Dachau / München:Falscher Freundschaftsdienst

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Zeuge erklärt sich in der Berufung zum Täter - doch das Gericht glaubt ihm nicht

Von Andreas Salch, Dachau / München

Dieser Schuss ging nach hinten los. Vor dem Landgericht München II hat sich ein 20-jähriger Zeuge selbst einer Tat bezichtigt, die er nach Überzeugung des Gerichts aber gar nicht begangen hat. Er sei der Täter und nicht sein Bekannter, erklärte der 20-Jährige. Auf der Anklagebank aber kauerte ein 25 Jahre alter Einzelhandelskaufmann. Doch der Reihe nach: Im Juli vorigen Jahres hatte sich der 20-Jährige gemeinsam mit dem Einzelhandelskaufmann vor dem Amtsgericht Dachau verantworten müssen. Die beiden Männer waren wegen vorsätzlicher Körperverletzung angeklagt.

Beim Faschingstreiben auf dem Karlsberg sollen sie am 1. März 2014 einen 24-Jährigen aus Hebertshausen brutal niedergeschlagen haben. Dem Opfer wurde ein Schneidezahn ausgeschlagen, es verlor das Bewusstsein und fiel um. Nach Überzeugung des Amtsgerichts hatte der Einzelhandelskaufmann zugeschlagen. Es verurteilte ihn zu einer Geldstrafe in Höhe von 2400 Euro. Der 20-Jährige, der mit auf der Anklagebank saß, wurde indessen freigesprochen. Doch der Einzelhandelskaufmann wollte die Entscheidung nicht akzeptieren. Deshalb legte er am Donnerstag Berufung vor dem Landgericht München II ein. Und dann das: Zur Verwunderung der Vorsitzenden Richterin behauptete der 20-Jährige: "Ich war es." So etwas passiert nicht einmal vor dem Landgericht München alle Tage. Als Beleg für seine Behauptung präsentierte der Zeuge eine Narbe auf seinem rechten Handrücken, die tatsächlich vom Faschingstreiben an jenem Tag herrührte. Sie sei die Folge seines Faustschlags in das Gesicht des 24-Jährigen aus Hebertshausen, versicherte der Zeuge. Hätte das zugetroffen, hätte das Gericht den Einzelhandelskaufmann freisprechen müssen. Und der ominöse Zeuge? Er wäre, nicht, wie man erwarten würde, wieder auf der Anklagebank gelandet. Denn sein Freispruch vor dem Amtsgericht ist inzwischen rechtskräftig. Und wegen derselben Straftat darf niemand ein zweites Mal angeklagt werden.

Der Einzelhandelskaufmann ist beruflich auf ein lupenreines Führungszeugnis angewiesen. Er will Leiter eines Supermarktes werden. Wie ein rechtsmedizinischer Sachverständiger dem Gericht darlegte, könne die Wunde auf dem Handrücken des angeblichen Täters, nicht durch den Faustschlag gegen einen Schneidezahn stammen. Sie sei viel eher mit einem Schnitt durch eine Glasscherbe in "Einklang zu bringen". In der Tat, so hatte ein Polizist berichtet, seien bei dem Faschingstreiben Schnapsfläschchen ausgeteilt worden. Auch wenn Glasbehältnisse eigentlich verboten gewesen seien.

Weil das Opfer nach dem Faustschlag das Bewusstsein verlor, habe "konkrete Lebensgefahr" bestanden, so der Rechtsmediziner. Da der Einzelhandelkaufmann inzwischen erneut wegen einer Schlägerei verurteilt wurde, bildete das Gericht eine Gesamtstrafe und verhängte eine Geldstrafe über 150 Tagesätze à 20 Euro (3000 Euro). Allerdings nicht mehr wegen vorsätzlicher Körperverletzung, sondern diesmal sogar wegen gefährlicher Körperverletzung. Dem 20-jährigen Zeugen und den Freunden des Einzelhandelkaufmanns, die vor dem Landgericht Angaben zu dessen Gunsten machten, könnte ihr "Freundschaftsdienst" noch teuer zu stehen kommen. Denn sie müssen alle mit einem Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage rechnen.

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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