Dachau:Überfordert im Alltag

Immer mehr Eltern beantragen für ihre Kinder einen Schulbegleiter, weil ihr Nachwuchs unter seelischen Störungen leidet. Die Kosten für die Eingliederungshilfe sind explodiert

Von Robert Stocker, Dachau

Die Ausgaben für die Jugendhilfe nehmen seit Jahren zu. Im Vergleich zum vergangenen Jahr werden sie heuer um 4,5 Millionen Euro steigen. Die Entwicklung macht auch dem Landkreis Sorgen, der als Träger der Jugendhilfe die Maßnahmen finanzieren muss. Ein wahre Kostenexplosion gibt es im Bereich der Schulbegleitung: Die Ausgaben stiegen in einem Zeitraum von wenigen Jahren von 8000 auf 1,2 Millionen Euro an. Während im Jahr 2010 nur zwei Begleiter Kinder im Schulalltag unterstützten, waren im vergangenen Jahr schon 59 Kräfte im Einsatz. Und die Zahl der hilfebedürftigen Kinder wird wohl weiter steigen, wie in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses deutlich wurde.

Die Schulbegleitung ist eine ambulante Maßnahme der Eingliederungshilfe. Anspruch haben darauf Kinder und Jugendliche, die an multiplen seelischen Störungen leiden. Dazu gehören auch autistische Kinder. Voraussetzung für die Hilfe ist die entsprechende Diagnose eines Facharztes. Das Jugendamt prüft dann in jedem Einzelfall, ob das betroffene Kind einen Anspruch auf die gesetzlich garantierten Leistungen der Eingliederungshilfe hat. Hintergrund ist die UN-Behindertenkonvention und der Gedanke der Inklusion. Die Eingliederungshilfe soll dazu beitragen, dass sich auch Kinder mit seelischen Störungen in den Schulalltag integrieren können. Auch sie sollen eine angemessene Schulbildung erhalten.

Inklusionsarbeit an der integrierten Gesamtschule Grete Unrein in Jena Thueringen am 08 Septembe

Das Ziel ist die Selbstständigkeit des Kindes: Ein Schulbegleiter hilft seinem Schützling bei den Hausaufgaben.

(Foto: Imago/Sebastian Willnow)

Schulbegleiter haben sehr unterschiedliche Aufgaben. Sie sitzen mit ihren Schützlingen nicht nur im Unterricht, sondern begleiten die Kinder auch zur Schule. Die externen Pädagogen fördern soziale Kontakte und helfen, Konflikte mit anderen Kindern zu lösen. Sie helfen auch bei den Hausaufgaben, die ihre Schützlinge einmal selbstständig meistern sollen. Überhaupt heißt das große Ziel Selbstständigkeit. Die Kinder sollen lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Schulen und Jugendamt arbeiten dabei eng zusammen. Hilfe leiste die Behörde nur, wenn die Möglichkeiten der schulischen Hilfe ausgeschöpft seien, erklärte Marion Naves vom Jugendamt.

Es geht nicht nur um Kinder mit Lernproblemen, sondern auch um Hochbegabte

Im vergangenen Jahr gingen 24 neue Anträge für eine Schulbegleitung ein. Hilfe erhielten 30 Kinder an Grundschulen, 13 an Förderschulen, acht an Mittelschulen und fünf an Realschulen. Landrat Stefan Löwl stellt sich die Frage, woher der Anstieg der Fallzahlen kommt, zumal da die Kinder an Förderschulen ohnehin eine besondere Betreuung erhalten. Viele Kinder würden seit den unteren Klassen gefördert, neue seien inzwischen hinzugekommen, sagte Jugendamtsleiterin Steffi Weinhold. SPD-Kreisrätin Sylvia Neumeier wies darauf hin, dass die Förderschulen mittlerweile viele Autisten aufgenommen haben, die zusätzliche Hilfen brauchen. "Und die Eltern haben ein anderes Bewusstsein für die Krankheit ihrer Kinder", betonte die Geschäftsführerin der Dachauer Drogenberatungsstelle. Sie wüssten auch von dem gesetzlichen Anspruch, dass die Kinder trotz ihrer Störung eine Regelschule besuchen können. Die Zahl der Schulbegleiter steigt aber auch, weil die Schulen diese Hilfe stärker beanspruchen. Die Lehrer würden mit diesem Thema oft allein gelassen, stellte Marion Naves fest. Dabei gehe es nicht nur um Kinder mit Lernproblemen, sondern auch um Hochbegabte, die sich im Schulalltag nicht zurecht finden. Manchmal sitzen in einer Klasse sogar mehrere Schulbegleiter.

Spendenübergabe

Jugendamtsleiterin Steffi Weinhold rechnet damit, dass die Zahl der Schulbegleiter im Landkreis weiter steigen wird. Die Behörde prüft sehr genau, ob diese Leistung berechtigt ist.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Jugendsozialarbeit hat mit Eingliederungshilfe und Inklusion nichts zu tun"

Das Jugendamt prüft im Einzelfall allerdings sehr genau, ob diese Maßnahme der Eingliederungshilfe nötig ist. "Wir fordern auch Berichte von den Schulen zu den Problemen an", sagte Marion Naves. Ihrer Erfahrung nach sind die meisten Lehrer sehr engagiert, aber in vielen Fällen einfach überfordert. Vielleicht gäbe es die Probleme in diesem Umfang nicht, wenn die Klassen kleiner wären, gab Sylvia Neumeier zu bedenken. Es könnte hilfreich sein, die Zahl der Schüler af 30 pro Klasse zu begrenzen. Franz Eichinger (Freie Wähler) wollte wissen, warum die Kosten für die Schulbegleitung von 2015 auf 2016 um 500 000 Euro gestiegen sind, obwohl die Fallzahlen kaum gestiegen seien. Es gebe einen Spielraum bei der Beurteilung der Fälle, sagte Kreisrat Ludwig Gasteiger (Bündnis 90 / Die Grünen) vom Kreisjugendring. Die Kosten hingen von der Intensität der Betreuung ab. Laut Jugendamt variieren sie von 3800 bis zu 4800 Euro. Diese Summe wird dann veranschlagt, wenn der Schulbegleiter nicht nur im Unterricht anwesend ist, sondern seinen Schützling auch zur Schule begleitet. Sebastian Leiß (Freie Wähler Dachau) sieht einen Zusammenhang zwischen der Jugendsozialarbeit und der Schulbegleitung. Denn wenn jemand "mit der Lupe" nach Problemen suche, gebe es zwangsläufig Folgekosten. Landrat Stefan Löwl konnte die Argumentation nicht nachvollziehen. "Jugendsozialarbeit hat mit Eingliederungshilfe und Inklusion nichts zu tun."

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