Dachau / München:Verzweiflungstat

Landgericht verurteilt eine 35-Jährige nach der Messerattacke auf ihren Ehemann zu zweieinhalb Jahren Haft.

Von Andreas Salch, Dachau / München

"Er war alles für mich", sagte die Apothekenhelferin Julia S. über ihren Mann Ekrem (beide Namen geändert), als sie schon längst in Untersuchungshaft saß. In den frühen Morgenstunden des 3. August vergangenen Jahres hatte die Mutter von zwei Kindern versucht, ihren Mann mit einem Küchenmesser im Schlaf zu erstechen. Nur weil sie nach der Attacke einen Notarzt alarmierte, hatte die Staatsanwaltschaft sie nicht wegen versuchten Mordes angeklagt. Am Freitag verurteilten die Richter der 2. Strafkammer die 35-Jährige wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Julia S. ist damit vorerst wieder auf freiem Fuß. Ins Gefängnis muss sie erst dann wieder, wenn sie von der Staatsanwaltschaft eine Ladung zum Haftantritt erhält.

Julia S. war 15 Jahre mit ihrem Mann verheiratet. Die Ehe war ihren Schilderungen nach die Hölle auf Erden: Beleidigungen, Schläge, sexuelle Erniedrigungen. In ein Frauenhaus habe sie nie gewollt, sagte sie. Sie habe immer gehofft, dass ihr Mann sich irgendwann ändert. Ekrem S. neigt unter dem Einfluss von Alkohol und anderen Drogen zu Gewaltausbrüchen.

Jahrelange Erniedrigungen

Auch am 2. August vorigen Jahres, einem Sonntag, war er bereits morgens betrunken und brüllte in der Wohnung herum. Julia S. nahm ihre Kinder und fuhr mit ihnen nach München. Ihr Mann terrorisierte sie daraufhin mit SMS und forderte sie auf, sofort nach Hause zu kommen. Damit die Situation nicht noch weiter eskaliert, gehorchte Julia S. Eines ihrer Kinder war durch das Geschrei des Vaters derart verstört, dass es sich gleich nach der Ankunft übergeben musste. Es soll nicht das erste Mal in einer derartigen Situation gewesen sein. Ekrem S. beleidigte und bedrohte seine Frau. In der Nacht warf er sie aus dem Bett.

In dieser Situation sei das Bewusstsein der 35-Jährigen tiefgreifend gestört gewesen, so ein Gerichtspsychiater. Die jahrelangen Erniedrigungen, die Beleidigungen und die Gewalt ihres Ehemannes hätten zu einer "blitzartigen Affektentladung" geführt, so der Forensiker. Julia S. schilderte diesen Augenblick in der Verhandlung mit folgenden Worten: "Ich dachte, ich explodiere." Wie im "Schnelldurchlauf" seien Szenen von Demütigung aus der Vergangenheit vor ihrem geistigen Auge abgelaufen.

Der Mann erwachte blutüberströmt

Julia S. lief in die Küche, holte eine Küchenmesser mit einer fast zwanzig Zentimeter langen Klinge, ging in das Schlafzimmer, wo ihr Mann betrunken auf dem Bauch im Bett lag. Dann stach sie zu. Insgesamt versetzte sie ihm sechs Stiche in den rechten Arm sowie in die Seite. Ekrem S. erwachte blutüberströmt. Doch den Notärzten gelang es, ihn noch rechtzeitig ins Kreiskrankenhaus zu bringen, wo er sofort operiert wurde.

"Ohne ihn hätte es die Tat nicht gegeben", sagte der Verteidiger von Julia S., Rechtsanwalt Werner Kränzlein bei seinem Schlussvortrag und wandte sich dabei an Ekrem S. Während des Plädoyers des Verteidigers weinten einige der Angehörigen von Julia S., die im Zuschauerraum saßen. Staatsanwältin Constanze Schneider forderte eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und neun Monaten - bei allem Verständnis, das sie durchaus für die Situation der Angeklagten habe. Gleichwohl habe diese "massive Aggression" an den Tag gelegt und ein wehrloses Opfer attackiert. Eine Kollegin von Julia S. hatte diese vor Gericht so geschildert: "Sie ist der perfekte Mensch."

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