Dachau:Hürden überwinden

Einmal im Jahr nimmt der Dachauer Thomas Höbel behinderte Kinder der Johannes-Neuhäusler-Schule im Franziskuswerk Schönbrunn mit auf einen Segeltörn.

Von Bärbel Schäfer

Stolz sitzt Antonio am Ruder. Der Achtjährige strahlt übers ganze Gesicht. Jetzt ist plötzlich alle Angst in ihm verflogen. Ein großes Segelboot selber steuern - davon hätte er nie zu träumen gewagt. Auch Kapitän Kurt lächelt. Er ist sehr zufrieden mit seinem "Steuermann" auf Zeit. Die Ruhe und vor allem die Sicherheit, die Käpt'n Kurt ausstrahlt, nimmt seinen jungen Passagieren die Scheu vor dem schaukelnden Boot mit den hohen Segeln, dem Wasser, der Weite - die Furcht vor dem Unbekannten.

Acht Kinder im Alter von acht und neun Jahren der Johannes-Neuhäusler-Schule im Franziskuswerk Schönbrunn haben auf dem Ammersee einen Segelausflug unternommen. Möglich gemacht hat den ungewöhnlichen Ausflug Thomas Höbel, der im Hauptberuf Vorstandssprecher der Volksbank Raiffeisenbank Dachau ist. Er charterte in der Segelschule Dießen für die Kinder und ihre sieben Betreuerinnen und Betreuer ein schönes altes Holzboot samt Kapitän.

Eine Freude machen, Hürden überwinden, ein wenig Lebensglück an andere weitergeben. Und ein Zeichen setzen. "Unsere Gesellschaft muss sich verändern. Nur wer diese Begegnungen zulässt, kann die Inklusion in die Mitte unserer Gesellschaft tragen", sagt Thomas Höbel. Er hat vor zwei Jahren den Segelschein gemacht und ist fasziniert von diesem Sport, der einen ganz nah zu den Elementen bringt. Seine Begeisterung möchte er auch mit Menschen teilen, die von Anfang an benachteiligt sind und nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Dass das Jahresmotto in der Schule "Mit dem Wind in den Segeln der Sonne entgegen" lautet, ist ein schöner Zufall. Lehrerin Elisabeth Hallmann bezeichnet den Segeltörn als "krönenden Abschluss" des Schuljahres.

"Normalerweise haben wir für so aufwendige Ausflüge kein Budget übrig." Die Kinder der Johannes-Neuhäusler-Schule haben eine geistige und zusätzlich oft auch noch eine leichte körperliche Behinderung. Im Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung werden die Schülerinnen und Schüler betreut mit dem Ziel, sie zu einer möglichst selbstbestimmten und selbständigen Lebensbewältigung, Lebensgestaltung und Lebenserfüllung zu führen. Das Segeln hilft dabei, denn es führt zu einer Steigerung des Selbstbewusstseins, der Selbstsicherheit und der Zufriedenheit; Eigenschaften, die es zu bestärken gilt.

Der Segelausflug ist aber zunächst ein großes Abenteuer für die Kinder der Johannes-Neuhäusler-Schule im Schönbrunner Franziskuswerk. Deshalb stehen beim Anlegen der Schwimmwesten im Bootshaus noch jede Menge Fragen auf den noch verunsicherten Gesichtern. Als Betreuerin Elisabeth Hallmann ihren Schützlingen erklärt, was sie an Bord des Holzbootes gleich erwarten wird, hellen sich die Mienen auf und die Vorfreude ist deutlich zu spüren. Auf dem 70 Jahre alten Holzboot, mit dem Wind um die Nase und dem glitzernden Wasser vor dem Bug, tauen die Kinder auf. Erobern sich Schritt für Schritt eine neue, unbekannte Welt. Kapitän Kurt erklärt in ein paar Sätzen die Grundzüge des Segelns, dann darf jeder einmal ans Ruder, sogar selbständig eine Wende fahren. Nur Leander traut sich nicht, das Ruder anzufassen. Erst auf die Bitte, es für ein Foto für seine Mama zu versuchen, überwindet er seine Scheu. Und strahlt dann über das Gesicht. Geschafft; aus eigener Kraft eine Grenze überwunden. Der neunjährige Ahmed ist besonders mutig. Er lässt seinen Oberkörper über die Bootswand hängen, streckt sich noch ein bisschen mehr und schafft es, kopfüber die Wasseroberfläche zu berühren. Eine Betreuerin hält ihn am Hosenbund fest. Antonio lacht, als seine Haare nass sind.

Als ein anderes Segelboot vorbei fährt, winken die Kinder aus Schönbrunn fröhlich hinüber. Das Mädchen auf dem Boot winkt zurück. Es ist ein Geben und Nehmen an diesem wunderschönen Nachmittag. Nachdem die Brotzeitboxen längst geleert sind, lädt Thomas Höbel die Kinder und ihre Betreuer noch zum Eisessen ein. Elisabeth Hallmann ist mindestens so glücklich wie ihre Schüler: "Wir alle haben die schöne Zeit sehr genossen. Die Kinder sind an den neuen Eindrücken und Erfahrungen gewachsen", davon ist sie ganz fest überzeugt.

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