Dachau:Frappierende Fröhlichkeit

Dachau: Der italienische Komponist Francesco Lotoro bringt die Lieder, die im KZ entstanden sind, nach Dachau.

Der italienische Komponist Francesco Lotoro bringt die Lieder, die im KZ entstanden sind, nach Dachau.

(Foto: Toni Heigl)

Wie Häftlinge den Terror im KZ mit selbstkomponierten Liedern überlebten, zeigt ein musikalischer Abend im Kloster Karmel

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Über das unerträgliche Leben im KZ mit seinen unmenschlichen Quälereien wurde und wird unendlich viel geredet und geschrieben. Trotzdem kann man sich wohl bis heute kein rechtes Bild davon machen. Rätselhaft ist vor allem die Rolle der Musik im KZ. Das Amt für Kultur, Tourismus und Zeitgeschichte der Stadt Dachau hat jetzt mit einem Abend im Kloster Karmel Heilig Blut "Geistliche Musik aus dem KZ Dachau und anderen Lagern" vorgestellt. Initiator und musikalischer Leiter dieses Abends war der italienische Pianist, Komponist und Musikologe Francesco Lotoro, der als der größte Sammler von musikalischen Kompositionen aus Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern sowie Militärgefängnissen mehr als 8000 Werke ausfindig machen konnte. Nach Dachau brachte er vor allem - aber nicht nur - Werke mit, die im KZ Dachau entstanden sind. Es handelt sich in erster Linie um liturgische Gebrauchsmusik.

So hat der österreichische Pfarrer Josef Moosbauer, der im KZ Dachau einen Priesterchor leitete und in der Kapelle im "Pfarrerblock" die Orgel spielte, Kirchenlieder mit einer Orgelbegleitung versehen und auch geistliche Männerchöre geschrieben. Männer der Chorgemeinschaft Dachau und der Liedertafel Dachau hatten einen kleinen Männerchor gebildet und sangen, von Francesco Lotoro intensiv dirigiert, die überwiegend einstimmigen deutschen Kirchenlieder wie auch die als vierstimmigen Männerchor komponierten lateinischen Sätze zur bemerkenswerten Orgelbegleitung von Francesco Di Lernia. Auf dieser kompositorischen Ebene bewegen sich auch die meist sehr kurzen lateinischen Stücke für Bariton und Orgel, die der italienische Notar Pietro Feletti im Emslandlager Fuller geschrieben hat. Der italienische Bariton Angelo De Leonardis sang sie mit mächtiger Stimme.

Das Erstaunliche an all diesen Liedern, auch an dem bedeutenderen "Hymnus Dachovensis" von Pater Gregor Schwake OSB und dem Männerchor mit Orgel "Priesterkameraden in Dachau" des österreichischen Jesuitenpaters Johannes Maria Lenz, ist die Fröhlichkeit und Zuversicht, die sie ausstrahlen. Von Angst, Not, Leid oder gar Verzweiflung ist in dieser Musik absolut nichts zu spüren. Besonders aufhorchen ließ die Instrumentalmusik dieses Abends. Vladimir Lakatos (Violine) und Walter Brachtel (Violoncello) spielten zur Orgel drei sehr schöne melodische Stücke des französischen Komponisten Max de Foucaud, die dieser in deutscher Kriegsgefangenschaft komponiert hat, und zuletzt das wohl noch im KZ Dachau entstandene "Ostertrio", das Pater Gregor Schwake über das mittelalterliche Kirchenlied "Christ ist erstanden" geschrieben hat. Wie konnte dieses für die Violine stellenweise sogar virtuose Stück im KZ entstehen?

Das Rätselhafte der Musik im KZ wurde vor allem im Programmheft angesprochen: "Musik gehörte von Anfang an zum Lageralltag in den Konzentrationslagern. Die Täter missbrauchten sie gezielt als Entwürdigungs-, Disziplinierungs- und Terrorinstrument. So wurden die Inhaftierten fast täglich mit Musik auf Befehl der SS konfrontiert, mit Zwangssingen, aber auch Musikübertragungen aus Lautsprechern oder in offiziellen Musikensembles. Für die Opfer stellte selbstkomponierte Musik dagegen ein solidarisierendes Zeichen geistig-kulturellen Widerstands und psychisch-künstlerischen Überlebens dar." Wie soll man sich das im einzelnen konkret vorstellen? Der am 71. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau veranstaltete Abend sollte Anstoß für eine umfassende und detaillierte Antwort auf die offenen Fragen werden.

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