Kunst:Kunstwerk verängstigt Eltern

Die Figur vor dem Kindergarten Mariä Himmelfahrt in Dachau-Süd wurde verhüllt. Mütter und Väter befürchten, der Nachwuchs könnte die herabstürzende Figur nachahmen - was die Künstlerin absurd findet

Von Walter Gierlich, Dachau

Aufregung über ein Kunstwerk: Vor dem Eingang des Kinderhauses Mariä Himmelfahrt in Dachau-Süd steht auf einem Pfosten in mehr als fünf Meter Höhe das Werk "Refugium" der Dachauer Künstlerin Esther Glück. Es stellt ein Kind dar in einem kleinen Raum, das mit den Armen zwei Wände beiseitedrückt. Doch sehen kann es momentan niemand, denn es ist seit einigen Wochen aus Furcht vor Beschädigungen mit Tüchern verhüllt. Der Grund dafür: Einige Eltern sagen, ihre Kinder hätten Angst davor. Manche fürchten angeblich gar, dass ihre Kinder verleitet würden, die Figur nachzuahmen und abzustürzen. Mittlerweile ist die Diskussion im Rathaus angekommen. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) kündigte jüngst im Bauausschuss an, er werde mit allen Beteiligten sprechen und nach einer Lösung suchen.

Als die Stadt vor einigen Jahren beschlossen hatte, den maroden Holzbau des Kindergartens durch einen Neubau mit angegliederter Krippe zu ersetzen, startete eine Elterninitiative ein Bürgerbegehren. Sie fürchtete, die Kinder hätten zu wenig Platz im Neubau und dem zugehörigen Garten, der auf demselben Grundstück, aber etwas weiter südlich geplant war. Sie wollten stattdessen einen Neubau auf der Stelle des Altbaus und hatten für die Bauzeit sogar vorgeschlagen, die Kinder in Containern unterzubringen. Zwar scheiterte die Initiative beim Bürgerentscheid, und es entstand ein viel gelobter Neubau. Esther Glück, die das Werk für etwa 12 000 Euro im Auftrag der Stadt schuf, wollte damit zeigen, dass Kinder mehr Platz brauchen. Denn der Raum, den die Kinderfigur durch das Aufdrücken der Wände vergrößern will, umfasst genau die gesetzlich vorgeschriebene Mindestfläche pro Kind.

Als sie vor einigen Monaten allen Beteiligten ein Modell des "Refugium" vorstellte und erläuterte, stieß sie auf Zustimmung, teilweise sogar Begeisterung, wie sie sagt. Doch als das fertige Werk dann am 1. September auf dem mehr als fünf Meter hohen Pfosten montiert war, gab es plötzlich Proteste einzelner Eltern. OB Hartmann war zu der Zeit in Urlaub. Sein Stellvertreter Kai Kühnel (Bündnis) hatte den Neubau als Architekt einst geplant. Er wollte daher die Entscheidung Hartmann überlassen. Bis dahin wurde auf Wunsch des Elternbeirats das Werk verhüllt.

"Die Vorwürfe sind für mich unverständlich", sagt Esther Glück, die zuvor viel Lob für die Arbeit erhalten hatte. Sie schrieb einen Brief an alle Eltern, in dem sie das Kunstwerk erläutert, das sie als Bild für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern sieht: "Es geht um vorgegebene ,Räume', reale wie geistige und um das, was Kinder für ihre Charakter- und Herzensbildung brauchen." Sie könne verstehen, dass Eltern der Gedanke Angst mache, es könne ihr Kind sein, das da oben herumturne. Doch sie verweist auf Geschichten von Pumuckl, Pippi Langstrumpf, Jim Knopf oder Karlsson auf dem Dach, "Geschichten von Mut, Klugheit, Freiheit, Entfaltung und vom Grenzen-Sprengen aus Überzeugung". Pippi Langstrumpf etwa sei "eine Geschichte, die erst durch die Fantasie, die Übertreibungen, das Träumerische, die Vision zur geliebten Erzählung wird". Und Esther Glück fragt die Eltern, ob sie ihren Kindern die Filme von Pippi Langstrumpf verbieten würden. Oder ob sie nicht mit den Kindern darüber sprächen, was eben auch mit dem Werk "Refugium" gedacht sei.

Von einer "nicht nachvollziehbaren Angst einzelner Eltern" spricht Axel Hannemann, der Geschäftsführer der Dachauer Caritas, die Träger des Kinderhauses ist. "Wir haben nichts gegen das Kunstwerk", das er als bewundernswert realistisch bezeichnet, betont er. Es sei zwar immer riskant, ein provokantes Kunstwerk aufzustellen, aber eine Provokation habe er hier nicht gesehen. "Höchstens für Landespolitiker" - wegen der Anspielung auf die gesetzliche Mindestfläche. Er habe allerdings auch Beschwerden gehört, dass das dargestellte Kind nur einen Socken anhabe und ein Superman-T-Shirt. "Das ist offenbar in Dachau-Süd nicht üblich", sagt Hannemann und klingt dabei verwundert.

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