Trauer um Max Mannheimer:"Es ist ein sehr tiefer Einschnitt"

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Landkreis und Stadt Dachau trauern um Max Mannheimer, ohne ihn wäre die Aufarbeitung des Holocausts in Dachau niemals so gelungen.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Ein Sonntagvormittag mit strahlend blauem Himmel, eine S-Bahn voller schwatzender Jugendlicher hält in Dachau, darunter viele Amerikaner, sie tragen zerrissene Jeans, schulterfreie Blusen. In großen Gruppen machen sie sich auf den Weg zur KZ-Gedenkstätte. Viele wissen noch nicht, dass seit Freitag einer der wichtigsten, aus Dachauer Sicht wohl der bedeutendste, Holocaust-Zeitzeuge fehlt: Max Mannheimer, der vielen gerade wegen seines besonderen Zugangs zu den jungen Menschen in Erinnerung bleibt. Ohne ihn wäre Dachau nicht zu dem Lern- und Erinnerungsort geworden, als der sich die Stadt heute präsentieren kann.

"Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ohne ihn gehen soll", sagt Björn Mensing. Der Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte ist einer von jenen, die Mannheimer schon als Jugendlicher tief beeindruckt hat. Mensing lernte ihn 1989 auf einer israelisch-deutschen Jugendbegegnung in Dachau kennen. Damals war das noch ein Zeltlager, das Jugendgästehaus wurde gegen allerlei Widerstände erst 1998 eröffnet. Später, 2005, sprach Mannheimer im Einführungsgottesdienst für Mensing. "Diese Verbundenheit, die er uns entgegen gebracht hat", habe ihn stets tief beeindruckt: "Das war alles andere als selbstverständlich."

Dass Max Mannheimer 2011 Ehrenbürger der Stadt Dachau wurde, habe ihn sehr gefreut, sagt der frühere, jahrzehntelange Landrat Hansjörg Christmann (CSU). "Aber noch mehr hat es mich gefreut, dass er die Würdigung angenommen hat." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die auf Einladung Mannheimers 2013 die Gedenkstätte besuchte, und Bundespräsident Joachim Gauck haben den am Freitag im Alter von 96 Jahren Verstorbenen gewürdigt. Doch, wie Christmann sagt, "besonders für Stadt und Landkreis Dachau ist sein Tod ein sehr tiefer Einschnitt". Er werde ihm nie vergessen "wie offen und positiv er sich zu uns stellte".

Mannheimers Toleranz war es, welche die besondere Freundschaft mit Schwester Elija Boßler vom Kloster Karmel Heilig Blut in Dachau erst möglich machte. Doch er habe diese Offenheit nach dem Krieg erst lernen müssen, berichtet die Nonne, die ihn Anfang der Neunzigerjahre näher kennenlernte. Sie behält Max Mannheimer als "unheimlich kontaktbegabten und sehr wissenden Menschen" in Erinnerung. Sie zählt die Sprachen auf, in denen sich Mannheimer verständigen konnte, von Tschechisch, das er, mit deutscher Muttersprache aufgewachsen, als Bub in der Schule sprach, über Polnisch und Kroatisch bis hin zu Sprachen wie Italienisch oder Französisch, in denen er sich zumindest einige Wendungen aneignete. "Noch im Krankenhaus hat er mit einer der Pflegerinnen ein paar Worte auf Russisch gewechselt."

"Max hat im Jetzt gelebt", sagt Schwester Elija. Seine Anteilnahme am politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehen war bezeichnend für ihn. Mannheimer war SPD-Mitglied und sprach häufig auf Veranstaltungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Die aktuellen politischen Entwicklungen und das Wiedererstarken der Rechten haben ihm große Sorgen gemacht", sagt Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte. Mit seinem Engagement half er der Gedenkstättenarbeit. "Er war ein gewitzter, beharrlicher Vermittler", sagt Hammermann. "Wir haben jemanden verloren, der immer an unserer Seite stand." Mit seinen Kontakten, seinem Ansehen, seiner großen Bekanntheit in Bayern und ganz Deutschland war Mannheimer als Vorsitzender der deutschen Lagegemeinschaft eine gewichtige Stimme im Comité International de Dachau (CID). "Er setzte sich immer dafür ein, dass keine Opfergruppe vergessen wird", sagt Präsident Jean-Michel Thomas. Doch egal wie ernst ein Thema war, "mit seinen Späßen lockerte er jede Unterhaltung auf", erinnert sich der Franzose.

Mannheimer ganz eigene, besondere Art, die Dinge zu lenken, bleibt auch Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) in Erinnerung, "leise und fordernd zugleich, mit viel Witz". Er habe Mannheimer, der 66 Jahre älter war als er, auch als Berater sehr geschätzt. Hartmann spricht aus, was die meisten über die Erinnerung an Mannheimer hinaus bewegt: "Wie können wir das Gedenken ohne Zeitzeugen fortführen?" Diese Frage stellt sich auch Landrat Stefan Löwl (CSU): "Wir müssen Wege finden, nicht nur Daten und Fakten, sondern auch Gefühle weiter zu geben." Mannheimer lernte Löwl nach seinem Amtsantritt näher kennen. "Sein analytisches Denken, sein tiefgründiger Humor, seine Selbstironie - das machte ihn einmalig."

Ernst Grube ist erschüttert. Der 84-Jährige hat am Sonntag einmal mehr als Zeitzeuge berichtet, wie er als Jugendlicher die Verfolgung durch die Nazis erlebte. Diesmal hat er auch von Mannheimer erzählt. "Ich hatte Angst vor diesem Tag." Mannheimer sei sein "Freund und Vorbild" gewesen. Tief beeindruckt erzählt Grube, wie Mannheimer selbst zu jungen Neonazis den Kontakt suchte, im Gefängnis zu ihnen sprach. "Er hat sie verändert." Das habe er mit seiner einmaligen Ausstrahlung, seiner Aura vermocht. "Max Mannheimer ist unersetzlich."

© SZ vom 26.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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