, dass etwa eine Schizophrenie durch Cannabis ausgelöst werden kann. Unter 25-Jährige hatten früher praktisch nie eine solche Diagnose, in den vergangenen zehn Jahren ist sie häufig geworden.

Gibt es auch positive Veränderungen in der Drogenpolitik?

Ja. Die Substitution ist eine Erfolgsgeschichte. Früher waren alle Heroinabhängigen mit etwa 40 Jahren tot. Doch heute werden sie dank der Verabreichung von Ersatzmitteln wie Methadon zehn bis 20 Jahre älter. Oft fallen sie trotz ihrer Sucht nicht einmal aus dem Arbeitsleben heraus oder kommen nach kurzer Zeit wieder zurück. Damit verelenden sie auch nicht mehr so wie das in den 1980er Jahren war. Und die Verbreitung von HIV und Hepatitis ist deutlich eingeschränkt worden.

Wo liegt die größte Gefahr in eine Abhängigkeit abzurutschen?

Ach, es gibt viele Ursachen für eine Sucht: das soziale Umfeld zum Beispiel oder die Bezugspersonen, die ein abhängiges Verhalten vorleben. So gibt es Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren, die lernen, dass Mama immer ein Glas Wein braucht zum Entspannen. In der Pubertät gehört Alkohol dann für sie zum Erwachsenwerden dazu. Andere haben einen Freundeskreis, in dem Drogen als toll empfunden werden, und wer jemand sein will, muss mitmachen. Bei Erwachsenen ist es meist der angenehme Rauschzustand, der sie zu Drogen verführt. Oder in den vergangenen fünf Jahren sind es oft hochfunktionale Menschen, die die leistungsfördernde Wirkung von Amphetaminen für sich entdeckt haben. Dabei spielt die Angst, in der Gesellschaft nicht mithalten zu können, eine große Rolle.

Warum sind Sie der Drogenberatung so treu geblieben?

Mir ist es häufig gelungen, Menschen eine Perspektive zu geben. Und wenn ich nur einem Menschen helfen kann, ist es die Arbeit wert, auch wenn sie mit einem 24 Stunden Notruf anstrengend ist. Die Firmen in der Umgebung schätzen unsere Arbeit zum Beispiel sehr. Sie nehmen gerne Jugendliche, die wir empfehlen. Dass die jungen Leute so wieder eine Perspektive haben für ihr Leben, ist wichtig.

Werden Sie finanziell unterstützt?

80 Prozent der Personalkosten übernimmt der Staat. Außerdem bekommen wir einen Zuschuss vom Landkreis. Aber etwa 50 000 Euro muss der Verein selbst aufbringen durch Sponsoren, Veranstaltungen oder Mitgliedsbeiträge. Das ist nicht leicht.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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