Dachau:Der Sozial-Romantiker

Gramsci-Wirt Christian Salvermoser erträumt sich die Dachauer Altstadt als ein großes Dorf mit viel Nähe und Zusammenhalt. Sein Freilichtkino Cinema Paradiso sieht er als ein wesentliches Indiz dafür an, dass die Idee nicht bloß eine Schwärmerei ist

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Vielleicht ist die Vision von Christian Salvermoser, Wirt des Café Gramsci und energischer Botschafter einer lebendigen Dachauer Altstadt, sogar wegweisend. Er spricht nicht von ihr als einem Magneten, wie beispielsweise der Verein der Geschäftsleute mit dem Akronym LAD (Leistung aus Dachau). Salvermoser meint auch nicht, dass die Dachauer den Berg hinauf stürmen sollen, um dort die tollen Einkaufsmöglichkeiten zu finden. Nein, er spricht von der Altstadt als einem Dorf.

Er würde sich wünschen, dass die Menschen hier, auch diejenigen, die neu hinzukommen, das Gefühl einer Nähe zueinander entwickeln, also wirkliche Beziehungen pflegen. "Wir müssen ein Dorf werden", sagt er. Anders formuliert: "Wir müssen das werden, was wir eigentlich schon sind." Von einer solchen Basis aus, könnte sich die Altstadt ganz neu entwickeln. "Von Innen heraus." Der kulturelle Ausdruck dieses Wunsches ist für ihn sein Freilichtkino Cinema Paradiso im Hof von Gramsci und Kleiner Altstadtgalerie in der Burgfriedenstraße, das in das 15. Jahr seines Bestehens geht.

Wäre die Altstadt im Bewusstsein der Menschen das Dorf, wie es sich Salvermoser erträumt, dann würden sich die Anwohner freuen, wenn gefeiert wird und sich nicht ärgern, wenn die Besucher zuhauf zusammenkommen, wie es beispielsweise beim Jazz in allen Gassen vermehrt vorkommt. Zugleich würden Gäste darauf achten, dass Straßen, Plätze und Ort gepflegt ausschauen. Es würde nicht passieren, dass morgens kaputte Flaschen vor den einschlägigen Bars liegen und einige Hinterhöfe ausschauen "wie früher der Münchner Hauptbahnhof" (Salvermoser). Und es würde auch niemand gleich mit juristischen Schritte drohen, wenn ein Fest oder eben das Freilichtkino stattfindet.

Dachau: Christian Salvermoser, Wirt des Café Gramsci, freut sich, dass sein Freilichtkino Cinema Paradiso sich zu einem Selbstläufer entwickelt hat.

Christian Salvermoser, Wirt des Café Gramsci, freut sich, dass sein Freilichtkino Cinema Paradiso sich zu einem Selbstläufer entwickelt hat.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Diese Volte gegen Gramsci-Anwohnerin Nina Schiffner gönnt Salvermoser sich. Mehrere Jahre protestierte sie lautstark gegen das Cinema Paradiso und zog letztlich ihre Klage zurück, die schon bei Gericht anhängig war. Der Streit hinterließ nur Bitterkeit.

Warum gerade der 48-jährige Wirt und gelernte Berufsschullehrer - übrigens mit einem der besten Abschlüsse in Bayern - sich so in diese Altstadt hineindenkt, wäre schon schlüssig zu erklären. Aber der Weg würde in teils sehr persönliche Erfahrungen mit der eigenen Familie hineinführen, die für die Öffentlichkeit nicht geeignet sind. Was als Resultat bleibt, ist die teils gebrochene Faszination für Dachau und eben ganz besonders für die Altstadt.

Wenn Salvermoser sie im Sommer während des Cinema Paradiso erlebt, dann ist sie für ihn das Dorf. Da kommen Leute am Gramsci vorbei und fragen beim Bier, ob sie schnell helfen können, damit die Leinwand im Hof richtig angebracht wird. Sie reihen die Bänke und Stühle auf und packen auch beim Bedienen mit an. Solche Geschichten erzählt Salvermoser mit leuchtenden Augen und seligem Lächeln.

Dass Salvermoser ein sozialer Romantiker ist, ist hinlänglich bekannt. Aber so weit liegen seine Erfahrungen von denen vieler Dachau nicht entfernt. Oberbürgermeister Florian Hartmann erzählte vergangene Woche auf der SPD-Jahresversammlung von Bürgern aus Dachau-Ost und Dachau-Süd, die sich bei ihm persönlich und in Briefen überschwänglich bedankt hätten. Sie hätten ihn dafür gelobt, weil er zu Beginn seiner Amtszeit angeordnet hatte, dass die Busse der Stadtwerke nicht mehr nur bis 20 Uhr, sondern bis 22 Uhr fahren. Die Menschen hätten ihm gesagt: "Jetzt können wir endlich die Altstadt abends ebenfalls genießen." Hartmann sieht darin einen Beleg dafür, wie Kleinigkeiten oft wichtiger sind als die großen Themen. Christian Salvermoser könnte hinzufügen: Genauso ist es! Von eben solchen Kleinigkeiten, die Nähe schaffen, spricht auch er.

Das Cinema Paradiso ist aus dem Wunsch heraus entstanden, das Irish Pub in der Altstadt vor ungefähr 15 Jahre zu erhalten. Viel mehr Treffpunkte neben dem damaligen Café Teufelhart gab es nicht. Im Pub trafen sich junge Leute beispielsweise zu Quizabenden. Ein Hinterhofkino sollte das Pub zusätzlich absichern. Das Cinema Paradiso war geboren. Ein Jahr später zog es in den Garten der Buchhandlung Wittmann und landete schließlich im Café Gramsci. Und dort soll es bleiben. Damit die Existenz von Café und Kino gesichert ist, hat sich Christian Salvermoser entschlossen, wieder als Berufsschullehrer zu arbeiten und sich von seiner BohémienExistenz als Wirt und Musiker zu verabschieden.

Dachau: Die Leinwand beim Cinema Paradiso wird eigens so platziert, dass Passanten den Film beim Vorübergehen sehen können. Wie es sich für ein Dorfleben nach Christian Salvermosers Gusto gehört.

Die Leinwand beim Cinema Paradiso wird eigens so platziert, dass Passanten den Film beim Vorübergehen sehen können. Wie es sich für ein Dorfleben nach Christian Salvermosers Gusto gehört.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Insofern ist das aktuelle Programm des Cinema Paradiso, das an diesem Donnerstag mit dem Einbruch der Nacht beginnt, exemplarisch für das Jubiläumsjahr. Alle Filme drehen sich um Männer, die "Macken haben", sagt Salvermoser, aber irgendwie neue Wege finden. Der schwedische Film "Im Weltraum gibt es keine Gefühle" erzählt die Geschichte eines autistischen jungen Mannes, der nach statistischen Methoden die ideale Freundin für seinen Bruder sucht und die Liebe findet. In "Taking Woodstock" löst ein junger Mann eine kulturelle Revolution aus, indem er einen Acker für ein vermeintlich kleineres Openair-Festival verpachtet.

Cinema Paradiso: Donnerstag, 29. Juni: "Im Weltraum gibt es keine Gefühle". Donnerstag, 6. Juli: "Billy Elliot". Donnerstag, 13. Juli: "Ich, Daniel Blake". Donnerstag, 20. Juli: "Vitus". Donnerstag, 27. Juli: "Taking Woodstock." Café Gramsci, Burgfriedenstraße 3, von 20 Uhr an.

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