Dachau:Intensive Begegnung

Warum die Grafikerin Alexandra Marschall aus Dachau das Videoporträt von Agnes Jänsch in der KVD-Ausstellung im ehemaligen MD-Verwaltungsgebäude bevorzugt. Außerdem begrüßt sie die Abkehr vom Renaissancesaal des Schlosses als die richtige Entscheidung

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Alexandra Marschall hat in ihrem 40-jährigen Leben sicher mehr Kunstwerke, mehr Ausstellungen und mehr Gespräche mit Künstlern geführt als die meisten Dachauer. Denn Alexandra heißt im Mädchennamen "Eder" und ist die Tochter des weithin bekannten Malers Heinz Eder, der zur Dachaus Kunstszene gehört wie der Bleistift zu dessen Metier, dem Zeichnen. Für eine Serie hat die SZ Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gebeten, jeweils ein Werk aus der großen zentralen Ausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD) auszuwählen, das ihnen gefällt. Üblicherweise fand sie jeweils zur Volksfestzeit im Dachauer Schloss statt. Dieses Jahr entschloss sich die KVD, hinunter in das Verwaltungsgebäude der ehemaligen MD-Papierfabrik zu gehen.

Alexandra Marschall ist Grafikerin und hat ein eigenes Büro in der Dachauer Altstadt. Sie ist also von Berufs wegen mit Kunst befasst. Schon beim Anblick des grafischen Banners der KVD über dem Eingang des MD-Hauses staunt sie. Mehr noch über das Foyer, das den Charme der Fünfziger und S echziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts atmet. 30 Künstler haben 30 Räume gestaltet, um sich dem zentralen Thema "1984" zu nähern. Alexandra Marschall lässt sich Zeit, streift durch die beiden Stockwerke und findet ihr Lieblingswerk: das Videoporträt einer jungen Frau der Dachauer Künstlerin und SZ-Tassilopreisträger Agnes Jänsch.

KVD 1984

Alexandra Marschall vor ihrem Lieblingswerk.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Bis dahin hatte sie sich von Klaus Herbrichs klaustrophobischer Installation aus Holzlatten im kalten blauen Licht einstimmen lassen. Der Dachauer Künstler arbeitet ansonsten mit Steinen, aus denen er die ihnen innewohnenden Formen herausbricht. Besonders spannend fand die Grafikerin die Skulpturengruppe von Veronika Veit aus lebensgroßen Frauenfiguren, deren Rumpf auf Scheiben gesetzt ist. Alexandra Marschall war von der kühlen Ästhetik des Ensembles beeindruckt, wodurch für sie die Austauschbarkeit von Menschen in einem Überwachungssystem dargestellt wird. Ihr gefiel auch die Rauminstallation von Jette Hampe mit dem Titel "Die Bienen sind weg". Zu sehen ist ein echter Rasen in einem ungefähr zwölf Quadratmeter großen Raum, der grau ausgemalt ist. An der Wand hängt eine Collage aus Fotografien, die Wälder und Porträts zeigen, die auf eine Leinwand zerschnitten aufgenäht ist.

Aber die Wahl fällt dann doch auf das Video-Porträt von Agnes Jänsch. Alexandra Marschall sagt: "Es ist mir noch eine Stufe emotional näher." Fast vier Minuten blickt ein Frau aus dem Standbild hinaus. Nur in den wenigen Regungen des Gesichts ist überhaupt zu erkennen, dass es sich um kein gemaltes Bild handelt, sondern um ein Video. Am Ende wendet sich die Frau ab, man spürt dabei regelrecht ihre Erschöpfung.

Für Alexandra Marschall gelingt Agnes Jänsch mit diesem Werk einer der persönlichsten und spannendsten Beiträge zu dem Ausstellungsthema "1984". Denn es geht um die eigene Persönlichkeit, die es zu wahren gilt. Während einer Beobachtung. Wer kontrolliert hier wen? Alexandra Marschall sagt: "Man muss sich in einem solchen System ständig selbst beobachten und wahrnehmen." Egal ob Bewacher oder Bewachter. "Ein solches System ist enorm anstrengend. Überwachung ist etwas, das einem keine Ruhe schenkt."

KVD 1984

Agnes Jänschs "Porträt" ist eine Einkanal-Videoinstallation.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Aber das Werk geht ihrer Ansicht nach über den Inhalt hinaus. Denn ästhetisch betrachtet, fordert Agnes Jänsch den "Mut zur Ruhe in einem Medium der Bewegung." In diesem Sinne fordert die Künstlerin Agnes Jänsch den Betrachter zu einer echten Begegnung heraus, die es in der stummen Beziehung zum bewegten Bild auszuhalten gilt. Deswegen sagt Alexandra Marschall: "Dieser Beitrag hat mich am stärksten berührt."

Im übrigen empfindet sie die gesamte Ausstellung "regelrecht großstädtisch". Denn in dem MD-Gebäude sind zeitgemäße Formen der Kunst zu sehen. Sie sagt: "Es ist gut, dass die KVD raus aus dem Schloss ist."

Schlossausstellung der Künstlervereinigung Dachau im ehemaligen MD-Verwaltungsgebäude unter dem Titel "1984". Donnerstag bis Samstag, 16 bis 19 Uhr. Sonntag 12 bis 18 Uhr. Bis einschließlich Freitag, 18. September.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: