CSU und Flüchtlinge:Neuer alter Blick auf die Welt

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Bundesminister Gerd Müller klärt auf einer CSU-Veranstaltung in Dachau die Besucher über die ungerechte Verteilung des Reichtums zwischen Nord und Süd auf - und erläutert Maßnahmen, wie die Festung Europa vor den Flüchtlingen zu halten ist.

Von Helmut Zeller, Dachau

Dachau entdeckt die Welt, zumindest so, wie sie von der CSU unter dem Eindruck der Flüchtlingskatastrophe neuerdings gesehen wird. Es war auf einer Veranstaltung mit Bundesminister Gerd Müller für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (CSU). Man kann den Vortrag des CSU-Politikers aber auch als Kapitulationserklärung deutscher und europäischer Politik interpretieren - mit einer Einschränkung. Die bayerische Staatsregierung hat immer schon und wird auch weiter alles richtig machen. Eh klar. Und man kann den Abend im ASV-Theatersaal auch als Aufwiegelung des Konsumenten verstehen - steht auf, Verbraucher dieser Welt, und studiert die Warenetiketten!

Viel Richtiges aber für einen CSU-Mann doch eher ungewöhnliche Einsichten trägt Müller am letzten Sommertag ins idyllische Dachau hinein. Vor 30, 50 Jahren habe sich in Dachau oder Freising niemand dafür interessiert, was in der Welt so vor sich gehe. Vor allem, aber das sagt er nicht, hat sich die Politik dumm gestellt, wenn es um die Ursachen von Hungersnöten, Ausbeutung, Korruption, Naturzerstörung und Kriegen in der sogenannten Dritten Welt ging beziehungsweise um die Verursacher, multinationale Konzerne und einheimische diktatorische Regime.

Grenzen des Wachstums

Jetzt ist damit Schluss: Müller setzt auf ein Weltklima-Abkommen, auf eine Weltmeereskonferenz, denn die Lebensgrundlagen der Menschen dürften nicht weiter zerstört werden. Der Klimawandel habe in Afrika schon 100 bis 150 Millionen Menschen vertrieben. Den 1972 vom Club of Rome veröffentlichte Bericht "Die Grenzen des Wachstums" erwähnt er nicht. Denn dann würde ja offensichtlich werden, dass die Politik seitdem absolut nichts getan hat, um dem Klimawandel entgegenzuwirken - und auch in seiner Partei wurde darüber nur gelacht.

Etwa einhundert Besucher kamen zu Bundesminister Müller, der über das Flüchtlingsproblem im ASV-Theatersaal sprach. (Foto: Toni Heigl)

Hätte auch niemand gedacht, dass einmal ausgerechnet in einem CSU-geführten Bundesministerium der Geist von Frantz Fanon auflebt. Während Fanon Vordenker der Entkolonialisierung der "Verdammten dieser Erde" war, wächst Müller an diesem Abend in die Rolle des Nachdenkers postkolonialer Verwerfungen hinein. Er fordert gerechte und faire Welthandelsbeziehungen - was IWF und Weltbank dazu sagen, erfährt man leider nicht. Aber die deutsche Textilindustrie mache schon mit: Keiner kaufe doch eine Jeans weniger, sagt Müller, wenn die Menschen, die sie nähten, statt einen nun zwei Euro als Lohn bekommen. Da bleibt schließlich noch eine erklecklich hohe Gewinnspanne. Das sagt Müller nicht.

Er ruft zum Kampf gegen korrupte Regierungen auf, will auch die Öl-Multis zwingen, aufzudecken, was sie "vor Ort" so alles treiben. Und da kommt der Konsument ins Spiel: Der solle ruhig mal an der Tankstelle als Verbraucher Fragen stellen. Etwa die, wie viele für seinen Sprit mit ihrem Leben bezahlen mussten? So deutlich will es der CSU-Politiker seinen Wählern natürlich nicht reindrücken, aber er macht den ungefähr einhundert Besuchern schon deutlich: "Wir bräuchten die Ressourcen von drei Erden, wenn alle so leben wollten wie Sie und ich." Das ist jedoch alles nichts Neues. Das riefen auch die Globalisierungsgegner beim G-8-Gipfel in Schloss Elmau, bevor sie von der bayerischen Polizei auseinandergetrieben wurden.

Großer Fehler der Amerikaner

Doch was treibt Minister Müller? Der Irak-Krieg sei ein großer Fehler der Amerikaner gewesen - "dafür zahlen jetzt alle". Der frühere CSU-Chef Edmund Stoiber meinte laut FAZ im Jahr 2003 noch: Wie ein Krieg verlaufe, wisse man nie. Deshalb könne man erst am Ende entscheiden, ob er richtig gewesen sei.

Die Antwort geben ihm die Terrororganisation "Islamischer Staat" und die Kriegsflüchtlinge aus dem zerrütteten Irak. 20 bis 25 Prozent der Asylbewerber kommen aus Syrien, sagt der Minister. 15 Prozent aus afrikanischen Staaten und 45 Prozent stammen vom Westbalkan. Für dieses Jahr rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit insgesamt 800 000 Menschen, ein Prozent der Bevölkerung Deutschlands. Im Landkreis Dachau sollen es 1900 Flüchtlinge bis Jahresende werden.

Darunter waren auch Landrat Stefan Löwl und der Landtagsabgeordnete Anton Kreitmair (beide CSU). (Foto: Toni Heigl)

"Einmal 800 000 schaffen wir vielleicht noch", sagt Müller. Aber das dürfe nicht über Jahre hinweg so gehen. Man müsse auch an den Familiennachzug der 200 000 Syrer denken, die jetzt Asyl bekommen. "Man hat das Thema sicherlich im Entstehen unterschätzt." Dieses Ausmaß habe niemand für möglich gehalten. "Die Gefahr ist groß, dass am rechten Rand eine schwierige Situation entsteht." Mehr sagt er dazu nicht.

Die Lösung: Sicherheitszonen für die irakischen und syrischen Flüchtlinge - aber, bitte schön, nicht bei uns. Deshalb die revolutionär anmutenden Einblicke in den Weltzusammenhang - "wir leben unseren Wohlstand auf den Schultern der Armen". Deshalb die Investitionen und Bildungsoffensiven seines bisher eher wenig beachteten Ministeriums in den Armutsländern, damit die Menschen dort bleiben. Das ist auch gut so, denn keiner flieht gern, wie der CSU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath sagt. Eine Mauer um den Wohlstand der EU-Bürger - sechs Prozent der Weltbevölkerung - zu errichten, gelinge nicht, sagt Müller.

Fernsehwerbung lockt nach Deutschland

Sogar im Sudan, der Minister hat es selbst gesehen, gucken die Menschen deutsche TV-Programme und Werbung. Der Verlockung eines besseren Lebens können sie nicht widerstehen. "Vor 50 Jahren, vor dem Satellitenfunk, wussten sie nicht, wie es bei uns ist." Und die Leute vom Westbalkan? "Das war in Bayern schon vor sechs Monaten klar", sagt Müller. Von den anderen Flüchtlingen trennen, in eigene Auffanglager und nach drei Monaten weg. Sie haben kein Anrecht auf Asyl. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel, "kommen auch noch in die Spur", meint Müller.

Am Ende dann war das Weltbild der CSU gar nicht so neu: Die Festung Europa muss gehalten werden.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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