Amtsgericht Dachau:Haftstrafe wegen 3,60 Euro

Ein 52-Jähriger stiehlt Bier in einem Discounter und verletzt eine Verkäuferin am Ohr. Der Fall erweist sich als komplizierter als gedacht.

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Die Aussage des Angeklagten vor dem Amtsgericht ist ein Traum für jeden Dialektforscher. "Des hätt' i vor." Was nun? Will er versuchen, vom Alkohol wegzukommen? Hatte er es sogar schon versucht? Oder eröffnet ihm die Spitzfindigkeit des bairischen Dialekts die Option auf eine verneinende Bejahung. Deshalb hakte Richter Christian Calame nach: "Haben Sie es vorgehabt?" - "Bis jetzt no net."

Der Irrealis passt zum ganzen Leben des 52-jährigen Mannes aus dem Landkreis. Wäre er nicht ständig betrunken, hätte er einen Beruf; dann wäre er nicht andauernd arbeitslos und hätte nicht im Netto-Markt von Markt Indersdorf neun Halbe Bier für 3,60 Euro stehlen müssen. Dann stünde er nicht vor Gericht wegen des Verdachts des räuberischen Diebstahls und müsste am Dienstagnachmittag nicht damit rechnen, zu einer langen Haftstrafe verurteilt zu werden.

Am 28. März 2015 gegen 18.30 Uhr wurde der Angeklagte von einer Verkäuferin überrascht, die den Diebstahl bemerkte. Während der Verfolgung schlug der Mann die 27-jährige Frau mit der Hand auf das linke Ohr. Das Helios-Amperklinikum Dachau diagnostizierte massive Verletzungen im Innenohr, die zur teilweisen Berufsunfähigkeit führten.

Einfacher Diebstahl oder Raub?

Die für das Gericht entscheidende Frage lautete nun: Hatte der Mann die Frau geschlagen, um das Diebesgut in einer Plastiktüte zu sichern? Dann wäre er wegen räuberischen Diebstahls zu verurteilen und bekäme eine hohe Strafe. Oder resultierte der Schlag aus dem Versuch heraus, eine Durchsuchung seines Rucksacks zu verhindern, den er mit sich führte? In dem Fall könnte es das Gericht bei einer Körperverletzung mit Diebstahl belassen.

Die zahlreichen Zeugenaussagen stimmten die Staatsanwaltschaft auf die zweite, mildere Variante ein. Der Richter übernahm die Empfehlung von acht Monaten Freiheitsstrafe. Allerdings ohne Bewährung. Denn er glaubte dem Angeklagten nicht, dass er sein Leben und den Alkohol in Griff bekommen könnte. Der 53-Jährige hatte in kurzer Zeit neun Betrugsdelikte gegen die Hartz-4-Behörde gesammelt und war deshalb auf Bewährung verurteilt worden. Seitdem versuchte er noch zweimal, sich Sozialleistungen zu erschleichen. Der Verteidiger stand mit der Zusicherung alleine, dass sein Mandant ernsthaft versuchen könnte, vom Alkohol wegzukommen. Wie sagte der Angeklagte doch? "Herr Richter, ich trinke nur Bier."

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