Dachau:"Man hat versucht, uns zu zerlegen"

Der hundertjährige Holocaust-Überlebende Marko Feingold ist einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die als Erwachsene in ein Konzentrationslager kamen.

Von László Dobos

Dachau: Humorvoll und ernst zugleich: Marko Feingold, 100 Jahre alt.

Humorvoll und ernst zugleich: Marko Feingold, 100 Jahre alt.

(Foto: Toni Heigl)

Marko Feingold ist eine elegante Erscheinung. Die dünnen, weißen Haare sind mit ein wenig Gel nach hinten gekämmt, der Oberlippenbart ist adrett gestutzt, seine Figur ist zierlich und der Pullover in grau-anthrazit sitzt perfekt. Er spricht mit einem alten Wiener Dialekt. Der Hundertjährige ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg - und Holocaust-Überlebender.

Und er liebt die schönen Seiten des Lebens. Als er sich zu Beginn seines Vortrags im Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte räuspern muss, schenkt er sich etwas widerwillig von der einzigen griffbereiten Flasche ein. Es ist Mineralwasser. Feingold stellt klar, dass er edle Tropfen bevorzugt: "Ich habe Wasser gerne. Wirklich sehr gerne. Aber nur zum Waschen." Mit ebendiesem Schmäh schafft es Feingold immer wieder, seine etwa 100 Zuhörer zum Lachen zu bringen. Ihm versagt aber auch oft die Stimme, als er über die erlebten Schrecken spricht. Es ist ein ernster und heiterer Abend zugleich.

Marko Feingold wuchs in Wien auf und fing Ende der Zwanzigerjahre an, bei einem Pelzgroßhandel zu arbeiten. Von 1932 an lebte er in Italien, genauso wie sein Bruder Ernst. Februar 1938 fuhren sie für einige Wochen nach Wien und waren damit zur falschen Zeit am falschen Ort. Denn am 13. März marschierten die deutschen Truppen in Österreich ein, der "Anschluss" war vollzogen. Die Gestapo nahm die Brüder bald in "Sippenhaft", um des politisch unbequemen Vaters habhaft zu werden, der geflohen war. "Wir wurden nicht geschlagen, man hat versucht, uns zu zerlegen", beschreibt Feingold die Foltermethoden. Schließlich kamen die Brüder frei, ohne dass die Gestapo den Vater verhaftete. Sie flohen und kamen Februar 1939 über Umwege nach Prag. Dort beschuldigte sie die Gestapo, mit tschechischen Saboteuren gegen die deutschen Besatzer zusammenzuarbeiten. So kamen sie ohne Gerichtsverhandlung ins Gefängnis und anschließend im März 1940 ins Konzentrationslager Auschwitz, das gerade im Aufbau war.

Dort begann das "Morden, Töten, Schießen", wie es Marko Feingold beschreibt, er war in ständiger Lebensgefahr. Nach einigen Monaten kamen die Brüder ins KZ Neuengamme. Wegen der Mangelernährung und einer Darmerkrankung magerte der etwa 1,60 Meter große Feingold auf 35 Kilogramm ab. "Ich hatte kein Fett mehr unter der Haut. Ich habe gefroren, das war unglaublich." In diesem Zustand kam Feingold im Sommer 1941 ins KZ Dachau. Im KZ Neuengamme habe die SS die Leichen nicht so unauffällig beseitigen können, da es dort damals noch kein Krematorium gegeben habe. Deswegen seien die Schwachen nach Dachau gebracht worden. Den Zug dorthin beschreibt Feingold als "Leichentransport". Viele seien noch in den Waggons gestorben. Ernst Feingold blieb im KZ Neuengamme, wo er 1942 starb.

In Dachau hatte Marko Feingold zunächst Glück. Die Lagerleitung setzte ihn als Dolmetscher ein. In dieser Funktion bekam er genug zu essen und konnte sich erholen. Allerdings musste er nach drei Wochen wieder körperlich hart arbeiten. Dadurch und durch den Vitaminmangel bekam er Entzündungen am Bein, die ohne Narkose in der Latrine behandelt wurden. "Ein Wunder, dass mein Bein überlebt hat." Später kam er ins KZ Buchenwald, wo er nur durch Glück einem tödlichen medizinischen Experiment entging. Die Amerikaner befreiten ihn dort 1945.

Das Erstaunliche an Feingolds Erzählungen ist, dass er auch nichts an seinem eigenen Zustand beschönigt. Ob der Glaube ihn am Leben gehalten habe, und ob er im KZ nicht daran dachte, sich das Leben zu nehmen, will eine Zuschauerin wissen. "Ich war sehr wehleidig, hatte Angst vor Schmerzen", antwortet Feingold trocken. Im KZ habe es keine schnellen, sicheren Suizidmethoden gegeben. Selbst wenn man weggerannt wäre, um sich von den Wachen erschießen zu lassen, wäre der Tod nicht sicher gewesen. Es wäre möglich gewesen, dass der Schuss einen nur schmerzhaft verwundet aber nicht getötet hätte. Eine andere Zuschauerin fragt, wie sich die KZ-Gefangenen gegenseitig geholfen hätten. Feingold antwortet, dass er zwar die Mitgefangenen ab und zu mit seinem Humor erheitert habe. "Aber dass ich von meinem Brot etwas abgegeben hätte, dazu war mein Hunger zu groß."

Für seinen Vortrag bedankt sich das Publikum bei Feingold mit ausgiebigem Applaus, der ihn sichtlich freut. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit 100 Jahren noch Applaus bekomme."

"Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh" lautet der Titel von Marko Feingolds Autobiografie, die im Otto Müller Verlag erschienen ist.

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