Lange Nacht der offenen Türen:Menschen, Bilder, Kreationen

Die "Lange Nacht der offenen Türen" lädt ein zum Entdecken und Staunen - und zum Diskutieren.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Regen scheint irgendwie zur "Langen Nacht der offenen Türen" dazuzugehören. Die gab es am Freitagabend bereits zum zehnten Mal unter der Ägide des rührigen Vereins "Dachauer Wasserturm". 27 Galerien, Museen und Ateliers beteiligten sich offiziell. Dazu kamen noch einige, die nicht im Flyer verzeichnet waren wie etwa der Bürgertreff Ost. Dort zeigt der Fotograf Walter Korn aktuell in bewegenden Bildern seine Sicht auf "Reiches, armes Afrika". So eine Dauerberegnung hat aber auch ihre Vorteile: Museen, Galerien und Ateliers zu Orten locken ganze Familien in ihre Räume, vereinen Kunstkenner und Neugierige. Sie werden zu Orten der Begegnung und des Austauschs.

Hektischer Start

"Simple Dinge" zeigen Tom Früchtl und Axel Lieber in der Neuen Galerie. Und sorgen mit ihrer Sicht auf "Alltägliches zwischen Skulptur und Malerei" für den ersten Fast-Aufreger des Abends. Das Vernissagepublikum diskutiert zwar vor der offiziellen Eröffnung durch Landrat Stefan Löwl heftig über die Arbeiten der beiden Künstler, lässt sich aber später willig von Kuratorin Jutta Mannes über Sinn und Zweckentfremdung eines alten, sperrmüllverdächtigen Schranks, "versifften Umzugskartons" entkernten Medikamentenschachteln und umgewidmeter Sportkleidung aufklären. Es gehe nicht ums gerade so trendige Upcylcing - die Veredelung unseres alltäglichen Recylings - sondern "um das, was Kunst ist und was man darunter versteht", sagt die Kuratorin. Schade, dass keine Zeit bleibt, diese Grundthematik jedes künstlerischen Schaffens zu vertiefen, denn der - warum auch immer - eng getaktete Vernissagenplan treibt die Besucher in die Galerie der KVD.

Lange Nacht der Galerieen

Kunst ist vielfältig - und gerne auch mal verspielt wie hier im Wassertum.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Anrüchiges Thema?

Warum hat F. O. Maier seine Ausstellung in der Galerie der KVD "thanks" genannt? Gute Frage. Eine Vitrine voller Zettelchen liefert die Antwort: Viele bekannte Namen haben sich dort mit einem "Danke" an den Künstler verewigt. Doch diese Mini-Autographen geraten eher zufällig ins Blickfeld, dominieren doch großformatige Bilder und Skulpturen den Raum. Dazu noch ein paar recht abwechslungsreich gestaltete weibliche Geschlechtsorgane und Glasbehälter mit (noch) undefinierbarer Flüssigkeit. Nichts für Traditionalisten, aber ein prächtiger Rahmen, um die in der Neuen Galerie begonnen Diskussion fortzusetzen und sich an den ironischen Brechungen der Bilder zu erfreuen. Ganz entspannt, ohne jede Beckmesserei. Eher mit einem leicht verlegenen Lachen, als die junge Laudatorin Erinn Carstens-Doll erklärt, dass die eben noch bewunderte Figurine aus schon mal gekautem Kaugummi besteht und sich in den Gläsern Urin befindet. Zustimmendes Nicken, als sie sagt: "Aus Ekel wächst Neugierde."

Echte Freunde

Andreas Uffinger ist die Ruhe selbst. Dabei hat Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann gerade eines seiner Werke gekauft. Der Künstler im schicken schwarzen Anzug widmet seine Aufmerksamkeit nämlich einer älteren Frau. Sie ist so begeistert, dass sie ihn beauftragt, eigens für sie eine Arbeit in Fadentechnik zu fertigen. Helmut Rötzer dagegen kann es gar nicht abwarten, seine Tier- und Landschaftsmalereien zu präsentieren. Und ist überhaupt nicht enttäuscht, dass ein Linolschnitt mit einer filigranen Rose als Motiv mindestens so viel Bewunderung erregt wie die von ihm so geliebten tierischen Motive. Katharina Themel freut sich, dass auch an einem ihrer Bilder schon der rote "Verkauft"-Punkt hängt. Es zeigt einen fröhlichen "Familienausflug" von Delfinen und strahlt pure Lebensfreude aus. Die Schöpferin dieses Werks ist erst 17 Jahre alt und wohnt in Dachaus Partnerstadt Klagenfurt. Ihr Lebensziel: Künstlerin. Nicht einfach zu verwirklichen, wenn man mit einer Behinderung lebt. So wie alle Künstler, die ihre Arbeiten in dieser Gemeinschaftsausstellung des Franziskuswerks Schönbrunn und der Klagenfurter Organisation "Autark" mit dem treffenden Titel "pARTner 2.0" zeigen. Die beiden Hilfswerke arbeiten nicht nur im kreativen Bereich zusammen. "Wir wollen Städtepartnerschaft jenseits der offiziellen Wege", sagt Autark-Leiter Andreas Jesse, der mit den Klagenfurter Künstlern angereist ist. Der Gewölbesaal des Ludwig-Thoma-Hauses kann diese kreativen Eruptionen kaum fassen. Die Luft vibriert, immer wieder bilden sich Grüppchen von neugierigen bis leicht verblüfften Besuchern. Für Jessica Appler, Leiterin der Malwerkstatt in Schönbrunn, ist jede Ausstellung ein Beweis dafür, dass in der Gruppe "die bildnerische Position jedes Einzelnen gestärkt und ausgebaut wird." Andreas Uffinger nickt dazu.

