Protest in der Mittagspause:Hilferuf der Pflegekräfte

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Beschäftigte am Helios-Klinikum in Dachau beteiligen sich am bundesweiten Verdi-Protest für bessere Arbeitsverträge, weil sie sich durch die Geschäftsführung einer permanenten Überlastung ausgesetzt sehen

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Thomas Günnel, Pflegeleiter der Nothilfe am Helios-Klinikum in Dachau, könnte sich zurücklehnen und den Protest seiner Kollegen am Dienstagmittag gegen die ihrer Ansicht unzumutbaren Arbeitsbedingungen lässig zur Kenntnis nehmen. Denn er sagt: "Ich kann nicht klagen. Die Nothilfe ist ausreichend personell besetzt. Wir sind relativ gut aufgestellt." Allerdings ist Günnel Mitglied im Betriebsrat und hat die Demonstration in Dachau organisiert, die Teil einer bundesweiten Aktion der Gewerkschaft Verdi für bessere Arbeitsverträge an deutschen Kliniken ist. Er erzählt davon, was er die vergangenen Tage bei Besuchen in den Stationen des Krankenhauses erlebt habe und zeigt sich erschüttert "über vor Erschöpfung weinende Pflegekräfte". Erst am Montag sei er wieder unterwegs gewesen im Haus, um Flugblätter zu verteilen. Er sagt: "Egal wo ich hingekommen bin: Die Leute sind verzweifelt."

Thomas Günnel war früher als Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Amper-Klinikum-AG tätig. Damals gehörte die Aktiengesellschaft mehrheitlich der Rhönklinikum AG und zu 5,1 Prozent dem Landkreis Dachau. Vor drei Jahren übernahm der Helios-Konzern in Berlin die Mehrheitsanteile. Insofern müsste Günnel überblicken können, wie sich die Qualität der Pflege in den vergangenen zehn bis 15 Jahren entwickelt hat. Außerdem fällt nach dem Ausstieg aus dem Aufsichtsrat seine Schweigepflicht weg.

Seiner Ansicht nach sind "zwei Drittel aller Probleme" am Klinikum Dachau schon während der Rhönzeit entstanden. Dazu zählt er die extreme Belastung der Pflegekräfte, hervorgerufen durch viel zu wenig Personal. Außerdem fehle eine Art mobiler Reserve, die bei Engpässen einspringen kann. Ganz zu schweigen von verbindlich fixierten Arbeitszeiten. Er kritisiert: "Die Personalausstattung ist so dürftig, dass viele Beschäftigte auf ihre Pausen verzichten müssen, um die Patienten pflegen und versorgen zu können." Für das restliche Drittel, das zur Verzweiflung in der Belegschaft führt, sei der Helios-Konzern direkt verantwortlich: "Es ist die mangelnde Wertschätzung." Der Druck, der auf den Mitarbeitern laste, erfüllt für Günnel den Tatbestand der "Nötigung".

Betriebsratsvorsitzender Claus-Dieter Möbs, der in wenigen Wochen mit 66 Jahren in Rente geht, attackiert direkt die Pflegedienstleitung. Ihr mangle es an Gespür für die Mitarbeiter. Sie poche auf das Credo des gesamten Helios-Konzerns, wonach "nicht die Anzahl des Personals, sondern die optimale Organisation entscheidend ist". Rein numerisch betrachtet, schaffe es Helios tatsächlich, die Stationen ausreichend zu besetzen. Vorausgesetzt: "Man zählt nur Köpfe." Vorausgesetzt, dass eine ausreichende Besetzung einer Schicht bereits dann vorhanden ist, wenn Krankenpflegeschüler und zusätzliche Helfer im Servicebereich als vollwertige Mitglieder gezählt werden. Vorausgesetzt, dass die für Möbs entscheidende Frage erst gar nicht gestellt werde: "Wie kann ich den Arbeitsalltag so gestalten, dass jede ausgebildete Pflegekraft eine menschenwürdige und qualitativ hochwertige Versorgung gewährleisten kann." Die selbstredende Antwort und gleichzeitig der massive Vorwurf von Möbs an die Helios-Geschäftsführung lautet: "Sie kann es nicht."

Die Streikorganisatoren: Christian Reischl (rechts) von Verdi in München und Thomas Günnel, Mitglied des Betriebsrats im Helios-Klinikum. (Foto: Toni Heigl)

Im Herbst vergangenen Jahres schwappte eine Welle der Kritik in den so genannten sozialen Medien wie Facebook oder im Dachauer Ratsch wegen mangelnder Sauberkeit und fehlenden Services über das Helios-Klinikum hinweg. Sie ist abgeebbt. Möbs sagt: "Die Trittbrettfahrer haben sich ausgetobt." Geblieben seien die "echten Probleme" in der Pflege, die einer Lösung harren. Deshalb interessiert ihn der "Sieben-Punkte-Plan" der Helios-Geschäftsführung für mehr Sauberkeit und Service nicht. Außerdem seien die Pflegekräfte mit der Reinigung immer noch sehr unzufrieden. Vielmehr müsse endlich darüber gesprochen werden, dass allein im Januar eine Station sich 122 Mal beim Betriebsrat gemeldet habe, weil sie die gesetzlich vorgeschriebene Pause von einer halben Stunde täglich pro Mitarbeiter nicht habe einhalten können. Er fordert, die Aufnahme der Patienten zu beschränken und Stationen zu schließen, um eine bessere Pflege im ganzen Haus zu gewährleisten.

Diese Not der Pflegekräfte müsse der Kreistag endlich zur Kenntnis nehmen. Immerhin ist er Anteilseigner. Deshalb begrüßt Möbs auch die öffentliche Unterstützung des Pausenstreiks in Dachau durch Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) und die Grünen-Sprecherin im Kreistag, Marese Hoffmann. Verdi-Vertreter Christian Reischl aus München teilte mit, Landrat Stefan Löwl (CSU) habe es abgelehnt, sich an dem Appell zu beteiligen. Er habe seine Zurückhaltung mit seiner Position im Aufsichtsrat des Helios-Klinikums begründet.

OB Hartmann sagt der SZ: "Dieser Appell ist mir ein wichtiges Anliegen. Wenn man weiß, wie es in Dachau und vermutlich auch an allen anderen Kliniken zugeht, was für ein Notstand dort herrscht, dann ist das schon bedenklich." Landrat Löwl sieht sich durch Verdi unzureichend zitiert. Er habe darauf hingewiesen, dass er sich als Politiker nicht in Tarifverhandlungen einmische und die Tarifautonomie als "hohes Gut" betrachte. Er habe hinzugefügt, dass er "an attraktiven Arbeitsplätzen und zufriedenen Mitarbeitern ein hohes Interesse" habe.

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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