Zivilcourage-Preis:"Wir dürfen nicht egoistisch sein"

Zivilcourage-Preis: "Heute fliehen Menschen aus Kriegen, die wir mit unseren Waffen versorgen", sagt Gülşen Çelebi bei der Verleihung des Zivilcourage-Preises.

"Heute fliehen Menschen aus Kriegen, die wir mit unseren Waffen versorgen", sagt Gülşen Çelebi bei der Verleihung des Zivilcourage-Preises.

(Foto: Toni Heigl)

Die Anwältin Gülşen Çelebi kämpft gegen Rassismus - dafür wird sie von der Stadt Dachau geehrt.

Von Julian Erbersdobler, Dachau

Gülşen Çelebi hat eine Botschaft im Gepäck. Sie möchte etwas "in die Welt posaunen": "Wehret den Anfängen!", sagt sie mit erhobener Stimme. Dann spricht die deutsche Rechtsanwältin mit kurdischen Wurzeln die zahlreichen Besucher der Preisverleihung im Dachauer Rathaus persönlich an. "Auch Du kannst ein Tropfen sein wie ich, der weitere Tropfen anzieht und irgendwann zu einem Fluss wird." Hinter diesem Bild steht ihr mutiger und kreativer Widerstand gegen den Düsseldorfer Pegida-Ableger Dügida, der am Donnerstagabend im Rathaus mit dem Dachau-Preis für Zivilcourage gewürdigt wurde. Die Auszeichnung wird seit 2005 alle zwei Jahre von der Stadt Dachau in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte verliehen. Neben einer vom Dachauer Künstler Heinz Eder gestalteten Medaille ist der Preis mit 5000 Euro dotiert.

Montag für Montag stellt sich die 43-jährige Anwältin offen gegen die fremdenfeindlichen Parolen der Demonstranten in ihrer Heimatstadt. Mit Megafon und Nazi-Witzen, lauter Musik aus Boxen, Kochlöffel und Topf macht sie ihren Balkon zum "lustigsten Deutschlands", um das Getöse auf der Straße zu übertönen. Gemeinsam mit Kollegen und Freunden bezieht sie klar Stellung: "Wir sind Deutschland, nicht ihr."

Mit offenem Visier gegen Fremdenfeindlichkeit

Durch ihren unermüdlichen und mutigen Einsatz nehme die Preisträgerin eine Vorbildfunktion für ihre Mitmenschen ein, sagt Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) in seiner Rede. "Sie sind ein Ansporn für uns alle, sich couragiert gegen Ausgrenzung einzusetzen." Wolfgang Benz, Zeitgeschichtsprofessor und Mitglied der Preis-Jury, ordnet in seiner ausführlichen Laudatio zunächst die Pegida-Demonstrationen ein. Er verurteilt einen aufkeimenden "Kulturrassismus, der an das alte Übel erinnert" und spricht davon, dass die "Saat der Ausländerfeinde" aufgegangen sei. Besonders ein Statement liegt ihm am Herzen: "Fremdenhass ist längst keine Randerscheinung mehr, von der sich Politik und Medien einfach distanzieren können. Er kommt aus der Mitte der Gesellschaft."

Im zweiten Teil der Laudatio geht es um die Preisträgerin. Ihren Mut, Frauen, die geschlagen und unterdrückt werden, juristisch und menschlich in ihrer Kanzlei zu unterstützen. Ihre Courage, sich mit offenem Visier gegen Fremdenfeinde zu stellen. Ihr Selbstverständnis, sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Welche Kraft das kostet, macht Wolfgang Benz an einem Beispiel deutlich: Während Çelebi in einem Flüchtlingsheim hilft, wird sie von zwei Sicherheitskräften "auf Anweisung von oben" aus der Unterkunft geworfen. In einem anschließenden Briefwechsel mit der zuständigen Behörde finden sich nur fadenscheinige Vorwürfe gegen die Rechtsanwältin. Seither wird ihr der Zutritt und das freiwillige Engagement verweigert.

Kompliment an den Oberbürgermeister

Gülşen Çelebi beginnt ihre Rede mit einem Kompliment an Florian Hartmann. "Einen sehr jungen Oberbürgermeister haben Sie da", sagt sie zum Dachauer Publikum. "Das finde ich sehr gut." Anschließend wird sie schnell ernst und spricht von einer "großen Ehre", den Preis in einer Stadt wie Dachau entgegen zu nehmen. Sie gedenke allen Opfern des Nationalsozialismus, im Besonderen Sophie Scholl. Die Dügida-Teilnehmer bezeichnet sie als "Unverbesserliche", die sich über andere Menschen erheben wollen. Das sei nichts weiter als eine "Projektion", so Çelebi weiter. "Und leider gibt es genug Dumme, die sich hierfür prostituieren."

Ihre Haltung wird in jedem Satz deutlich. Auch, wenn es darum geht, die Fluchtursachen vieler Heimatsuchender zu benennen: "Heute fliehen Menschen aus Kriegen, die wir mit unseren Waffen versorgen. Daran hat sich nicht viel geändert." Ihr Appell richtet sich aber nicht nur an die Politik, sie nimmt auch jeden Bürger in die Pflicht. Es gehe nicht darum, menschliche Werte bei anderen zu suchen, sondern bei sich selbst. Sie mahnt: "Wir dürfen nicht egoistisch sein."

Wegen ihrer klaren Statements wird Gülşen Çelebi immer wieder beschimpft und sogar mit dem Tode bedroht. In ihre Kanzlei wurde bereits mehrmals eingebrochen.

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