Hochbetagte:Karlsfeld wird grau

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Der demografische Wandel fordert laut einer Studie besonders die Siedlergemeinde heraus. Dort könnte sich die Zahl der Senioren bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppeln. Auch Indersdorf und Dachau-Ost sollen dramatisch altern

Von Gregor Schiegl, Dachau

Der demografische Wandel macht sich auch im Landkreis deutlich bemerkbar. Nach einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung werden im Jahr 2030 ein Viertel der dann voraussichtlich 160 000 Landkreisbürger Senioren sein. Mit einem Zuwachs von 71 Prozent legt die Bevölkerungsgruppe der Hochbetagten besonders stark zu: In 15 Jahren sollen laut Bertelsmann-Stiftung 11 800 Menschen im Landkreis leben, die 80 Jahre oder älter sind. "Für die Kommunen bedeutet das eine enorme Herausforderung", sagt Wolfgang Gartenlöhner, Leiter für Seniorenangelegenheiten am Landratsamt. "In ein paar Jahren werden wir nicht mehr genug Kräfte für die Pflege bekommen."

Am dramatischsten ist die Entwicklung in Karlsfeld. Dort wird sich die Zahl der Hochbetagten bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppeln. 2550 der dann etwa 21 580 Gemeindebürger soll laut Studie die 80 überschritten haben; das entspräche knapp zwölf Prozent der Einwohner, und nur noch jeder dritte Karlsfelder wäre überhaupt im erwerbsfähigen Alter. Für eine Kommune, deren einzig wirklich noch ergiebig sprudelnde Einnahmequelle die Einkommensteuerbeteiligung ist, sind das düstere Aussichten. "Wenn wir es nicht schaffen, eine gute Altersmischung herzubekommen, wird es schwierig", sagt Karlsfelds Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU). Gerade erhält die Gemeinde eine Verjüngungskur: In das große Neubaugebiet westlich der Bahn ziehen Hunderte junger Familien, demnächst werden sich auch im neuen Ortszentrum viele Neubürger ansiedeln. "Derzeit ist mir nicht bange."

Angebote für Ältere wie der Seniorennachmittag auf dem Karlsfelder See- und Siedlerfest kommen bei den Bürgern gut an. (Foto: Johannes Simon)

Ähnlich dramatisch wie in Karlsfeld sehen die Zahlen in Markt Indersdorf aus. Dort beträgt der Anteil der Hochbetagten in 15 Jahren voraussichtlich 10,4 Prozent. Mit 48,6 Jahren liegt der Altersdurchschnitt der Indersdorfer dann am höchsten im gesamten Dachauer Land - nämlich ganze drei Jahre über dem Landkreisschnitt. Petershausen gehört zu den wenigen Gemeinden, die den demografischen Wandel zunächst kaum spüren. Auch in 15 Jahren soll dort nur jeder Zwanzigste älter als 80 Jahre alt sein, gleiches gilt für Erdweg. In der Stadt Dachau bleibt der Anteil der Über-80-Jährigen mit 6,5 Prozent ebenfalls auf relativ niedrigem Niveau.

Eine Erklärung, warum die Kommunen sich so unterschiedlich entwickeln, liefert die Bertelsmann-Stiftung nicht. Wolfgang Gartenlöhner vom Landratsamt verweist auf die Siedler, die nach dem Krieg Karlsfeld vom Straßendorf zu einer großen Gemeinde wachsen ließen. Diese Generation habe inzwischen das Rentenalter erreicht; das lasse mittelfristig auch die Zahl der Hochbetagten extrem hochschnellen. Der gleiche Effekt sei in Dachau-Ost zu beobachten, dort seien inzwischen schon 60 Prozent der Bewohner Senioren. "Das sind keine natürlich gewachsenen Strukturen."

(Foto: N/A)

Verstärkt wird das Ungleichgewicht durch große Pflegeeinrichtungen. In Karlsfeld und Markt Indersdorf gibt es zwei große Heime. Dort ziehen notgedrungen auch Alte ein, die eine solche Infrastruktur im eigenen Ort nicht haben, vor allem aus den kleinen Landgemeinden. Auch aus München kommen immer mehr Hochbetagte. Gemessen am eigenen Bedarf gibt es derzeit sogar noch eine Überkapazität an Heimplätzen im Landkreis.

Aber Personalknappheit herrscht auch im Landkreis: Ohne ausländische Kräfte würde die Versorgung schon heute nicht mehr funktionieren. "Es gibt Einrichtungen bei uns, wo die Übergaben schon heute auf serbokroatisch stattfinden", sagt Wolfgang Gartenlöhner. Das ist keine Klage, sondern ein Befund mit logischer Konsequenz: Das Land braucht mehr Zuwanderung, sonst droht der Zusammenbruch.

Seit zwei Jahren betreibt Gartenlöhner mit seinen Mitarbeitern am Landratsamt Demografiemanagement. Ziel ist, dass die Senioren so lange wie möglich selbstbestimmt zu Hause leben können, aber dabei nicht vereinsamen. "Als Kommune muss man Angebote für die Alten machen", sagt Gartenlöhner. Viel sei schon geschehen, etwa im Bereich der Nachbarschaftshilfe. "Uns geht es darum, das Vorhandene noch besser zu vernetzen", vor allem Alt und Jung. Warum zum Beispiel sollte man nicht Senioren verstärkt in der Kinderbetreuung einsetzen? "Es will doch jeder das Gefühl haben, gebraucht zu werden."

Aber auch bei der Begleitung nicht mehr so rüstiger Senioren könnten die Alten als Freiwillige noch wertvolle Dienste leisten. Wobei Gartenlöhner ausdrücklich nicht von "Ehrenamtlichen" reden will: "Die Pflegekasse zahlt viele Leistungen." Überspitzt könnte man sagen: Künftig müssen sich auch die 70-Jährigen verstärkt um die 90-Jährigen kümmern. Und die Kommunen werden sich künftig verstärkt mit Fragen der Mobilität beschäftigen müssen, mit barrierefreiem Bauen, mit wohnortnahem Einzelhandel. "Das zieht sich ja jetzt schon durch alle Bereiche", sagt Karlsfelds Bürgermeister. Für ihn lautet die entscheidende Frage: "Um wie viel größer werden die Ansprüche der Älteren?"

© SZ vom 24.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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