Dachau:Von der Vielfalt eines Viertels

Im Bürgertreff-Ost eröffnet die Ausstellung "Alle mal zugezogen, heute hier zu Hause"

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Lajos Hercenberger platzt fast vor Stolz. Seinen Sohn vor sich, posiert er für ein Foto vor einer Tafel an der Wand. Die Kamera klickt, Hercenberger versucht, väterlich-streng zu gucken. Auf der Tafel wird seine Lebensgeschichte erzählt. Wie er in der Bacska im heutigen Serbien aufwuchs, wegen seiner Zugehörigkeit zu einer deutschen Minderheit schikaniert wurde, mit 20 Jahren auswanderte und schließlich nach Dachau kam. Ganz am Ende steht da: "Ich bin vor 26 Jahren nach Dachau-Ost gekommen, und mir gefällt es gut. Ich habe viele Freunde gefunden." Hercenbergers Geschichte ist nicht die einzige, die an diesem Tag erzählt wird. Rund herum an den Wänden im neuen Bürgertreff-Ost am Ernst-Reuter-Platz hängen viele weitere Tafeln. Sie erzählen von Menschen aus der Türkei, Griechenland, Togo, Nordmähren, Schlesien und Ostpreußen. So unterschiedlich ihre Herkunft ist, haben sie doch alle eines gemeinsam: In Dachau-Ost haben sie ein Stück neue Heimat gefunden.

Ihre Geschichten stehen im Zentrum der nun eröffneten Ausstellung "Alle mal zugezogen, heute hier zu Hause". Es ist eine Ausstellung von Bürgern für Bürger, organisiert von Eva Behling, Manfred Krebs, Sibylle Weigert, Michael Volkmann und Dieter Navratil. "Den Stammbaum des Ostlers" nennt Krebs sie. Die fünf Kuratoren haben Mitbürger interviewt, Fotos und Dokumente gesammelt, alte Stadtratsbeschlüsse recherchiert und auf rund 30 Tafeln in chronologischer Folge aufbereitet. Herausgekommen ist eine Ausstellung, die zeigt, wie sehr sich der jahrzehntelang stiefmütterlich behandelte Stadtteil Dachau-Ost verändert hat.

Dachau: Dieter Navratil, Michael Volkmann, Eva Behling, Manfred Krebs, Sabina Navratil und Sibylle Weigert (von links) haben die Ausstellung organisiert.

Dieter Navratil, Michael Volkmann, Eva Behling, Manfred Krebs, Sabina Navratil und Sibylle Weigert (von links) haben die Ausstellung organisiert.

(Foto: Toni Heigl)

Sie beginnt nach Kriegsende, als Tausende Heimatvertriebene in die Baracken des ehemaligen Konzentrationslagers zogen. Von der Weigerung des Stadtrats, die Verantwortung für das Gebiet zu übernehmen, über die Grundsteinlegung der Friedlandsiedlung und den Kampf für den Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr bis zur Abstimmung der Bevölkerung über einen Namen für das entstandene Quartier zeichnet sie die Entwicklung nach. Doch es ist auch eine Ausstellung, die in die Zukunft weist. Denn den roten Faden bilden die Lebensgeschichten der Dachau-Ostler. Unter ihnen sind auch junge Menschen aus heutigen Krisengebieten, die im Stadtviertel aufgenommen wurden und genauso dazu gehören wie alle anderen - ein deutliches Zeichen zu einer Zeit, in der Tausende in Deutschland Schutz suchen.

Es hat Jahre gedauert, bis die Organisatoren alle Informationen zusammengetragen haben. Fertig geworden sind sie zu einem entscheidenden Zeitpunkt: In diesem Herbst endet das Projekt "Soziale Stadt Dachau-Ost". Fünf Jahre lang wurde die Stadtteilentwicklung aus Mitteln von Bund, Freistaat und Stadt gefördert. Unterstützt vom 17-köpfigen Quartiersbeirat und Quartiersmanagerin Sabina Endter-Navratil engagierten sich dabei immer mehr Bürger in einzelnen Projekten für die Aufwertung ihres Viertels. In zwei Stadtteilkonferenzen wurde zu Anfang ein integriertes Handlungskonzept entwickelt, das kurz darauf vom Stadtrat beschlossen wurde. Die Liste der Projekte, die dann im Lauf der Jahre realisiert wurden, ist lang: An der Schleißheimer und Sudetenlandstraße etwa entstanden Verkehrsinseln für sicheres Überqueren, Bushaltestellen wurden behindertengerecht ausgebaut, Mietergärten eingerichtet und ein Abenteuerspielplatz gebaut. Mit Ausstellungen, Lesungen und Konzerten wurde das kulturelle Leben gefördert. Noch wird an der Renaturierung der Würm gearbeitet, die neuen Räumlichkeiten des Bürgertreffs am Ernst-Reuter-Platz dagegen sind schon fertig. Das Projekt "Soziale Stadt Dachau-Ost" hat seine Ziele nicht nur erreicht, sondern gilt als Vorzeigeprojekt für Bürgerbeteiligung.

Dachau: Auch dieser Teddy ist Teil der Ausstellung.

Auch dieser Teddy ist Teil der Ausstellung.

(Foto: Toni Heigl)

Wenn nun bald das Förderprogramm endet, ist es mit der Gestaltung des Stadtteils noch lange nicht vorbei: Im vergangenen Herbst wurde der Verein "Bürgertreff Ost" gegründet, der die Aktivitäten weiterführen wird. Finanziell gefördert wird er dann nur noch von der Stadt. Cornelia Klotz, die aus Dachau-Ost stammende Vorsitzende des Vereins, ist voller Vorfreude, genau wie Endter-Navratil. Denn durch die Räume, die ihnen nun im neuen Bürgertreff zur Verfügung stehen, können sie ein breiteres Angebot für die Bürger schaffen. Auch die Kooperation mit lokalen Organisationen wie dem Dachauer Forum ist nun deutlich einfacher. Vor allem will der Verein die Integrationsarbeit verstärken. Denn die, das macht die gerade eröffnete Ausstellung deutlich, greift die besondere Eigenschaft des Viertels auf: die Vielfalt seiner Bürger.

Die Ausstellung "Alle mal zugezogen, heute hier zu Hause" ist noch bis Sonntag, 8. November, zu sehen. Öffnungszeiten im Bürgertreff-Ost, Ernst-Reuter-Platz 1A, sind samstags von 14 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 16 Uhr und donnerstags von 17 bis 20 Uhr.

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