Dachau:An der Nadel

Bei der Dachauer Drogenberatungsstelle Drobs begeben sich jährlich bis zu 300 Heroinsüchtige in Behandlung. Vorsitzende Sylvia Neumeier bereitet auch der steigende Konsum von Crystal Meth Sorgen.

Von Benjamin Emonts

Ein Pärchen aus München muss sich vor dem Amtsgericht verantworten, weil es im Jahr 2012 in Dachau, Karlsfeld und Indersdorf im großen Stil Heroin verkauft hat. Die Ermittlungen des Landeskriminalamtes und der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck ergaben, dass die Angeklagte insgesamt mehr als 160 Gramm der Droge angekauft hatte und anschließend - teils gemeinsam mit ihrem Partner - in kleinen Mengen an etwa 20 Kleinkonsumenten aus dem Landkreis Dachau verkaufte. Auch im Rahmen anderer Verfahren werden am Amtsgericht Dachau immer wieder Drogenabhängige vorstellig, die aufgrund ihrer Sucht in die Beschaffungskriminalität geraten. Sylvia Neumeier, die Vorsitzende der Dachauer Drogenberatungsstelle (Drobs), zählt allein im Landkreis Dachau jährlich zwischen 200 und 300 Heroinabhängige, die sich bei Drobs in Behandlung begeben. Angesichts solcher Zahlen stellt sich die Frage, ob im Landkreis ein Drogenproblem besteht.

"Die Zahl der Heroinabhängigen ist in den vergangenen Jahren leicht zurückgegangen", sagt Sylvia Neumeier, um gleich danach zu relativieren: "Das heißt aber nicht, dass es auch hier im Landkreis viele Menschen gibt, die ein Drogenproblem haben." Die Zahlen belegen das: Von den mehr als 450 Klienten von Drobs sind etwa 50 Prozent heroinabhängig. Wobei Neumeier ergänzt, dass die meisten davon Mischkonsumenten seien. Das typische Konsumverhalten eines Heroinsüchtigen sehe demnach so aus: Untertags Amphetamin oder Kokain, am Abend Heroin oder Cannabis zum Runterkommen. Und "gleichzeitig", sagt Neumeier, "trinken die Heroinabhängigen meist massiv Alkohol".

Das polytoxe Konsumverhalten führe schließlich dazu, dass die Süchtigen schon nach kurzer Zeit ihr Leben nicht mehr geregelt bekommen. Denn die Angst vor dem Entzug ist laut Neumeier so groß, dass die Abhängigen täglich sieben bis neun Stunden allein dafür verwenden, Stoff zu besorgen. Dabei sind Neumeiers Klienten Familienväter ebenso wie Studenten und Personen aus den unteren Gesellschaftsschichten. "Oft Leute, von denen man es nie denken würde." Ihr Suchtdruck führe dabei in fast allen Fällen unausweichlich in die Beschaffungskriminalität, sagt Neumeier, die mit ihren Kollegen von Drobs versucht, die Abhängigen über Substitutionsprogramme, sprich durch Verabreichung von Ersatzstoffen wie Methadon, wieder in die Legalität zurückzuführen.

"Der Trend geht hin zu Fentanyl", sagt Johann Heinzelmann, Rauschgiftfahnder der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck. Fentanyl ist ein Opioid, das als Schmerzstiller in der Krebstherapie eingesetzt wird und immer öfter anstatt Heroin konsumiert wird, wie Heinzelmann festgestellt hat. Dabei kochen die Konsumenten die Fentanyl-Pflaster aus und spritzen sich den Wirkstoff intravenös. Die Gefahr: "Die Wirkung des ausgekochten Stoffes ist schwer abzuschätzen." Im Jahr 2013 gab es im Landkreis Dachau vier Drogentote zu beklagen: Sie alle sind an einer Fentanyl-Überdosis gestorben.

Ebenso besorgniserregend ist der rasante Anstieg der Crystal-Meth-Konsumenten im Landkreis. Die hoch gefährliche Droge gelangt in immer größer werdenden Mengen von den Vietnamesenmärkten an der tschechischen Grenze auch nach Oberbayern. "Der Siegeszug von Crystal setzt sich auch bei uns fort", sagt Neumeier. Während sie im Jahr 2012 bei Drobs noch überhaupt keinen Crystal-Süchtigen aufgenommen hat, zählt sie aktuell bereits davon sieben im Landkreis, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte. Eine Entwicklung, die auch Rauschgiftfahnder Heinzelmann beobachtet. Er sagt: "Die Droge hat katastrophale Auswirkungen. Im Angehörigenkreis der Süchtigen spielen sich regelrechte Dramen ab."

Nicht viel anders verhält es sich bei Konsumenten der modernen, synthetisch hergestellten Cannabinoide und Amphetamine - Substanzen, die kinderleicht über das Internet erhältlich sind. Drobs kümmert sich derzeit um 15 solcher Klienten. Besonders gefährlich, erklärt Neumeier, sei die Droge bei jungen Menschen, deren Gehirn noch nicht ausgereift ist: Denn dieses greifen die synthetischen Substanzen aggressiv an. Die Folgen: "Wir haben immer mehr Menschen, auch junge, die unter Psychosen leiden. Sie äußern sich in Verfolgungs- und Beobachtungswahn, Schizophrenie und Paranoia." Ganz abgesehen davon, dass die Substanzen zu "massiven Kreislaufproblem" führen, ergänzt Rauschgiftfahnder Heinzelmann.

Marihuana stellt indes unverändert ein Dauerproblem dar: Im Jahr 2013 zählte allein die PI Dachau 247 bekannt gewordene Straftaten in diesem Bereich, "sie machen den allergrößten Teil aller Drogendelikte aus", sagt Werner Kretz, Hauptkommissar der PI Dachau. Die Wirkung der "verharmlosten Volksdroge", sagt Rauschgiftfahnder Heinzelmann, sei mit der aus der Vergangenheit nicht mehr vergleichbar: "Die Züchtungen sind viel potenter als etwa in den Siebzigerjahren." Heinzelmann sagt, er treffe immer wieder auf junge Konsumenten, deren geistige Leistungsfähigkeit bereits stark gelitten hätte. Drobs-Vorsitzende Neumeier geht noch weiter: "Die Leute haben erhebliche Konzentrationsschwierigkeiten, Antriebslosigkeit bis hin zu schweren Psychosen." Bei Drobs würden immer öfter Kiffer vorstellig, die um Hilfe suchen, weil sie ihren Alltag nicht mehr bewältigen können. Die Zahl derjenigen, die sich bei Drobs in Behandlung begeben, liege weit über 200. "Unser jüngster Klient ist elf Jahre alt, der älteste 68", sagt Neumeier und warnt: "Insbesondere bei jungen Menschen verursacht Marihuana- Konsum irreversible Hirnschäden."

Die Dachauer Polizei versucht indes, durch Präventionsmaßnahmen wie Vorträgen an Schulen sowie durch eine rege Kontrolltätigkeit den Drogenkonsum einzudämmen.

Im Fall der zwei Angeklagten vor dem Dachauer Amtsgericht, die mit Heroin handelten, haben LKA und Kripo mehr als 8000 Telefonate und Nachrichten abgehört. Trotz der offensichtlich erdrückenden Beweislage schweigen die Angeklagten bisher. Doch der Polizei, so viel steht fest, ist ein beachtlicher Schlag gegen die Drogenkriminalität im Landkreis gelungen.

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