Handy-Verträge:Telefonfirma erlässt Flüchtling 1400 Euro Handy-Schulden

Lesezeit: 3 min

Immer wieder schließen Asylsuchende Handyverträge ab, ohne die Folgen zu überblicken. Nur selten reagieren die Anbieter kulant.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Souleyman Sow kann aufatmen. Die Gefahr, in Deutschland kein Asyl zu bekommen, ist zwar immer noch akut. Doch zumindest der stattliche Schuldenberg des 19-jährigen Senegalesen, der sich auf 1400 Euro belief, ist über Nacht verschwunden. Denn der Mobilfunkanbieter, bei dem er sich hoch verschuldet hat, sieht überraschenderweise von jeglichen Forderungen ab, wie das Unternehmen der SZ mitteilte. Natürlich ist dies nur ein Einzelfall. Doch das Beispiel des Souleyman Sow könnte Signalwirkung haben für andere Asylbewerber, die ebenfalls in die Handy-Falle geraten sind.

Sow hatte im Januar 2014 beim Mobilfunkanbieter O2 einen Handyvertrag abgeschlossen, den er wegen mangelnder Sprachkenntnisse allerdings nicht verstand. Sow dachte, er müsse lediglich die monatliche Rate von 25 Euro für das Handy und seine Telefonkosten bezahlen. Was er nicht realisierte: Der Vertrag erstreckte sich über eine Laufzeit von 24 Monaten und verpflichtete zur Zahlung einer hohen Grundgebühr.

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Folglich konnte der Flüchtling die Kosten nicht mehr stemmen - sie türmten sich zu einem Schuldenberg von 1400 Euro auf. Ein Inkasso-Unternehmen versuchte zuletzt mit Nachdruck, das Geld einzutreiben. Sow wusste sich nur mehr zu helfen, indem er sein Konto in ein Pfändungsschutzkonto umwandeln ließ.

Asylbewerber schließen Verträge ab, die sie nicht verstehen

Sein Fall steht exemplarisch für viele. Das Problem, dass Asylbewerber Telefonverträge abschließen, die sie schlicht nicht verstehen, ist bei den Helferkreisen und der Caritas Schuldnerberatung hinlänglich bekannt. Die Mobilfunkanbieter haben in den seltensten Fällen ein Nachsehen mit den Flüchtlingen. "Bislang sind die Versuche, durch juristischen Beistand oder den Gang an die Öffentlichkeit einen Schuldenerlass zu erwirken, fast immer gescheitert", sagt Lena Wirthmüller von der Schuldnerberatung der Caritas Dachau.

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Umso erstaunlicher ist nun die Wende im Fall Souleyman Sow. Peter Barth vom Asyl-Helferkreis Hebertshausen hatte mehr als ein Jahr lang versucht, bei Sows Telefonanbieter einen Schuldenschnitt zu erwirken - ohne Erfolg. Schließlich wandte sich Barth verzweifelt an die Dachauer SZ.

Nach langem Hin und Her erreichte die Redaktion dann folgende Nachricht der Telefonica Deutschland GmbH, zu der O2 zählt: "Mit Rücksicht auf die offensichtlich prekäre finanzielle Situation und die besonderen Umstände des Kunden werden wir aus Kulanz sämtliche offenen Forderungen ihm gegenüber zurücknehmen."

Um zu verstehen, wie es zu dem Sinneswandel kam, der das Unternehmen 1400 Euro kostet, muss man die genauen Umstände des Vertragsabschlusses beleuchten. Souleyman Sow nämlich behauptet bis heute, beim Abschluss des Vertrages in einem Münchner Mobilfunkgeschäft lediglich ein Dokument vorgelegt zu haben, das sich "Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens" nennt.

Es handelt sich dabei um ein selbst ausgefülltes Dokument, das weder einen Aufenthaltstitel noch einen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des Aufenthaltsgesetzes begründet. Gemäß den Legitimationsrichtlinien der Telefonica ist für den Abschluss eines sogenannten Postpaid-Vertrages, wie ihn Sow unterzeichnete, jedoch ein gültiger Ausweis nebst Aufenthaltstitel zwingend erforderlich. Hätte der Vertrag also gar nicht zustande kommen dürfen?

Ein Sprecher des Unternehmens erklärte zunächst, Souleyman Sow habe dem Verkäufer bei Vertragsabschluss einen gültigen Reisepass vorgelegt. Mit Hilfe des Dachauer Landratsamts konnte nun jedoch festgestellt werden, dass die Ausweisnummer, die auf dem Handyvertrag festgehalten wurde, mit der einer alten "Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens" des Herrn Sow übereinstimmt. Mit diesem Umstand konfrontiert, teilte das Unternehmen nach einer Woche schließlich mit, aus Kulanz die Schulden zu erlassen.

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Vordergründig handelt es sich bei der Verzichtserklärung des Unternehmens um eine für den Betroffenen erfreuliche Einzelfallentscheidung. Doch sie dürfte auch anderen Asylbewerbern in der Schuldenfalle Hoffnung geben. Peter Barth vom Asyl-Helferkreis Hebertshausen hat angekündigt, den Fall über einen E-Mail-Verteiler bei Helferkreisen in ganz Bayern publik zu machen.

Abgesehen davon werden die Caritas und die Ehrenamtlichen aus den Helferkreisen auch weiterhin Präventionsarbeit leisten. Denn angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen wird das Problem wohl eher größer als kleiner, vermutet Peter Barth. Sein Schützling Souleyman Sow hat zumindest eine Last weniger zu tragen.

Noch diese Woche steht für den jungen Senegalesen eine Anhörung an. Die Zeichen für das Bleiberecht stehen nicht gut: Er kommt aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat.

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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