Dachau:Von archaisch bis erotisch

Auch die sechsten Dachauer Lange Nacht der offenen Türen mit 30 Ateliers, Galerien und Museen ist ein voller Erfolg. Hunderte Besucher genießen Kunst auf die lockere Art.

Dorothea Friedrich

Wohin gehen bei der "6. Dachauer Langen Nacht der offenen Türen"? Knapp 30 Museen und Galerien beteiligen sich am Samstagabend. Vielleicht sich einfach treiben lassen? Mit den mal mehr, mal weniger großen Menschenströmen durch die Dachauer Kunstszene wandern oder sich antizyklisch fortbewegen? Egal, wie man sich auch entscheidet: Mindestens ebenso spannend wie Gemälde, Installationen, Fotografien oder Skulpturen, sind die Gespräche am Rande.

Dachau: Bruno Schachtner zeigt altes Druckhandwerk.

Bruno Schachtner zeigt altes Druckhandwerk.

(Foto: © joergensen.com)

Beispielsweise in der Neuen Galerie. Die Räume des ehemaligen Café Flori sind gerade "So zwischendrin", und sechs Künstlerinnen und Künstler fragen: "Erwachsen werden - eine Kunst?" Einer von ihnen ist Christian Jasper. Er steht bei der offiziellen Eröffnung der "Langen Nacht" durch Oberbürgermeister Peter Bürgel ein wenig am Rande des Geschehens. Ganz anders als sein Werk. Mit "Standbild" beherrscht er die Ausstellung. Zu sehen ist der Umriss eines Menschen, der eine Mauer durchbrochen hat. "Ja, mit dem Kopf durch die Wand rennen, das trifft nicht nur auf junge Menschen zu", sagt Jaspers und liefert gleich noch eine Deutung seiner beeindruckenden Arbeit mit: "Es gibt doch immer ein Davor, ein Dahinter und ein Zwischendrin." Und eine Frage der Perspektive, möchte man hinzufügen. Schaut man vom Eingang aus durch den Läufer hindurch, sieht man die Weingläser umklammernden Vernissage-Gäste und stilles Grün in der Abenddämmerung. Schaut man von der anderen Seite, öffnet sich diese Sicht: Immer mehr Menschen schlendern durch den idyllischen Innenhof, und das Leben ist plötzlich wieder da.

Apropos Leben: Eine der unschönen Facetten, die gerne und heftig wabernde Gerüchteküche, macht auch vor der hehren Kunst nicht Halt. Was ist denn dran am Plagiatsgeraune um diese Ausstellung? Das wollen viele Besucher wissen. Kuratorin Jutta Mannes gibt eine diplomatische Antwort: "Es hat eine kleine Unstimmigkeit gegeben, möglicherweise konnten wir die aber in einem Gespräch ausräumen", sagt sie in ihrer Eröffnungsrede. Letztendlich ist das aber ebenso marginal, wie das derzeit vermarktete Nicht-Vorleben gewesener Präsidentengattinnen. Die spannendere Frage ist: Was hat es mit den Nackerten im Wasserturm auf sich, die in der Altstadt das Gesprächsthema Nummer eins sind? Doch die müssen warten.

In der Galerie der KVD geht es bei Monika Siebmanns und Jürgen Meyer um "Archaische Spuren". Die wären bei den strengen und doch so anziehenden Skulpturen und Bildern angesichts der Vernissage-Gemengelage nur schwer auszumachen gewesen, hätte nicht Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler in seiner Rede verlockende Spuren ausgelegt. Also heißt es abwarten, bis die Meute sich auf ihr nächstes Kunstopfer stürzt und (fast) in Ruhe darüber zu sinnieren, was das wohl für Menschen waren, die vor Jahrtausenden in Italien diese zeitlosen Felszeichnungen und -ritzungen angefertigt haben, die Monika Siebmanns auf ihre unnachahmliche Art nach Dachau gebracht hat. Da wird "Kunst zu einem Schutzraum in einer bedrohlichen Welt", wie Norbert Göttler sagte - und Jürgen Meyers erdige Bilder werden zu "Wegmarkierungen", die einen den Abend lang nicht mehr loslassen.

