Dachau:Die neue Dimension

Wegen des Gerichtsprozesses um ein geplantes Bordell in Dachau-Ost stellt sich die Grundsatzfrage, wie viel Rotlichtmilieu die Stadt noch verträgt. Stadtbaurat Simon zeigt sich besorgt um das Ansehen des Gewerbegebiets.

Von Benjamin Emonts

Ein Hinweis führt zu einem großen, gelblichen Haus in der Ohmstraße 5. Sofort fällt ein schwarzer, unsauber gesprühter Schriftzug auf: "Bezahlt die Handwerker." Aus der Vorderseite des Gebäudes hängen graue Stromkabel, ebenso aus dem gefliesten Boden, der rechts am Gebäude entlang führt. Auffällig: Die Front hat lediglich zwei schmale, längliche Fenster, dazu eines in der Größe eines Gucklochs. Eine Eingangstür sucht man vergeblich. Die geteerten Parkplätze vor dem Gebäude sind leer, die Baustelle menschenverlassen. Hier also soll im Herbst ein Bordell mit einer Fläche von 2500 Quadratmetern eröffnen?

Seit Monaten kursieren in Dachau Gerüchte über ein neues Etablissement. Denn Sabrina Schuhmacher, eine im Milieu namhafte Innenausstatterin für Bordelle, hatte in einem Artikel der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 26. April erzählt, an Plänen für ein großes Bordell in Dachau zu arbeiten. Auf Anfrage der SZ Dachau teilte sie mit, die gesamte Planung für den Innenausbau bereits bis ins Detail abgeschlossen zu haben. Der Rohbau sei fertig gestellt. Sie fügt hinzu: "Mehr darf ich ohne die Erlaubnis meiner Auftraggeber nicht verraten."

Ein Bordell in dieser Dimension? In einer Stadt mit gerade einmal 45 000 Einwohnern? Der stellvertretende Dachauer Bürgermeister Kai Kühnel, von Beruf Architekt, mochte es nicht glauben. Ebenso ungläubig reagierte zunächst Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) und verwies an das städtische Bauamt. Gerhard Greiter, der österreichische Projektentwickler eines Hotelneubaus, dessen Rohbau rechts einer Tankstelle in der Alten Römerstraße steht, war ziemlich verärgert: In Dachau wurde schon gemutmaßt, es könnte sich bei dem Hotel um das ominöse Bordell handeln.

Stattdessen haben sich in den vergangenen Wochen die Hinweise verdichtet, dass ein gigantisches Bordell in der Ohmstraße 5 eröffnen soll. Dann erfolgte die offizielle Bestätigung der Stadt Dachau, dass es wegen der Pläne von Bordellbetreibern für das Anwesen in der Ohmstraße 5 zu einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht München kommt. Die Pressestelle des Verwaltungsgerichts bestätigte die Adresse. Wie weiter mitgeteilt wurde, soll der Prozess "in der Örtlichkeit" in Dachau stattfinden. Vermutlich firmierte in dem nun gelb angestrichenen Gebäude ein FKK-Club unter dem Namen Musses. Zumindest erscheint dieser Name, wenn man Ohmstraße 5 bei Google im Internet eingibt. Nach Angaben der Stadt Dachau lautete der Name "Villa Exzellent".

Für dieses Gebäude besteht nach Angaben des Dachauer Stadtbaurats, Michael Simon, bereits eine Genehmigung zur Prostitution. Allerdings nur für "fünf Zimmer, auf 112 Quadratmetern". Die Antragsteller, deren Namen die Stadt und auch das Verwaltungsgericht München aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht preisgeben, wollen mehr. Wie Simon weiter mitteilt, ist ein Antrag auf umfangreiche An- und Umbaumaßnahmen eingegangen. Und es liegt eine Genehmigung vor: für Lagerräume, Nasszellen und einen Wellness- sowie Fitnessbereich. Allerdings hat die Stadt ihren Bescheid mit der Auflage versehen, dass die neu entstandenen Räumlichkeiten nicht für "bordellähnliche Zwecke" genutzt werden dürfen. Dagegen haben die Antragsteller in der Zwischenzeit Klage eingereicht. Die öffentliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München findet am Donnerstag, 31. Juli, statt. Gleich im Anschluss wird eine ähnliche Klage eines Dominastudios in der Karl-Benz Straße verhandelt, das sich ebenfalls erweitern will.

Es sind nicht die ersten Prozesse, sondern die Verfahren neun und zehn innerhalb von nur fünf Jahren, in denen Dachau gegen Bordelle kämpft. Denn Politik und Verwaltung sind besorgt, dass ihr großes Gewerbegebiet in Dachau-Ost abgewertet wird und angesehene Unternehmen womöglich kein Interesse mehr zeigten, sich hier anzusiedeln. Erstaunlich ist der Bordell-Boom in Dachau, zumal in Fürstenfeldbruck sich kein einziges angesiedelt hat. Der Nachbarlandkreis ist der zahlenmäßig größte in Oberbayern. Freising hat bereits rigoros reagiert und eine Sperrgebietsverordnung für das gesamte Stadtgebiet erlassen.

Das neue Bordell soll nach Informationen der SZ als eine Art FFK-Club geführt werden, in dem Prostituierte und Freier Eintritt an den Betreiber bezahlen. Was sie untereinander aushandeln, ist ihre Angelegenheit. Dabei soll ihnen ein großer Wellnessbereich zur Verfügung stehen. Hier soll kein kleines Etablissement mehr eröffnen, sondern ein großer Betrieb, der das Umfeld wegen der zu vermutenden Aufmerksamkeit prägen und verändern wird. Es geht um 2500 Quadratmeter, wie Stadtbaurat Simon bestätigt. In Fachkreisen wird mit 50 bis 60 ständig anwesenden Prostituierten gerechnet. Deswegen geht es um das künftige Ansehen des Dachauer Gewerbegebiets in Unternehmerkreisen. Und deswegen befürchtet Stadtbaurat Simon eine Abwertung des Areals, wenn der Prozess am 31. Juli verloren ginge.

Die Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck steht mit den Dachauer Bordellbetreibern ständig in Kontakt, zudem führt sie in den Etablissements regelmäßig unangekündigte Kontrollen durch. Dabei wird geprüft, ob die Prostituierten eine Arbeitsgenehmigung haben, regelmäßige Arztbesuche bescheinigen können und ob die Bordellbetreiber sich an ihre Auflagen halten. Peter Grieser vom Polizeipräsidium Oberbayern Nord, das für den Landkreis Dachau zuständig ist, sagt: "Aus polizeilicher Sicht sind die Dachauer Bordelle unproblematisch." In den Jahren 2004 und 2008 allerdings seien auf zwei Bordelle Anschläge mit Buttersäure verübt worden, "milieutypische Straftaten", wie Grieser sagt. Denn Ziel der Angriffe waren in beiden Fällen Etablissements, die sich gerade erst in Dachau niedergelassen hatten, unter anderem: der Salon Patrice.

Wenn einer über die Bordellszene Bescheid wissen muss und auch über den Andrang nach Dachau, dann Uwe Ittner. Er hat den Salon Patrice 2004 gegründet; das Bordell wird seit einem Jahr von seiner Lebensgefährtin geführt. Keine 100 Meter von der Ohmstraße entfernt, liegt der Salon versteckt im Hinterhof eines Reifenhändlers. Laura öffnet die Tür, eine vollbusige Blondine, Mitte 30, mit Locken und rot geschminkten Lippen. "Kommen Sie herein." Laura führt in den großzügigen Empfangsraum des Salon Patrice. Uwe Ittner wartet bereits. Auch er hat schon einen Prozess gegen die Stadt Dachau geführt.

Im Jahr 2011 wollte er im Keller drei Zimmer zu Zwecken der Prostitution ausbauen. Im Gegenzug sollten im Erdgeschoss zwei kleinere Zimmer in ein Büro sowie einen Aufenthaltsraum umgewandelt werden. "Ich wollte nur mehr Platz für die Damen schaffen und damit ihre Arbeitsbedingungen verbessern - und nicht mehr Damen beschäftigen", sagt er. Die Stadt aber argumentierte baurechtlich, die Räume im Keller seien 20 Zentimeter zu niedrig, zudem wurde beanstandet, es käme zu wenig Licht in die Zimmer. Vor dem Verwaltungsgericht München kam es zu einem Vergleich: Jetzt befinden sich im Keller zwei Zimmer mit Safaritapete und orientalischen Wasserpfeifen. Ihre exotischen Namen: "Kenia" und "Kairo."

Auch Uwe Ittner weiß, dass in der Ohmstraße 5 im Herbst ein großes Bordell eröffnen soll. Und er staunt darüber. Denn im Jahr 2004, als er sich sein Gewerbe genehmigen ließ, habe ein Sachbearbeiter des Bauamts noch gesagt, der Salon Patrice sei das letzte Etablissement, welches die Stadt zulasse. Vier Jahre später folgte das Emotion Pure. Dann ein Massage Salon mit der Option auf ein "Happy End". Damit sind es bis jetzt bereits sechs genehmigte Bordelle am Schwarzen Graben. "Dachau ist ein attraktiver Standort, weil es im Einzugsgebiet der Ballungsräume München und Augsburg liegt", sagt Uwe Ittner. An diesem Donnerstagvormittag klingelt es im Halbstundentakt an der Pforte des Salon Patrice.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: