Dachau / Mailand:Lehren der Vergangenheit

Kriegsende

In Italien werden das Kriegsende und die Helden der Resistenza am 25. April gefeiert. Anders als in Deutschland gibt es dafür einen gesetzlichen Feiertag. Das Datum bezieht sich auf den Tag, dem der italienische Diktator Benito Mussolini vor den Alliierten aus der faschistischen Republik von Salò floh und das Komitee der nationalen Befreiung über Radio den Erfolg des Widerstands und den Todesbefehl für alle noch in Freiheit befindlichen Faschisten verkündete.

In Frankreich wird die Fête de la Victoire, die Siegesfeier, am 8. Mai begangen, der Liberation Day, der Befreiungstag, in Großbritannien am 9. Mai. In Deutschland ist der 8. Mai nie ein gesetzlicher Feiertag, jedoch immer ein Gedenktag gewesen. Bis 1966 war der 8. Mai jedoch in der ehemaligen DDR ein Feiertag. Russland feiert wie früher die Sowjetunion traditionell den 9. Mai als Tag des Sieges mit Paraden, Aufmärschen, geschmückten Straßen und offiziellen Feiern. Zum 70. Jahrestag kamen die westlichen Regierungschefs wegen des Ukrainekonflikts nicht zur Feier nach Moskau. Bundeskanzlerin Angela Merkel wählte einen Kompromiss: Sie legte am 10. Mai in Moskau einen Kranz nieder. vgr

Das Interesse der Jugend an der NS-Zeit wächst - das stellen Pädagogen in Deutschland und Italien gleichermaßen fest

Von Cristina Bettati, Dachau / Mailand

Die Jugend soll die Erinnerung weitertragen, das ist ein zentrales Anliegen vieler Redner auf den Gedenkfeiern 70 Jahre nach dem Ende des Krieges in Europa. So sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, in der KZ-Gedenkstätte Dachau: "Die Jugend trägt keine Schuld, aber sie trägt Verantwortung." Dafür, dass die NS-Verbrechen sich nie mehr wiederholen und nicht vergessen werden. So wird das auch in Italien gesehen. An Schulen und Universitäten beschäftigen sich junge Menschen mit der Geschichte, befragen die letzten Zeitzeugen und arbeiten an Erinnerungsprojekten mit, wie das auch in Dachau mit "Namen statt Nummern" geschieht. Der Name Dachau ist in Italien nur zu gut bekannt: Im Herbst 1943 wurden mehr als 9500 Italiener, zumeist Partisanen, in das KZ deportiert.

Arianna Tegani ist Geschichtslehrerin am Liceo Rinaldo Corso in Corregio in der Emilia Romagna. Sie war mit ihren Schulklassen bereits in der Gedenkstätte in Dachau. Zum 70. Jahrestag hatte sich Tegani nun ein neues Projekt ausgedacht: "Eine andere Geschichte ist möglich." Die 57-Jährige hat mit ihren Klassen das ganze Jahr daran gearbeitet. In dem toskanischen Dorf Sant'Anna di Stazzema haben die Schüler Enrico Pieri getroffen. Der heute 80-Jährige erlebte in der Nacht des 12. August 1944 während eines von Truppen der Waffen-SS verübten Massakers die Ermordung seiner ganzen Familie und von 140 Dorfbewohnern. Trotz dieser Erfahrung sprach er mit den Jugendlichen über die Macht der Vergebung und die Bedeutung eines freien demokratischen Europas. Für die Studenten der Geisteswissenschaften der Universität Modena und Reggio Emilia hat Professor Lorenzo Bertucelli besondere Lesungen vorbereitet. Eine davon hat Beniamino Goldstein, Großrabbiner der Jüdischen Gemeinschaft von Modena und Reggio Emilia, gehalten. Im Anschluss besuchten die Studenten die Synagoge von Modena. "Die Uni ist Partner des Hauses der Geschichte Modenas und der Stiftung Ex Campo Fossoli", erklärt Bertucelli, der auch Präsident dieser Stiftung ist. Ziel der Stiftung sei die Erhaltung des ehemaligen Durchgangslagers Fossoli in der Provinz Modena als Gedenkort: Ein Drittel der italienischen Juden wurde von hier in die Vernichtungslager Mittel- und Osteuropas deportiert. "Für das Jubiläum haben wir an einem besonderen Projekt gearbeitet: Die Freiluftdarstellung "Memorie solide" (Solide Gedächtnisse)", berichtet der 51-jährige Historiker. Anders als die Lehrer können die Professoren ihr jährliches Programm frei gestalten. "Die Entwicklungen nach 1945 bis unsere heutige Zeit kann man nur begreifen, wenn man die Geschichte der beiden Weltkriege vertieft hat", sagt Bertucelli. Gleichermaßen sollte man über den Nationalsozialismus immer in Zusammenhang mit dem Holocaust sprechen, da der Holocaust Bestandteil dieser Ideologie gewesen sei. Dieses Ziel wird auch an den Schulen verfolgt. Laut Gesetz muss der 27. Januar als weltweiter Gedenktag an die Opfer des Holocaust in den Schulen besonders vorbereitet werden.

Obwohl schon 70 Jahre vergangen sind, scheint das Interesse der Jugendlichen in Deutschland wie in Italien noch groß zu sein. "Die Studenten sind heute sogar interessierter als vor 15 Jahren", sagt Bertucelli. Das war vor 15 Jahren anders: "Es war damals der Anfang einer Zeit rascher Umgestaltungen und Veränderungen, und die Studenten bekundeten offensichtlich kein Interesse an der Geschichte und der Vergangenheit im Allgemeinen." Mittlerweile hat sich das gewandelt. In einer Welt, die sich rasend schnell verändert und neue Herausforderungen bereit hält, wächst der Wunsch nach Orientierung: "Die Studenten möchten heute wissen, woher sie kommen und wie alles angefangen hat."

Wichtig ist es aber auch, wie man diese Themen den Jugendlichen vorstellt. "Man darf sie nicht banalisieren", sagt Tegani, die seit 32 Jahren lehrt. "Die Vorbereitung auf den Tag des Gedenkens heißt nicht nur, einen Film wie "Der Junge im gestreiften Pyjama" zu zeigen, damit die Schüler darüber weinen können." Das Weinen sei eine emotionale Reaktion und daher schnell vergänglich. "Um Früchte wirklich tragen zu können, muss das Thema durch verschiedene Inputs vertieft werden." Ziel des Unterrichts sei es schließlich, den Schülern die Wahrung der Menschenwürde beizubringen, und die Geschichte so zu präsentieren, dass sie auch als Leseschlüssel der Gegenwart benutzt werden könne.

Cristina Bettati studierte Europäische Sprachen in Modena und lebt als freie Journalistin in Mailand

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: