KVD-Galerie:Helden und Hasen

KVD-Galerie: Zeichen der Vergänglichkeit inmitten bunter Farbigkeit.

Zeichen der Vergänglichkeit inmitten bunter Farbigkeit.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Münchner Malerin Florentine Kotter präsentiert in der KVD-Galerie akribisch gemalte Figurenbilder. Eine Wurzel ihrer Kunst ist der Magische Realismus.

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Zunächst steckt eine ungeheure Fleißarbeit in Florentine Kotters Gemälden. Die Münchner Malerin präsentiert detailverliebte, akribisch gemalte Figurenbilder, die sich neben Perspektive, Plastizität und Stofflichkeit auch mit Raumbezügen und der Verdichtung der Figuren und Gegenstände im Raum beschäftigen. Dazu gesellt sich eine ausgewogene Farbigkeit. Das ist es, was neben der Größe der Bilder zunächst ins Auge fällt. "Bild für Bild" - so der Titel der Ausstellung in der Galerie der KVD - kann man nun als Bezeichnung des Entstehungsprozesses interpretieren, als Rundgang von einem Bild zum nächsten oder aber als visuelle Addition der einzelnen Bestandteile einer jeden Arbeit zu einer vollständigen, interpretierbaren Geschichte. Andreas Kühne, Kunstgeschichtsprofessor an der Akademie der Bildenden Künste in München, zitierte den Maler George Bellows, der sagte, er sei amüsiert über Künstler, die beklagen, dass es keine Themen für Malerei gebe. Bei Florentine Kotter sei das ganz anders. Bellows war zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der Hauptvertreter des amerikanischen Realismus mit einer überscharfen und wirklichkeitsnahen Malerei. Die Wurzeln der Kunst von Florentine Kotter sind, was die Technik anlangt, dort zu suchen, aber auch in der Neuen Sachlichkeit und im Magischen Realismus der 1920er- und 1930er-Jahre. Das Bild mit dem ramponierten Hocker verweist deutlich darauf und auch die Unterwasserwelt mit dem Dschungel aus bunt schillernden Schwämmen und Flechten. Es erinnert an Henri Rousseau, den Wegbereiter des französischen Surrealismus. Die Tulpen an die Neue Sachlichkeit von Alexander Kanoldt.

In dem großen grauen Bild mit dem Titel "Palast der Vergangenheit" zitiert Florentine Kotter berühmte Werke der Bildhauerei aus verschiedenen Jahrhunderten von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Die Skulpturen vereinen sich auf einer überlebensgroßen Bühne zu einer illustren, aber sonderbaren Gesellschaft. Sie haben eine fast fleischliche Körperlichkeit, plastische Modellierung aus Licht und Schatten und ein bezwingendes Pathos. Sie verschränken und erschließen den Raum, präsentieren sich in kühnen Perspektiven, agieren theatralisch und wirken dennoch sonderbar leblos und voneinander isoliert. Der muskelbepackte Herkules Farnese, unbezwingbarer Held, in einer fast aufdringlichen Präsenz, die auf dem Panther reitende Ariadne in eleganter Erotik, der furchtlose Theseus im Kampf mit dem sich wild gebärdenden Kentauren, die vor Nächstenliebe strahlende Caritas vom Grabmal Kardinal Mazarins, die kühle Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes aus der Renaissance von Conrat Meit und Berninis barocke Theresa von Avila in der sinnlich entrückten Verzückung ihrer Vision. Öffentliche Kunst von Weltrang aus mehreren Jahrhunderten, die große Gefühle und Leidenschaft sowie politische und religiöse Aussagen zum Ausdruck bringt und dem Betrachter Bewunderung, Staunen und Ehrfurcht abringt. So wird das Panorama der Helden und Antihelden zu einem sehr schön gemalten, aber braven Zitat aus der Kunstgeschichte.

Erst durch die Gegenüberstellung mit zwei weiteren Bildern bekommt es eine andere Dimension und Bedeutung. Auf der gegenüberliegenden Wand stellt Florentine Kotter dieser hehren Gesellschaft in zwei Arbeiten das banale Szenario eines privaten Wandregals gegenüber. Einmal das Sammelsurium von Gegenständen auf dem Kaminsims einer Studenten-WG in England, ein anderes Mal das mit Fundstücken vollgepackte Wandregal in der Wohnung der Künstlerin. "Fuchs und Hase" ist diese Arbeit betitelt, die Andreas Kühne als "Fallenbild" bezeichnete. Er meint damit die eingefrorene Momentaufnahme einer abgeschlossenen Realität. Wobei auch dieses Bild seltsam irreal wirkt mit dem Sammelsurium an Figürchen, Döschen, Handspielpuppen, Kasperle und Teufel, Korallenästchen, Madonnen und anderen Devotionalien sowie spielzeugkleinen Gegenständen. Alles eng und extrem verdichtet, in einem undurchschaubaren Neben- und Hintereinander, entfaltet sich ein verwirrendes und immer wieder neu zuentdeckendes Panoptikum. Viele Figürchen sind beschädigt, manche haben durch den fratzenartigen Ausdruck eine fast diabolische Wirkung. Man sucht unter den vielen Hasen den Fuchs. Er versteckt sich im obersten Regalbrett in der niedlichen rundlichen Figur eines Comic-Fuchses. Mit diesem Bild setzt Florentine Kotter dem Pathos der musealen Kunstwerke, trotz ihrer Leidenschaft allesamt blutleer, eine private Sammlung gegenüber, die wesentlich lebendiger wirkt. Zwangsläufig stellt sie die Frage nach dem, was emotional bedeutender und berührender ist. Das Schöne, aber Unnahbare, oder das Unvollkommene und Greifbare. "Mir gefällt das Brüchige", sagt die Malerin.

Die Ausstellung dauert bis 19. Juli.

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