Dachau:Grenzen in der Praxis

Es ist noch ein langer Weg zur gleichberechtigten Teilhabe behinderter Kinder. Das zeigte eine Podiumsdiskussion des Förderkreises Sankt Hildegard mit hochrangigen Politikern.

Petra Schafflik

Ein Mädchen, das auf den Rollstuhl angewiesen ist, besucht unterstützt von einem Schulbegleiter die Grundschule Augustenfeld. Aber ein Schüler mit starker Sehbehinderung ist nach eineinhalb Jahren doch in ein spezielles Förderzentrum gewechselt. "Uns fehlte es an der Ausstattung und den nötigen Mitteln", sagt Rektorin Helga Schiller. Diese Erfahrungen mit der Inklusion behinderter Schüler schilderte die Schulleiterin bei der Podiumsdiskussion zum Thema Inklusion, zu der die im Förderkreis Kindergarten Sankt Hildegard engagierten Eltern am Montag ins Pfarrheim Heilig Kreuz eingeladen haben. Und das Beispiel zeigt deutlich: Noch stößt das Bemühen, Kinder mit Handicap an öffentlichen Schulen adäquat zu unterrichten, in der Praxis an Grenzen.

Dachau: Der SPD-Abgeordnete Martin Güll (links) will bei der Inklusion aufs Tempo drücken, CSU-Parlamentarier Bernhard Seidenath (Mitte) sieht Kitas bereits auf einem guten Weg und Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) plädiert für Geduld: "Von Null auf Hundert, das war noch nie gut."

Der SPD-Abgeordnete Martin Güll (links) will bei der Inklusion aufs Tempo drücken, CSU-Parlamentarier Bernhard Seidenath (Mitte) sieht Kitas bereits auf einem guten Weg und Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) plädiert für Geduld: "Von Null auf Hundert, das war noch nie gut."

(Foto: © joergensen.com)

Wie aber kann Inklusion an Regelschulen und in Kitas erfolgreich gelingen? Welche Auswirkungen hat Inklusion auf die Sondereinrichtungen? Darüber debattierten auf dem Podium Bezirkstagspräsident Josef Mederer und die Landtagsabgeordneten Martin Güll (SPD) und Bernhard Seidenath (CSU). Die engagierte Diskussion, die SZ-Redakteur Walter Gierlich moderierte, verfolgten gut 60 Zuhörer, darunter Pädagogen aus mehreren Kitas und Vertreter einiger Dachauer Schulen. Hintergrund der Debatte ist die auch in Deutschland als Gesetz verabschiedete UN-Konvention, die Behinderten unter dem Stichwort Inklusion eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zusichert.

In den Kitas habe sich "schon sehr viel getan", betonte der CSU-Abgeordnete Bernhard Seidenath. Viel schwieriger werde sich Inklusion an den Schulen realisieren lassen. "Das wird eine Herkulesaufgabe", so der SPD-Abgeordnete Martin Güll. Doch während Güll aufs Tempo drücken möchte, plädiert Bezirkstagspräsident Josef Mederer für Geduld. "Von Null auf Hundert, das war noch nie gut." Der Wandel in den Köpfen der Menschen brauche Zeit. Doch das geht nicht allen Bürgern schnell genug. Im Landkreis finde sich leider keine der jetzt vom Ministerium benannten 40 Inklusionsgrundschulen Bayerns, monierte Besucher Ludger Verweyen.

Inklusion setzt die notwendige Qualifikation von Erziehern und Lehrern voraus. "Eine Fortbildungsoffensive starten und parallel die Ressource der Förderschulen nutzen" will Martin Güll. Woher sollen aber angesichts des akuten Fachkräftemangels in den Kitas zusätzliche Pädagogen kommen? Durch bessere Bezahlung, erklärt Bernhard Seidenath.

Dass dieser grundlegende Wandel im Bildungswesen Geld kostet, sei den politisch Verantwortlichen bewusst, betonte ausdrücklich der Bezirkstagspräsident. "Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Was notwendig ist, muss bezahlt werden." Offen ist, ob sich die Struktur der Bildungslandschaft verändern wird. Werden neben den allgemeinbildenden Schulen, die mehr und mehr auch behinderte Kinder aufnehmen und dafür auch ausgestattet werden müssen, die spezialisierten Förderzentren erhalten bleiben?

Eine Lanze brechen für die Doppelstruktur", will der CSU-Abgeordnete. Nur so bleibe den Eltern ein echtes Wahlrecht. Auch der Bezirk halte an den Förderschulen fest, so Josef Mederer. Zumal nicht für jedes Kind mit Handicap die Regelschule der ideale Weg ist, wie Peter Rehm, Vater einer schwerbehinderten Tochter, erklärte. "Bei dem Leistungsdruck ist Frustration vorprogrammiert." Genau deshalb werden sich aber auch Fördereinrichtungen verändern müssen, erläuterte Markus Tolksdorf, Geschäftsführer des Franziskuswerk Schönbrunn. Denn auch behinderte Kinder in Förderzentren "haben ein Recht auf Inklusion". Schönbrunn will sich öffnen, etwa für reguläre Kindergartengruppen, "damit auch hier gesellschaftliches Leben stattfindet".

Der SPD-Landtagsabgeordnete Güll fordert ein völliges Umdenken: Weg von der Diagnose der Behinderung hin zum ganzheitlichen System, wo Menschen mit und ohne Handicap gemeinsam eine Einrichtung besuchen, die eigenverantwortlich die notwendige Förderung für jedes Kind festlegt. Was individuell erforderlich sei, "weiß niemand besser als die Leute vor Ort". Dieses systemübergreifende Konzept bezeichnete Mederer als "Vision". Einen ersten Schritt in diese Richtung, nämlich die engere Zusammenarbeit der Bildungseinrichtungen vor Ort, sehen aber auch Überlegungen der Regierung vor, wie Bernhard Seidenath ankündigte. Auf der Basis gemeinsamer Leitlinien sollen sich lokale Bildungsnetzwerke bilden und regionale Konzepte entwickeln.

Vorhandenes Potential nutzen und nicht ein Konzept für ganz Bayern", lobte Irene Berner, Leiterin der Caritas- Frühförderstelle diese Idee. Die geplante Vernetzung sei ein guter Anfang, sagte auch Ulrich Grandtner-Kohler vom Förderkreis Sankt Hildegard. Wie sich daraus eine solide Struktur entwickelt, das will der Förderkreis Sankt Hildegard auch künftig mit Veranstaltungen zum Thema Inklusion öffentlich begleiten.

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