Dachau:Tafeln mit Tupperware

Zum Barockpicknick im Hofgarten des Dachauer Schlosses kommen 1600 Besucher. Sie genießen an dem lauen Sommerabend die heitere Stimmung. Und die Brotzeit schmeckt auch vom Plastikgeschirr.

Von Dorothea Friedrich

Zwei edle Damen und ein ebenso eleganter, distinguierter Herr wandeln durch den Dachauer Schlosspark. Sie scheinen der höfischen Kleidung nach ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein - und ziehen deshalb am Freitagabend die Blicke der Barockpicknicker geradezu magisch an. Es sind zwei kurfürstliche Besucher aus Schleißheim und eine Urdachauerin, die für viel Aufmerksamkeit sorgen. Denn hinter den hohen Herrschaften verbergen sich Alexander Bauer, Leiter der Gärtnerei im Schleißheimer Schloss nebst Begleitung und Gästeführerin Anni Härtl. Das stilsicher gewandete Trio ist allerdings nicht in erster Linie des heiter gestimmten Volkes wegen gekommen. Sie hatten ihren großen Auftritt bei einem parallel stattfindenden Ereignis: Die Stadtoberen und eine Delegation aus Dachaus Partnerstadt Fondi feiern das fünfzehnjährige Bestehen dieser Verbindung auf den Logenplätzen des Schlossrestaurants, gut abgeschirmt durch Zelte.

Dachau: Blütenpracht in der Abendsonne: Eine gelöste, heitere Stimmung wehte beim Barockpicknick im Hofgarten des Dachauer Schlosses über die Rosen und den anderen duftenden Blumen.

Blütenpracht in der Abendsonne: Eine gelöste, heitere Stimmung wehte beim Barockpicknick im Hofgarten des Dachauer Schlosses über die Rosen und den anderen duftenden Blumen.

(Foto: Jørgensen)

Das stört die rund 1600 Picknicker aber nicht wirklich. Leider bleibt aber auch weitgehend verborgen, dass im Laubengang des Parks eine wirklich sehenswerte Fotoschau mit wunderschönen Bildern aus Fondi auf einer überdimensionalen Leinwand zu sehen ist. Schade, denn wer außer Scharen von begeisterten Kindern den Weg dorthin findet, wird mit geradezu performanceartigen, spontanen Inszenierungen belohnt. Die Kinder spielen unermüdlich Schattentheater, die "kurfürstliche" Delegation posiert gekonnt vor den Kulissen des Castello Baronale und des Palazzo del Principe der italienischen Partnerstadt. Anni Härtl schwärmt von den Schönheiten Fondis, die gebannt lauschenden Zuhörer finden allerdings, dass die Eleganz der kurfürstlichen Schlösser in Dachau und Schleißheim die wehrhaften Mauern ihrer Gegenstücke in Fondi um Längen übertrifft und wenden sich wieder ihrer eigentlichen Mission an diesem lauen Sommerabend zu. Die besteht in Essen, Trinken, Plaudern, Flanieren und der Musik von Triple Talk & The Sunrise String Quartett. Diese bringen eine massentaugliche Mischung aus Klassik, Rock, Pop und Folk in recht unterschiedlicher Qualität zu Gehör und bedienen damit so ungefähr jeden musikalischen Geschmack.

Wem - wir schreiben schließlich das Jahr 2013 - das alles nicht reicht, hat sein Smartphone griffbereit auf der heuer vorzugsweise geblümten Decke liegen oder gleich die Stöpsel im Ohr, um seine eigene Musik zu hören. Andere wiederum vertreiben sich die Zeit mit Kartenspielen oder klassischem Scrabble. Das passt gut in diese gelöste, heitere Stimmung, die über die herrlich blühenden und duftenden Rosen weht. Gelbe Stauden glänzen im Abendlicht, die akkurat wie Zinnsoldaten aufgereihten Löwenmäulchen scheinen Gesprächsfetzen und Lachen förmlich aufzusaugen. Schlossgärtner Burghard Fellner betrachtet das Geschehen ganz entspannt. Schließlich sind die wilden Barockpicknick-Zeiten vorbei, in denen seine geliebten Pflanzen unter den Besuchermassen gelitten haben. Doch warum blühen seine Blumen so überreich, während im eigenen Gärtchen alles vor sich hinmickert? Fellner ist in seinem Element: Es sei das besondere Mikroklima der Anlage, die geschützte Lage, die diese Pracht hervorbringe, erzählt er. Bescheiden, wie er ist, sagt er kein Wort über die unzähligen Stunden Arbeit, die sich hinter dem Blütenmeer verbergen.

Apropos Pracht und Arbeit: Eine neue Bescheidenheit ist der Barockpicknick-Trend 2013 - oder mit anderen Worten: Zurück zu den Anfängen. Kronleuchter und Damasttischdecken, edles Silber und funkelnde Gläser sind eher die Ausnahme als die Regel. Tupperware und Plastikgeschirr bestimmen das Bild. Oder man kommt gleich mit den Pizzaschachteln auf dem Arm an, was allerdings doch ein wenig stillos wirkt. Auf jeden Fall wird eher gegessen als getafelt. Und was wird aufgetischt? Brot in allen Variationen, Käse in großer Vielfalt, Kabanossi und Co., Paprika und Tomaten, hier ein Dip, da eine zünftige Brotzeit, viel Obst und verführerische Leckereien. Schließlich gilt es, die Picknick-Misere der vergangenen Jahre wettzumachen. Die lag bekanntlich an den Unwägbarkeiten des Wetters. Man erinnert sich mit Grausen an Zeiten, in denen man unter den Apfelbäumen eher schwamm als saß, weil es vom Himmel schüttete. Und erhebt sein Glas auf die diesjährigen perfekten meteorologischen Bedingungen.

Eine der schönsten Eigenheiten dieses Festes ist die Gastfreundschaft. Eine kleine Fachsimpelei über englische Rosen in einer schlichten Vase mit Frauenmantel dekoriert führt unweigerlich zur Einladung auf die Decke der Rosenliebhaberin. Wer wissen will, was das auf einem handgemalten Schild stehende "Müsi" bedeutet, wird mit großer Herzlichkeit in den Kreis der dort versammelten rund 30 Münchner Singles aufgenommen und umgehend mit Speis und Trank versorgt. Und freut sich, dass das von Kulturamtsleiter Tobias Schneider ausgegebene Motto, das Barockpicknick solle ein Fest für die Dachauer sein, mehr als großzügig ausgelegt wird.

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