Dachau:Ein hartes Pflaster

Dachaus Einzelhandel kämpft gegen die mächtige Konkurrenz des Online-Shoppings im Internet. Aber mehr noch macht ihm sein Unvermögen zu schaffen, endlich einmal geschlossen aufzutreten.

Von Leonie Sanke, Dachau

Dutzende von Gläsern mit gekühltem Prosecco stehen für die kauffreudigen Kundinnen des Dachauer Modeladens "Flair Fashion" bereit. Eine Kundin steht bereits in dem Laden in der Bahnhofstraße und begutachtet die neue Ware. Geschäftsführerin Maria Erlacher berät sie. Das ist der entscheidende Moment für einen Einzelhändler in der Modebranche: Er muss charmant und kompetent auftreten, fast schon psychologisches Gespür für die Wünsche und Sorgen eines Kunden haben. Der Kauf eines Kleides oder eines Tops ist auch Vertrauenssache. "Die persönliche Ansprache der Kunden ist für mich sehr wichtig. Das ist der Grund, warum es uns noch gibt: Persönlichkeitsarbeit", sagt Maria Erlacher.

Seit 27 Jahren verkauft sie den Dachauerinnen die neuesten Trends, veranstaltet Modeschauen und, wie jetzt wieder, mehrtägige Kollektionspremieren. Nicht nur Erlachers Laden - es gibt einige mehr auch in anderen Einzelhandelsbranchen - straft die Nörgler Lügen, die immer mal wieder gerne behaupten, in Dachau könne man doch nicht einkaufen.

In diesem Jahr haben schon vier Modeläden geschlossen

Tatsächlich aber ist Dachau schon ein hartes Pflaster für den Einzelhandel - auch in der Konkurrenz zu den Großmärkten am Schwarzen Graben. Die Modeläden scheinen besonders betroffen zu sein, allein in diesem Jahr haben schon vier geschlossen: "Wild" nach dem Umzug von der Münchner in die Schleißheimer Straße sowie der "Damenkontor", der junge Modeladen "Herzgold" und "Luxuspuppen" in der Altstadt.

Wirtschaftsförderer Stefan Wolf spricht von der "Leichtigkeit des Klicks" - der Online-Handel, das Internet gräbt demnach den Modeläden in Dachau das Wasser ab. Diese Erfahrung musste Anja Ackermann mit ihrem Damenkontor machen: "In der Anfangsphase hatten wir eine gute Zeit. Wir hatten ein schönes Sortiment, das es so bis dato nicht in Dachau gab."

Doch dann haben ihre Lieferanten eigene Online-Shops eröffnet. Da gab es die Ware früher, in größerer Auswahl und noch schneller reduziert. "Das führte bei uns zu einem Einbruch", sagt Anja Ackermann. Nach zehn Jahren gab sie im Februar schließlich auf. Seitdem führt sie das Herrenmodegeschäft Rauffer in der Altstadt zusammen mit ihrem Mann weiter.

Dachau: Maria Erlacher in ihrer Boutique "Flair Fashion" in der Bahnhofstraße. Seit 27 Jahren bietet sie Kundinnen Designerbekleidung.

Maria Erlacher in ihrer Boutique "Flair Fashion" in der Bahnhofstraße. Seit 27 Jahren bietet sie Kundinnen Designerbekleidung.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Die Kunden sind anspruchsvoller geworden"

Als Maria Erlacher mit Anfang 20 ihr Geschäft eröffnete, war Online-Shopping ein Fremdwort. "Da war exklusive Mode noch etwas Besonderes. Das Bewusstsein dafür ist verloren gegangen", sagt sie. Auch die persönliche Kommunikation gehe durch das Internet verloren. Doch taugt das Internet als alleiniger Sündenbock für die kritische Situation? "Die Kunden", sagt Walter Glunz, "sind anspruchsvoller geworden, das liegt auch an dem Überangebot an Waren heutzutage. Vielen geht es nur noch um den Preis."