Vor dem Irish Pub geht es derweil musikalisch zu, junge Leute machen Kunst zum Zuhören und geleiten mit ihren Gitarrenklängen die Schritte in die Kleine Altstadtgalerie. Farben explodieren, mystische Zeichen locken, tiefschwarze Augen saugen alles auf. Mittendrin und doch alleine auf dem Boden eine Frauengestalt. Eine Frau und doch keine Frau im üblichen Sinn. Der kleine tierähnliche Kopf erinnert an eine ägyptische Göttin, der Lotussitz an eine Buddhistin in tiefer Meditation. Aber die Namenlose weckt auch Reminiszenzen an den Film Avatar mit ihrer kunstvoll bemalten Oberfläche. Sie ist "Jenseits" gängiger Vorstellungen - und doch ganz diesseitig. "Das ist mir alles zu esoterisch", meckert eine Besucherin dieser Ausstellung des Glücksstädter Künstlers Michael Krautzig, die er "Jenseits" genannt hat. Er wolle "Zwischenräume zeigen", sagt er, "die Dualität des Lebens, das Instinkthafte, Tierische, das in jedem Menschen ist, das Intuitive, das unser Handeln bestimmt". Das scheint nicht nur den Mann anzusprechen, der sich sehr bestimmt zum Krautzig durcharbeitet: "Endlich mal was, womit ich was anfangen kann. Das lebt, das hat Ausstrahlung", sagt er. Auf der engen Treppe der Kleinen Altstadtgalerie geht die Diskussion weiter. "Für mich ist das Indien pur", sagt eine Frau und strahlt mit Smaragdgrün und Sattgelb auf den Bildern um die Wette. Da mischt sich ein Hobby-Kunstkritiker ein, der schon ganz ungeduldig innerlich mit den Füßen scharrt: "Das ist Gauguin nachempfunden", meint er sehr bestimmt, streicht durch sein gegeltes Haar und entschwindet mit forschem Schritt.

Wohin? Zu "Eros und Ramazotti". So steht es auf einem Werk von Heiko Klohn, das im Wasserturm in der Ausstellung mit dem leicht zweideutigen Titel "Positionen erotischer Kunst" zu sehen ist. Schwellende Brüste, knackige Frauenhintern, so weit das Auge reicht. Und reichlich Positionen. Nur was für (männliche) Voyeure? Keineswegs. Heiko Klohn, Wolfgang Sand, Florian Marschall, Mariola Brillowska, Roman Kalarus und Jonas Piech haben eine über weite Strecken geglückte und im wahrsten Sinne des Wortes anregende Gratwanderung zwischen Pornografie und Erotik hingelegt, an der auch Frauen ihren Spaß haben. Wie drei Damen, die sich vor einer kleinen Skulptur von Wolfgang Sand königlich amüsieren. Jedes Detail der etwas verlebten Schönheit - von den Beinen in Hochhackigen, von denen eines kokett auf einem Stuhl steht, über die auffordernde Körperhaltung bis zum nach hinten geworfenen Kopf und dem kritischen Blick in den Spiegel - kommentieren sie aus Frauensicht. So amüsant kann Kunst sein! Auch der gegelte Hobby-Kunstkritiker ist da. Er doziert vor seiner ergriffen lauschenden Begleiterin über die in den Werken verborgenen Aggressionen - und detailverliebt deren mögliche Entstehungsweise.

Jetzt muss ein Kontrastprogramm her. Das findet sich in der Druckwerkstatt. Seit dem Nachmittag üben Bruno Schachtner und seine Kollegen mit Kindern und Erwachsenen die hohe Druckkunst. Wäre der Bayerische Rundfunk gerade unterwegs, er hätte gleich den Plot für eine Folge seiner Serie "Der letzte seines Standes". Die Tassilo-Preisträger sind die begeisterten Hüter von Druckmaschinen, die sonst nur noch im Museum zu finden sind - und sie sind die Wahrer eines Könnens, das als "schwarze Kunst" Geschichte zwar nicht geschrieben, aber dokumentiert hat. Die "Lange Nacht" neigt sich ihrem Ende zu. In der Volksbank-Raiffeisenbank stürmt um kurz vor Mitternacht noch ein Paar die Krottenthaler-Ausstellung. "Die wollten unbedingt eine bestimmte Arbeit von Albert Krottenthaler kaufen, aber die war schon weg", erzählt Kuratorin Bärbel Schäfer.

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