Treppen statt Aufzug

"Wo ist denn der Aufzug?", keucht ein wohlbeleibter junger Mann vor dem Wasserturm. Den gibt es bekanntlich nicht. Karin-Renate Oschmann, eine der Triebfedern von Wasserturm und Langer Nacht, schmunzelt, als sie davon hört. Sie ist heuer nicht unterwegs, sondern macht Dienst im Wasserturm. Und zählt jeden aufwärts strebenden Besucher. Mehr als dreihundert waren es gegen 22 Uhr. Der Aufzugsuchende war allerdings nicht dabei. So ist ihm entgangen, wie die Gemeinschaftsausstellung das Motto "Anderswohin" aufgreift, wie sich eine Idee entwickelt. Ursprünglich sei "vom Vergnügen des Reisens" das Leitmotiv der Ausstellung gewesen, erzählt Karin-Renate Oschmann. Daraus ist auch eine Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingselend, mit Sterben und Tod geworden. So wie bei Gerhard Niedermair. Bei ihm mutiert das allerorten zu findende Symbol "Fluchtweg" zum "Fluchweg".

Märchenhaft

Menschen mit umfassender humanistischer Halbbildung denken bei "Chimäre" an das grässliche Wesen aus der griechischen Mythologie. Susanne und Kristina Seeholzer, Sophia Mair-Kühnel sowie Stefan Wimberger haben damit nichts am Hut. Das Quartett zeigt in seiner ersten Ausstellung "analoge und digitale Darstellungen aus Bereichen des Traums und der Illusion". Diese dröge Erläuterung zum Titel "Chimäre" ist in der Tat ein Trugbild. Wunderschöne Frauengestalten, geradewegs der Welt genialer Fantasy-Autoren entsprungen, entpuppen sich bei näherem Hinsehen als furchteinflößende Wesen. Jagdtrophäen, wie man sie sonst nur in alten Wirtshäusern findet, transformieren zu reich geschmückten Fabeltieren. Junges Publikum mischt die Szene auf, taucht in eine andere Welt ab - und nutzt das Smartphone nur zum Fotografieren.

Lange Nacht der Galerieen

Auch textile Phantomgestalten kann man in der Neuen Galerie bestaunen.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Hören und Sehen

Gästeführerin Brigitte Fiedler ist im Bezirksmuseum eigentlich für die "Bier-lokal"-Ausstellung zuständig. Aber was im neuen Audioguide über die Schmiedekunst in Dachau zu hören ist, will die aus einer alten Familie von Schmieden stammende Brigitte Fiedler doch hören. Sie ist zufrieden mit dem, was Schüler des Ignaz-Taschner-Gymnasiums in ihrem P-Kurs erforscht haben. Zu denen gehört auch Ines. Sie hat sich dem Dachauer Komponisten Aloys Fleischmann gewidmet: "Das ist so schade, dass er hier fast vergessen ist. Dabei ist seine Geschichte so faszinierend", sagt sie. In ihrem Beitrag wird dieses Künstlerleben wieder lebendig.

Musik

Nasse Kälte kriecht allmählich in die Knochen. Schließlich ist man tapfer zu Fuß unterwegs und spart sich die lästige Parkplatzsuche. Da flattern anheimelnde Töne aus der Gemäldegalerie aufs rutschige Pflaster. Musik? Stimmt, die hatte man irgendwie vermisst in dieser Langen Nacht. Oder doch nicht? Malerei und Menschen ohne die oft dominierende musikalische Geräuschkulisse zu treffen, kann ja so entspannend und anregend zugleich sein. Andererseits haben ein paar Stunden früher die Musiker von La Fanfare de l'Orient Express im Torbogen des Bezirksmuseums das auch locker geschafft - es kommt eben auf die Mischung an.

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