Dachau:Musik mit Körpersprache

Schloßkonzert

Das Georgische Kammerorchester unter Leitung von Ruben Gazarian musizierte im Dachauer Schloss mit sattem Klang.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Georgische Kammerorchester Ingolstadt begeistert zum Abschluss der Schlosskonzerte mit außergewöhnlichen Streichersinfonien. Star des Abends ist die Klarinettistin Sharon Kam mit ihrem virtuosen Spiel

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Früh im Jahr, schon Ende Oktober, gingen heuer die Dachauer Schlosskonzerte zu Ende, und erst am 28. Januar beginnt die Saison 2017. Das Konzert mit dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt und der berühmten Klarinettistin Sharon Kam war ein würdiger Abschluss, sogar einer der Höhepunkte der Saison 2016. Es war ein Konzert, das mit solidem und virtuosem Musizieren und exquisiter Programmgestaltung erfreute. Ein Abend eines Streichorchesters ohne Barockmusik und ohne eine der drei sogenannten Salzburger Sinfonien von Mozart ist ja eine große Seltenheit. Das Georgische Kammerorchester begann mit einer ganz außerordentlichen Rarität unter den Werken für Streichorchester, nämlich einer Sinfonie in As-Dur des immer noch nur wenigen Musikern geläufigen, dem breiten Publikum aber überhaupt nicht bekannten unglücklichen Komponisten Hans Rott, der von 1858 bis 1884 vor allem in Wien lebte. Sein Unglück war, dass er in Wien zwischen die Fronten der Rivalen Brahms und Bruckner geriet. Johannes Brahms verhinderte eine Aufführung der 1. Symphonie von Hans Rot, und Bruckner konnte seinen hochbegabten Lieblingsschüler nirgends unterbringen. Hans Rott verfiel 1880 dem Wahnsinn, wobei er die meisten seiner Kompositionsskizzen und Werke vernichtete. Nicht einmal 26 Jahre alt verstarb er in der damaligen Niederösterreichischen Landes-Irren-Anstalt. Erst 1989 wurde seine 1880 vollendete 1. Symphonie, in der man bereits Klänge und Themen des späteren Werks von Gustav Mahler erblickte, uraufgeführt. Mahler bezeichnete Hans Rott sogar als "Begründer der neuen Symphonie wie ich sie sehe". Also war es eine enorme Tat des Georgischen Kammerorchesters, Hans Rotts unbekannte Sinfonie für Streichorchester aufzuführen und sogar zu den Dachauer Schlosskonzerten zu bringen.

Man lernte eine schon beim ersten Hören überzeugende Komposition kennen, die sehr schöne Musik enthielt. Bei dieser formal absolut einleuchtend komponierten Musik war nichts zu entdecken, was in auffälliger Weise an Bruckner oder Wagner erinnert hätte. Eher glaubte man, eine wunderbare Bereicherung des sehr schmalen nachbarocken Repertoires für Streichorchester kennengelernt zu haben. Das Georgische Kammerorchester musizierte mit sattem Klang, was diesem neben den Symphonien von Brahms und Bruckner geschriebenem Werk wohl entspricht.

Der zweite Streichorchester-Beitrag dieses Konzertabends war die Streichersinfonie Nr. 10 h-Moll, die der etwa zwölfjährige Felix Mendelssohn als exzellente Studienarbeit während seiner Ausbildung beim Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter zu Papier brachte, von der aber nur ein Satz überliefert ist. Das Georgische Kammerorchester unter der Leitung seines neuen Chefdirigenten Ruben Gazarian war bemüht, durch eine sehr intensive Aufführung das vorhandene musikalische Material noch aufzuwerten.

Der Star des Abends war die Klarinettistin Sharon Kam bei ihrem zweiten Auftritt bei den Dachauer Schlosskonzerten. Diesmal hatte sie mit "Tema con variazioni" von Jean Francaix eine überaus spritzige Komposition mitgebracht, die sie hinreißend auf ihre besondere Art spielte. Das "Spielen" ist bei Sharon Kam nämlich nicht nur Musizieren auf dem Instrument, sie spielt die Musik mit dem ganzen Körper, wobei sie sich musikalisch wie körperlich ungemein beweglich zeigt. Damit interpretiert sie Musik auf besonders sinnfällige Weise: Was man hört, sieht man auch und versteht es in hervorragender Weise. "Tema con variazioni" von Jean Francaix ist ein für solches Musizieren besonders gut geeignetes Werk. Lustige und launige Passagen wechseln sich mit lyrischen ab, und alles entspricht dem Charakter der Klarinette ideal, das Stück ist der Klarinette auf den Leib geschrieben. Sharon Kam machten die außerordentlich hohen Ansprüche an die Virtuosität, die in diesem als Prüfungsstück für die Klarinettenklasse am Conservatoire de Paris geschriebenen Stück stecken, sichtlich Spaß.

Das Klarinettenquintett von Carl Maria von Weber ist ein zwiespältiges Stück, die virtuos geführte Klarinette degradiert das Streichquartett zu Begleitinstrumenten. Es ist aber auch kein Konzertstück, wie es jetzt in einer Fassung für Klarinette und Streichorchester erklang. Sharon Kam rückte durch ihr virtuoses Spiel, verbunden mit sehr lebhafter Körpersprache, den Klarinettenpart noch mehr in den Vordergrund als es bereits Weber im Quintett tat, und im Streichorchester erklang Webers Streichquartett-Satz zu pompös und dick. Natürlich wurden Sharon Kam und das Georgische Kammerorchester unter Ruben Gazarian auch bei dieser Darbietung bejubelt.

Sharon Kam bedankte sich mit einem Klarinettensolo als Zugabe, dem bewegenden Lied "Summertime" von George Gershwin.

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