Glunz kennt sich aus mit dem Dachauer Einzelhandel: Sein Geschäft "Leder im Trend" in der Schleißheimer Straße wurde vor 60 Jahren gegründet. 1987 übernahm es Glunz zusammen mit seiner Frau Vera. Er will nicht alles auf das Internet schieben. Wie viele Kunden sich in seinem Laden beraten lassen und dann online bestellen, könne er doch gar nicht messen. "Es gibt immer noch viele gute Kunden, die am Ort kaufen wollen." Seiner Branche - 50 Prozent der deutschen Lederwarengeschäfte mussten in den letzten 25 Jahren schließen - machen vor allem die Rabattaktionen der Ketten zu schaffen.

Andere Städte haben das gleiche Problem

Kofferfachgeschäft

Auch Traditionsgeschäfte wie "Leder im Trend" von Vera Glunz müssen mit viel Einsatz und Geschick für ihr Geschäft kämpfen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Erst kürzlich wollte die SPD-Fraktion im Stadtrat das Internet für die Dachauer Geschäftswelt nutzen. Gegen einen gemeinsamen Online-Auftritt der Einzelhändler sprach sich jedoch die CSU aus. Jetzt soll stattdessen das bestehende Branchenverzeichnis Dachau Maps ausgebaut werden. "Das steht auf unserer To-Do-Liste", sagt Wirtschaftsförderer Wolf. Für Initiativen und Aktionen der Werbegemeinschaften sei die Wirtschaftsförderung jederzeit aufgeschlossen, sagt Wolf. Er sagt aber auch: "Man kann in Dachau das Rad nicht neu erfinden - viele andere Städte haben das gleiche Problem."

Nur reicht Aufgeschlossenheit alleine nicht. "Grundsätzlich hat sich in den letzten 28 Jahren in Dachau nichts getan", sagt Walter Glunz. "Es gab viele Versprechungen der Stadt, zum Beispiel die Erneuerung der Münchner Straße, aber passiert ist nichts. Dieser Stillstand ist ein Rückschritt."

Eine bedenkliche Entwicklung für den Dachauer Einzelhandel? "Nicht wirklich", antwortet Wirtschaftsförderer Stefan Wolf. "Es ist eben so, dass Läden schließen und neue öffnen." In die ehemalige Dresdner Bank solle beispielsweise bald ein neuer Modeladen einziehen. Und die Schließung des Damenkontors habe keinen Leerstand zur Folge, sondern lediglich eine Umnutzung. "Es ist aber natürlich fraglich, ob das auch bei zwanzig weiteren geschlossenen Läden so der Fall wäre", räumt Wolf ein.

Auch der Kunde trägt Verantwortung

Letztendlich aber sieht er den Kunden in der Verantwortung: "Entscheidend ist, dass der Konsument sich Gedanken über sein Einkaufsverhalten macht. Da muss sich jeder an die eigene Nase fassen." Was nun? Ist das Kundenverhalten schuld, das Internet oder die Konkurrenz großer Ladenketten? Jedenfalls verfestigt sich der Eindruck, dass in Dachau zu wenig miteinander gesprochen wird - zwischen der Politik und dem Einzelhandel, aber auch unter den Geschäftsleuten selbst.

Schuhladen

Das "Damenkontor" hat geschlossen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Anja Ackermann, Walter Glunz und Maria Erlacher wollen keine Kundenschelte betreiben, sie sehen das Manko in ihrem Kreis. "Es muss bei allen Händlern ein Umdenken stattfinden. Wir müssen Service und Beratung bieten und uns so vom Internet abgrenzen", sagt Ackermann. Erlacher meint: "Ich finde es traurig, dass wir im Einzelhandel tatsächlich einzeln handeln." Es habe zwar Bemühungen gegeben, eine lange Tafel etwa, doch herausgekommen sei dabei nichts. In der Interessengemeinschaft Münchner Straße und der Werbegemeinschaft Leistung aus Dachau (LAD) sind insgesamt gerade einmal ein Mode- und ein Trachtengeschäft vertreten.

"Wir würden es begrüßen, wenn sich allgemein mehr Geschäftsleute in unserem Verein engagieren würden - nicht nur aus dem Modebereich", sagt LAD-Vorsitzender Hüsran Multhammer. Aber als Partner verstehen sich die Geschäftsleute insgesamt eben nicht. "Es ist schwierig, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bekommen", erklärt Anja Ackermann die mangelnde gemeinsame Initiative in der Altstadt.

Der Feind sitzt in München

Ein Beispiel seien die immer noch uneinheitlichen Öffnungszeiten. Das wäre laut Glunz schon der erste wichtige Schritt. "Der Einzelhandel hier hat noch nicht erkannt, dass der Feind in München ist - viele fahren dorthin zum Einkaufen. Hier versucht man krampfhaft, die Altstadt am Leben zu halten, aber das Miteinander fehlt." Es ist nicht nur München: "Auch Einkaufszentren und die Outlet-Center bei Ingolstadt ziehen Potenzial ab", sagt Ackermann.

"Wir sind aber aktuell sehr zufrieden", sagt Walter Glunz. "Wir müssen natürlich sehr viel Werbung machen, da wir kaum Laufkundschaft haben. Ansonsten machen wir häufig Aktionen zur richtigen Zeit. Und wir gehen mit dem ständigen Wandel der Produkte. Die Entwicklung des Einzelhandels hängt schließlich vom Sortiment ab, nicht von der Kundschaft." Also nicht der Konsument. Der Dachauer Einzelhandel selbst ist sich in seiner Zersplitterung der ärgste Feind. Die Diskussion über mehr Gemeinsamkeit ist fast so alt wie der Einzelhandel selbst.

Es fehlt ein Magnet

Dachau: Wer sagt, in Dachau könne man nicht einkaufen? In der Unteren Stadt und in der Altstadt gibt es genügend Gelegenheiten - doch sie werden weniger.

Wer sagt, in Dachau könne man nicht einkaufen? In der Unteren Stadt und in der Altstadt gibt es genügend Gelegenheiten - doch sie werden weniger.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

An Dachau liegt es grundsätzlich nicht: Die Altstadt findet Anja Ackermann "generell keinen schlechten Standort" - von der ungelösten Parkplatzfrage, kundenfeindlichem Kopfsteinpflaster und vorbeidonnernden Bussen und Lkws abgesehen. Die Untere Stadt bekommt von Glunz eine gute Note: "Ein gutes Umfeld haben wir schon mal, von den Geschäften her ist es ein interessanter Mix." Aber: "Es fehlt ein richtiger Magnet, der das Ganze belebt." In dieser Frage gibt auch Ackermann den Ball an den Stadtrat zurück: Insgesamt sei für den Kunden nicht sichtbar, dass sich in der Altstadt etwas getan habe.

Im Grunde lädt sie zu einem Einkaufsbummel geradezu ein - verschont von der Hektik der Großstadt können die Kunden ihre Einkäufe in mehreren wohlsortierten Läden für Bücher, Wein, Haushaltswaren Geschenkartikel und Wohnaccessoires sowie Bekleidung tätigen. Dann zum Dachauer Viktualienmarkt und auf einen abschließenden Spritz Aperol unter Kastanien zur Schranne oder auf einen Cappuccino in eines der idyllisch gelegenen Cafés. Nur, es kommen einfach zu wenige Kunden.

Bei Maria Erlacher ist der Laden inzwischen jedoch voll, und Gläser mit frischem Pro Secco werden aufgetragen. Aber auch die Einzelhändler, die für ihre Kunden eine Wohlfühl-Atmosphäre schaffen, kämpfen um ihr Geschäft. "Meine Frau und ich werden unseren Laden noch ein paar Jahre führen und dann vermieten. In dieser Form wird es ihn dann wahrscheinlich nicht mehr geben", sagt Walter Glunz. Dann wäre wieder ein traditionelles Dachauer Einzelhandelsgeschäft gestorben - wenn nicht bald etwas geschieht.

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