SZ-Benefiz:Kongenial

Lisa Wagner und das Duo Unsere Lieblinge inszenieren die Lesung des Romans "Gold" von Blaise Cendrars auf dem SZ-Benefizkonzert als lautmalerisches Doku-Drama über den Aufstieg und Fall des Johann August Suter. Dadurch entsteht eine Parabel mit Anklängen an die Gegenwart

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Höchste Konzentration. Das Äußere ist gezielt unauffällig: weiße Bluse, schwarze Weste, schwarze Hose. Schauspielerin Lisa Wagner liest vor. Nicht theatralisch, nicht mit großen Gesten, sondern zurückgenommen und doch mittendrin. Sie hat für die jährliche Benefizveranstaltung der SZ zugunsten des Adventskalenders am Donnerstagabend im Ludwig-Thoma-Haus keinen der üblichen Weihnachtsbestseller ausgewählt, sondern einen Roman aus dem Jahr 1925. Er handelt von einem Mann, der alles wagt, alles gewinnt, alles verliert. Der Mann ist Johann August Suter (1803-1880), den sie auch den General von Kalifornien nannten.

Die wahre Geschichte dieses sagenhaften Lebens hat Blaise Cendrars zu einer Parabel vom gnadenlosen Aufstieg und ebenso gnadenlosen Untergang eines Glücksritters und Spekulanten verdichtet. Der Schweizer Autor war selbst ein rastloser Abenteurer und Weltenbummler, in "Gold" aufgeschrieben.

Lisa Wagner, vielfach ausgezeichnete Schauspielerin, und das ebenso ausgezeichnete Duo Unsere Lieblinge haben sich auf die vordergründig so faszinierend einfache Sprache des Cendrars-Romans mit ihrer eigentümlichen Sogkraft eingelassen. Entstanden ist - im kongenialen Zusammenspiel von Musik und Text - ein Doku-Drama, teilweise im Stil eines Radiofeatures, über das Leben eines Mannes, der sich mit Betrügereien über Wasser hält, vor der Justiz nach Amerika flüchtet, Frau und Kinder in der Schweiz der behördlichen Fürsorge überlässt.

SZ-Benefiz: Alex Haas und Stefan Noelle gemeinsam mit Schauspielerin Lisa Wagner.

Alex Haas und Stefan Noelle gemeinsam mit Schauspielerin Lisa Wagner.

(Foto: Niels P. Joergensen)

In den 1830er Jahren steigt Suter zum größten Landbesitzer Kaliforniens auf, verwandelt mit seinen Arbeitssklaven, "Kanaken" aus Honolulu und "Missionsindianern", das öde Sacramento-Tal in eine blühende Landschaft, Weinanbau mit Reben vom Rhein inklusive. Er baut sich seine Eremitage hoch über dem Tal, will endlich sein früheres Leben in Ordnung bringen. Doch 1848 findet einer seiner Angestellten Gold bei Suter's Mill. Der nun einsetzende Goldrausch fegt wie ein alles vernichtender Sturm über Suters riesige Privatkolonie Neu-Helvetien. Er verliert alles, was er sich mehr oder weniger rechtmäßig erworben hat. Sein Land wird verwüstet, seine Besitztümer werden geplündert und gehen in Flammen auf. Seine Söhne kommen auf tragische Weise ums Leben. Suter selbst will entschädigt werden, kämpft einen Sisyphos-Kampf gegen Regierung und Plünderer - 20 lange Jahre bis zu seinem Tod.

So wie in ihren Film- und Fernsehrollen, beispielsweise als Kommissarin Heller, ein Blick oder eine Geste buchstäblich mehr als tausend Worte sagen, so wird bei dieser fabelhaften Lesung aus der Reporterin Lisa Wagner durch eine winzige, kaum wahrnehmbare Modulation der Stimme eine leidenschaftliche Protagonistin des Romangeschehens. Da gaukeln Unsere Lieblinge mit einem volksliedhaften Auftakt falsche Schweizer Postkartenidylle vor. Und Lisa Wagner beginnt Cendrars detailreiche Schilderung des abendlichen Dorfgeschehens mit einer gewissen Distanz zu lesen, bis das unverhoffte Auftauchen eines Fremden den Pseudo-Dorffrieden entlarvt. Unverhohlene Neugierde schlägt jäh in blanke Ablehnung um. Lisa Wagner mutiert blitzartig von der Berichterstatterin zum hetzerischen Schankwirt, der am liebsten die Sturmglocke läuten und eine Jagd auf den Fremden - es ist Suter, der sich einen Pass für die legale Ausreise nach Amerika besorgen will - veranstalten würde. Cendrars schafft es in wenigen Sätzen, die scheinheilige Dorfgemeinschaft zu entlarven und gleichzeitig ein Bild der Hauptfigur zu zeichnen.

SZ-Benefiz: Das Publikum applaudierte auf dem SZ-Benefizkonzert heftig.

Das Publikum applaudierte auf dem SZ-Benefizkonzert heftig.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Lisa Wagner macht aus dieser Romanszene einen erschreckend wirklichkeitsnahen Vorgang. In einem der vielen beeindruckenden Momenten findet der Anfang vom Ende Suters seinen tragischen Höhepunkt: Country- und Westernsongs lullen den Zuhörer ein, Suter reitet in eine neue, bessere Zukunft, nicht ahnend, dass hinter ihm sein Imperium in Rauch und Asche aufgeht.

Die Musik übernahm eine eigene dramatische Rolle - als Lautmalerei und als eigenständiger Beitrag zu einzelnen Sequenzen. Das Duo Unsere Lieblinge eroberte das Publikum, weil es so wunderbare alte Songs sang, wie "Aloa-he", "In the Desert" oder "Shenandoah"? Aber nicht nur was, sondern wie sie spielten, begeisterte. "Ich habe die Möwen fliegen gehört", sagte eine Zuschauerin. Eine andere meinte: "Das war Lagerfeuer pur, was die da mit ihrem Bass und ihrem Schlagzeug angestellt haben". Die Musik steht gleichberechtigt neben dem Wort. Ein Glücksfall.

Man hört förmlich das Feuer knistern, sieht vor dem inneren Auge, wie es zuerst das trockene Gras anleckt, auf die Bäume überspringt, Häuser und Stallungen vernichtet, Menschen und Tiere tötet. Das ist großes Kino ohne Leinwand, geschaffen mit der Macht der Sprache und der Musik. Stefan Noelle und Alex Haas, bekannt als Unsere Lieblinge, brauchen kein großes Instrumentarium. Kontrabass und Schlagzeug reichen, um im Zusammenwirken mit Lisa Wagner eine Geschichte lebendig werden zu lassen, die heute alltäglicher Wahnsinn zu sein scheint: Sind doch erbarmungsloser Aufstieg und gnadenlose Vernichtung Charakteristika unserer globalisierten Finanz- und Wirtschaftswelt. Die Opfer heißen nicht mehr "Kanaken", "Neger" oder "Missionsindianer", sondern Kleinanleger oder Humankapital, sprich Menschen. Und deshalb war "Gold" die perfekte Wahl für den Benefizabend der SZ gerade zu Weihnachten. Und als Zugabe sangen Unsere Lieblinge "Heart of Gold" von Neil Young. Lang anhaltender, frenetischer Applaus.

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