Dachau:Verdrängtes Leid

Sinti und Roma werden noch immer diskriminiert und verfolgt - und als Flüchtlinge ganz rasch abgeschoben

Von Helmut Zeller, Dachau

Am Todesmarschmahnmal gab Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) im Mai Romani Rose, dem Zentralratsvorsitzenden der Sinti und Roma, ein Versprechen. Dachau werde die Erinnerung an die ungefähr 2500 Menschen bewahren, die von den Nazis als "Zigeuner" ins Konzentrationslager gesperrt wurden. Hartmann war es damit ernst, doch muss er jetzt feststellen, dass nicht alle in Dachau sich an dieses Versprechen gebunden fühlen - vor allem CSU-Politiker nicht, auch wenn sie bei den alljährlichen Gedenkfeiern zur Befreiung des KZ in vorderster Reihe sitzen.

Die Erinnerung an den NS-Völkermord an Roma und Sinti, dem eine halbe Million Menschen zum Opfer fielen, könnte doch nur störend wirken bei der harten Gangart der bayerischen Staatsregierung gegenüber Flüchtlingen vom Westbalkan. Deshalb: lieber vergessen. Denn etwa 80 Prozent dieser sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge, denen pauschal kein Recht auf Asyl gewährt wird, sind Roma. "Es ist skandalös, dass auf deutschem Boden 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Sonderlager für Roma eingerichtet werden", sagt Matthias Weinzierl, Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrats. Er meint damit die geplanten Abschiebe-Zentren für Balkanflüchtlinge, das erste wurde Anfang dieser Woche in Manching bei Ingolstadt geöffnet.

Sprachlos, wie er sagt, macht Weinzierl, dass CSU-Politiker nicht einmal an einem Ort wie Dachau Sensibilität zeigen. Im Gegenteil: Sie schweigen über die geschichtliche Verantwortung, die Deutschland hat, und schaffen ein Zwei-Klassen-System der Flüchtlinge. Der CSU-Slogan "Wer lügt, der fliegt" stärkt die Vorurteile gegenüber Roma - und schon unterscheiden auch gutwillige Helfer zwischen Kriegs- und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen. Auf seinen Bürger-Informationsveranstaltungen fordert Landrat Stefan Löwl (CSU) die Helfer schon mal dazu auf, genau hinzusehen, für wen sie sich langfristig engagierten. In Dachau sagte der CSU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath auf einer Veranstaltung seiner Partei: "Es geht vor allem um Menschen, die vom Westbalkan zu uns kommen, aber nicht bedroht sind, und keine Chance auf Asyl haben." "Schnelle Verfahren" forderte Bundesminister Gerd Müller (CSU) für diese Menschen aus Albanien, Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien und μMontenegro, da sie "keine politische Verfolgung" erleiden müssten. Nur stimmt das nicht: Roma zählen heute zu der am meisten verfolgten Minderheit in Europa und haben der Genfer Flüchtlingskonvention zufolge durchaus ein Recht auf Asyl.

Minister Müller erklärte den Bürgern in Dachau, dass die Roma eine Minderheit seien, die unter "brutalen Umständen" leben. Fast zynisch klingt sein Satz: "Diese Gruppe darf nicht ausgegrenzt werden." Unter welchen Umständen die Roma nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in EU-Ländern wie der Slowakei oder Ungarn leben müssen, ahnt der CSU-Politiker offenbar nicht einmal. Vielleicht will er es gar nicht so genau wissen - das wäre der politischen Linie doch wenig zweckmäßig. Zehn Millionen Roma leben in Osteuropa. Sie sind von Schul- und Berufsausbildung ausgeschlossen, die allermeisten haben keine Chance auf Arbeit, sie leben in Slums, oft ohne Elektrizität, Trinkwasser und Gesundheitsversorgung. Kinder suchen sich ihr Essen auf Müllhalden und gehen betteln. Roma werden zu Opfern rassistischer Übergriffe mit Todesopfern. Der Genfer Vereinbarung zufolge sind das durchaus Gründe für Asyl. Weinzierl fordert deshalb, dass im Asylverfahren jeder Einzelfall - auch der Nicht-Roma aus dem Westbalkan - geprüft wird.

Die CSU will sie weghaben: "Wir müssen die Grundrechte für die Roma in ihren Ländern einfordern", sagte Müller. Das scheitert seit 25 Jahren, seit der politischen Wende. Vielleicht sollte Deutschland anfangen: Die überlebenden Roma der nationalsozialistischen Verfolgung haben kaum Entschädigung bekommen. Und wenn ihnen die Flucht nach Deutschland gelungen ist, droht ihnen Abschiebung - das ist die einzige Antwort, zu der eine geschichtsblinde Politik offenbar fähig ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: