Dachau:Doppelleben eines Offiziers

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Die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer liest auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte über einen Mann, der dem Nazi-Regime diente - aber nur bis zum 20. Juli 1944.

Simon Schramm

Es ist wichtig, an so einem Ort das Buch lesen zu können, gerade um an die Wenigen und Wichtigen zu erinnern, die etwas gegen den Nationalsozialismus getan haben." So beginnt Antje Vollmer ihre Lesung in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte. Einer dieser wichtigen Widerstandskämpfer war Heinrich von Lehndorff, er gehörte zu den Verschwörern des 20. Juli 1944. Über sein Engagement war wenig bekannt, bis die Grünen-Politikerin Vollmer seine Geschichte aufgeschrieben hat. Entstanden ist daraus das Buch "Doppelleben", aus dem sie am Donnerstag Abend Auszüge vortrug. Die Stuhlreihen im Lesesaal der Kirche sind fast vollständig besetzt, überwiegend Ältere haben sich eingefunden, kein einziger Jugendlicher. Vollmer erzählt von Lehndorffs Doppelleben als Nazi-Offizier, der sich während dem Krieg zum Umsturz gegen Hitler beschließt. Das Schloss in Steinort, seinem Wohnsitz in Polen, teilt er sich mit dem Außenminister Joachim von Ribbentrop, die Gestapo ist ständig präsent. Das militärische Hauptquartier der Nazis, die Wolfsschanze, ist nur 14 Kilometer entfernt. Lehndorff ist im Widerstand vor allem für die Kommunikation zwischen den Verschwörern zuständig. "Er war eine Art Kurier für Botschaften", sagt Vollmer. Als Stauffenberg am Attentat zweifelte, überbrachte ihm Lehndorff die Antwort von Mitverschwörer Tresckow mündlich: "Das Attentat muss erfolgen." Die Geschichte von Lehndorffs Frau Gottliebe hat Antje Vollmer ebenfalls recherchiert. Sie war im Widerstand nicht aktiv beteiligt, aber hielt zu Heinrich. Als das Attentat missglückt, führt die Spur schnell zu den Lehndorffs, er musste fliehen. Sie suchte ihn, und als Gottliebe von der SS aufgegriffen wurde, stellte sich Heinrich und kam in Haft in Berlin. Am 4.September 1944 wurde Heinrich am Plötzensee hingerichtet, zuvor schrieb er einen Abschiedsbrief, einen letzten "Liebesbrief an Gottliebe". Drei Jahre hat Vollmer an "Doppelleben" gearbeitet. Den Ansporn zur Studie gab ihr eine Tochter von Lehndorff: Vera, besser bekannt als das Model "Veruschka", hatte Vollmer gebeten, sich der Geschichte anzunehmen. Bei ihrer Recherche hat Vollmer viele weitere Mitverschwörer gefunden, deren Geschichte noch nicht erzählt wurde. Sie selber möchte keine Studien mehr schreiben. An diese noch unbekannten Geschichten aus dem Widerstand zu erinnern, hält sie dennoch für wichtig. "Ohne mein Buch wäre Lehndorff einfach nur ein Nazi-Offizier in Ostpolen gewesen."

© SZ vom 08.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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