Dachau:Hilflos, ratlos

Die städtischen Horte in Dachau lehnen ein zuckerkrankes siebenjähriges Mädchen ab, weil sie sich angeblich überfordert fühlen. Dabei ist die Mutter alleinerziehend und auf die Betreuung ihres Schulkinds angewiesen

Von Petra Schafflik, Dachau

Natürlich war es für Familie Maier (Namen geändert) ein Schock, als bei Tochter Jana im Februar Diabetes Typ 1 diagnostiziert wurde. Aber schon nach einem gut zweiwöchigen Klinikaufenthalt war das siebenjährige Mädchen medizinisch gut eingestellt, konnte sich selbst die notwendige Insulindosis spritzen und mit ihrer chronischen Erkrankung umgehen. Einer Rückkehr in Schule und Hort sollte nichts im Weg stehen, hoffte Mutter Ina Maier, die ihre Tochter allein erzieht und deshalb auf die nachmittägliche Betreuung angewiesen ist. Doch während in der Schule alles glatt lief, kündigte der städtische Hort nach einigen Wochen den Betreuungsvertrag. Nun kümmert sich nach Schulschluss eine Tagesmutter um das Mädchen. Doch die Siebenjährige fühlt sich dort nicht recht wohl, "den ganzen Nachmittag nur unter Babys". Mutter Ina Maier, die bisher den Lebensunterhalt für ihre kleine Familie stets selbst verdient hat, ist ratlos. "Sollen wir wegen Diabetes zum Sozialfall werden?"

Die Erkrankung der Tochter hat den Alltag von Familie Maier natürlich verändert. Doch inzwischen hat sich vieles eingespielt. Mahlzeiten kalkulieren, Insulinmenge berechnen, die richtige Dosis spritzen, an Zwischenmahlzeiten denken, "das haben wir im Griff", sagt Ina Maier. "Aber dass es so viele Probleme gibt mit der Betreuung, hätte ich nicht gedacht." In der Schule habe die Diagnose keine großen Fragen aufgeworfen, "Jana ist dort nicht die erste Schülerin mit Diabetes". Bei einer Gesprächsrunde in der Klasse wurden die Mitschüler informiert, seitdem ist Jana wieder eine ganz normale Zweitklässlerin. "Chronisch kranke Kinder sind normale Schüler in der Regelschule, das funktioniert und wird von den Schulleitungen gut gemanagt", erklärt dazu Schulamtsleiterin Isolde Stefanski auf SZ-Anfrage.

Nicht selbstverständlich läuft dagegen die Betreuung chronisch kranker Kinder in Kitas. Jana jedenfalls musste nach einigen "Probewochen" ihren vertrauten Hort verlassen. Dabei hatten die betreuenden Ärzte im Münchner Klinikum Dritter Orden die Sache optimistisch gesehen. "In vielen Landkreisen scheint das kein Problem zu sein", hat Ina Maier dort erfahren. Weil sie aber in Sorge war, ob es wirklich klappen werde, wurde für die medizinische Versorgung von Jana in der Kita zusätzlich ein Pflegedienst verordnet.

Täglich kamen fachkundige Pflegekräfte mittags in die Einrichtung, um das Mittagessen abzuwiegen, die korrekte Insulindosis zu kalkulieren und die Injektion zu überwachen. Auch eine Weiterbildung für die Erzieher hatte die Klinik sofort angeboten. Dennoch fühlten sich die Hort-Mitarbeiterinnen überfordert, erklärt Josef Hermann, als Hauptamtsleiter zuständig für die städtischen Betreuungseinrichtungen. "Das Personal sah sich nicht in der Lage, das Kind in einem Notfall schnell und angemessen zu versorgen." Im Hort hätten Mädchen und Jungen anders als beispielsweise im Kindergarten einen großen selbständigen Aktionsradius. Daher könne Jana von den Erzieherinnen nicht engmaschig genug überwacht werden, erläutert Hermann die Bedenken. Auch ein weiterer städtischer Hort in Schulnähe habe deshalb die Betreuung abgelehnt.

Diabetes 1

Der Diabetes mellitus Typ 1 ist die häufigste Diabetesform im Jugendalter. Er trifft meist in der frühen Kindheit oder Adoleszenz auf und ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr produziert. Die Ursache der Erkrankung liegt in einer autoimmunologisch bedingten Zerstörung der sogenannten Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse. Die typischen Symptome sind ausgeprägte Müdigkeit, ungewollter Gewichtsverlust und starkes Durstgefühl sowie der Drang, häufig auf die Toilette zu müssen. asl

Weil die Kündigung der Betreuung recht spät kam, hatte Mutter Ina Maier keine Chance, ihr Kind anderswo unterzubringen. Zumal Hortplätze in der Stadt grundsätzlich Mangelware und alle Einrichtungen voll belegt sind. Mit der Tagesmutter, die sich nun nachmittags um Jana kümmert, sei eine gute Lösung gefunden, betont Hermann. Auch Ina Maier ist froh, dass ihre Tochter nach Schulschluss nicht auf der Straße steht. Doch ideal sei das Konzept auf längere Sicht nicht. Statt wie bisher selbständig mit ihren Mitschülern zum benachbarten Hort zu gehen, wird die Siebenjährige von einem speziellen Fahrdienst zur Tagesmutter transportiert. Auch dort kümmert sich dann der Pflegedienst um die medizinische Versorgung rund ums Mittagessen.

Doch das Mädchen erlebt den Ausschluss aus ihrem vertrauten Hort als Ausgrenzung. Weil die Tagesmutter auch mehrere Kleinkinder betreut, fühlt sich die Schülerin dort nicht wohl. In den Herbstferien konnte das Mädchen ausnahmsweise zurück in "ihren" Hort, weil die Tagesmutter erkrankt war. Dort sind viele ihrer Schulfreunde, dorthin ginge sie gerne jeden Tag. Doch wie es nun weitergeht, ist offen. Ina Maier will nicht zu laut klagen. Sie ist froh über die Unterstützung, die sie erlebt. Und versteht, dass es bei Kita-Mitarbeiterinnen Ängste und Vorbehalte gibt beim Stichwort Diabetes. "Aber Information und Aufklärung könnten helfen", ist die engagierte Mutter überzeugt.

Denn ihrer Wissens steigt die Zahl der Kinder mit Diabetes 1. Die Gründe seien in vielen Fällen nicht bekannt. Umso mehr hält sie es für erforderlich, dass Schulen und Kindertagesstätten sich auf diese Entwicklung einstellen, um auch angemessen reagieren zu können. "Deswegen", sagt sie, "bin ich mit meinem Fall an die Öffentlichkeit gegangen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: