Dachau:Spiel mit Klischees

Das Kindertheaterprojekt "ImpRoma" konfrontiert die Zuschauer mit ihren Vorurteilen

Von Leonie Sanke, Dachau

"Ich heiße Jonny, 13 Jahre alt, und ich gebe niemals auf!" Mit diesen Worten tritt Jonny vor die kahlen Betonwände der Versöhnungskirche in Dachau, mit entschlossenen Schritten und starker Stimme. Seine jungen Schauspielkollegen folgen ihm nach und nach, mal laut und selbstbewusst, mal leise und schüchterner, bis sie alle in einer Reihe vor ihrem Publikum stehen: Neun Kinder und Jugendliche von zehn bis 15 Jahren. Sie sind Sinti und Roma und sie wollen sich weder dafür schämen noch verstecken müssen.

Dass sie am vergangenen Donnerstag in der evangelischen Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte stehen und ihre Geschichte erzählen konnten, haben sie ImpRoma zu verdanken. Das Improvisationstheaterprojekt von und mit jungen Sinti und Roma ist eine Initiative von kairosis, einer Münchner Organisation für soziokulturelle Vielfalt. Die künstlerische Leitung übernimmt Regisseur und Schauspieler Andreas Wolf vom Münchner Fastfood Theater. Zwei weitere professionelle Schauspieler und ein Musiker komplettieren das ImpRoma-Ensemble, das aus bis zu 15 Kindern besteht. Wolf brachte den Kindern verschiedene Improvisationstechniken bei. Die einzelnen Szenen, die sich mit jeder Vorstellung verändern, entwickelten sie selbst.

"Nennen Sie einen Ort, an dem man Sinti und Roma auf keinen Fall vermuten würde", bittet Andreas Wolf das Publikum. Man solle sich ruhig trauen, in Klischees zu denken. "Universität!", ruft da eine Zuschauerin. Und schon beginnt das Spiel mit den Vorurteilen - im improvisierten Hörsaal. Laut einer Studie aus dem Jahr 2014 sind Sinti und Roma die Bevölkerungsgruppe Deutschlands, der am wenigsten Sympathie entgegengebracht wird. Selbst in Deutschland aufgewachsene und augenscheinlich integrierte Sinti- und Roma-Kinder haben es hier nicht leicht, sie werden oft ausgegrenzt und beleidigt. Davon erzählen viele der Geschichten an diesem Abend.

Improvisationstheater

Die Kinder und Jugendlichen von ImpRoma beweisen mit ihrem freien Schauspiel viel Mut. Requisiten brauchen sie nur wenige.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Die Idee zu ImpRoma wurde im vergangenen Jahr im Rahmen eines Gedenkgottesdienstes in der Versöhnungskirche geboren. Schon damals sei klar gewesen, dass eine der Aufführungen in Dachau stattfinden soll, erzählt Sabine Böhlau. Die evangelische Theologin hat das Projekt initiiert und begleitet. Inzwischen ist die ImpRoma-Truppe fünfmal in München und Berlin aufgetreten, Premiere feierte sie im Werkraum der Münchner Kammerspiele. "Wir haben zunächst überlegt, die Show für den Spielort in der Gedenkstätte zu ändern. Doch wir haben uns bewusst dagegen entschieden", sagt Böhlau.

Rund 2000 Sinti und Roma waren im KZ Dachau inhaftiert. Für die Besonderheit des Auftritts in Dachau wurden die Kinder und Jugendlichen durch einen Besuch der Gedenkstätte sensibilisiert. Im Publikumsgespräch nach der Aufführung erzählen Pfarrer Björn Mensing und eine Teilnehmerin, was die Gruppe dabei besonders bewegte: Auf dem Teil des Internationalen Mahnmals, der die Winkel zeigt, die jeder Häftling tragen musste, um sich als Mitglied einer bestimmten Gefangenengruppe auszuweisen, fehlt das schwarze Dreieck, das in Dachau für die inhaftierten Sinti und Roma bestimmt war.

Improvisationstheater

Während der improvisierten Szenen geben die Jugendlichen auch spontane Beatbox- und Breakdance-Einlagen zum Besten.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Der Grund dafür ist, dass Sinti und Roma von den Nationalsozialisten im KZ Dachau als "Asoziale" eingruppiert wurden. Sie waren in den Sechzigerjahren, als das Mahnmal entstand, noch keine anerkannte Opfergruppe - genauso wenig wie Homosexuelle und Kriminelle. Im KZ Auschwitz wurden Sinti und Roma mit einem braunen Winkel gekennzeichnet. Er ist stellvertretend auf dem Dachauer Mahnmal verewigt. An der Tatsache, dass der Völkermord der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma jahrzehntelang von der Bundesregierung geleugnet wurde, ändert das nichts. Um gegen die fehlende Anerkennung und anhaltende Diskriminierung zu protestieren, traten 1980 zwölf Sinti und Roma in einen einwöchigen Hungerstreik auf dem Gelände der Gedenkstätte.

Gerade vor diesem geschichtlichen Hintergrund ist ImpRoma eine erfrischend lockere Form der Aufarbeitung und Begegnung. Die Kinder und Jugendlichen spielen mit Klischees und zerstören sie, indem sie zum Beispiel einen bayerischen Grantler ("Mir ham scho immer Zigeuner gsagt!") in einer Szene zu sich nach Hause einladen - zum Schweinsbraten-Essen. Es gibt auch bewegende, fast beklemmende Momente - eine fast wortlose Szene etwa, in der die Gruppe einen Jugendlichen symbolisch verstößt. "Zu dieser Mobbing-Szene hat uns unser Besuch in der Gedenkstätte inspiriert", erzählt der 13-jährige Robert. Auf die Frage aus dem Publikum, was die Kinder aus dem Projekt mitgenommen haben, antwortet der Kleinste von ihnen strahlend: "Ich finde, von Theater wird alles besser."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: